Test Icicles


Du bist ganz schön bedient: Noise und Kunst, Non-Nonchalance und Euphorie. Die Eisigel bringen alles auf die Bühne. Und sogar (ein) Mädchen zum Tanzen.

Und alle sind die da: die Indie-Nerds, die Krawattenjungs und Chucks-Mädels. die Hardcore-Teens und deren gesetztere Hornbrillen-Ausgaben, ein paar Metaller, selbst ein paar Altrocker. Daß man bei den Test Icicles etwas (Großes?) erwarten darf, daß hier alle Musik-Fraktionen bedient würden, muß sich herumgesprochen haben. Irgendwas muß ja dran sein an einer neuen Band, die vom Meinungsbildner-Label Domino (zeitlich) zwischen Franz Ferdinand und den Arctic Monkeys gesignt wurde. Was dann die nächste knappe Stunde über folgt, fällt klar unter die Kategorie „experience“; vom Pop-Appeal ihrer Labelkollegen bleiben die drei Eiszapfen meilenweit entfernt. Rory Aggwelt, Sam Mehran und Devonte Hynes schludern sich gesanglich unbekümmert-nachlässig durch ihre Songs, malträtieren zwei Gitarren, einen Sampler. Für die trotzdem ausgelassene (Pogo-/Tanz-)Stimmung der ersten Reihen sorgen die Drum-Beats und magengrubenunfreundlichen Bässe, die vom „Band“, genauer: vom iPod kommen. Was zur Folge hat, daß zwischen den vor jugendlicher Hardcore-Energie berstenden Songs seltsam längliche Pausen entstehen: Einer der drei Schreihälse (Gesangsrollen und Gitarren werden nach Lust und Laune hin und her getauscht) ist immer am Fummeln mit dem iPod. Publikumsbindung ist ihre Sache sowieso nicht. Schon beim Opener „Your Biggest Mistake“ besticht Devonte durch konsequentes Ansingen der Monitorboxen bzw. der hinteren Bühnenwand. Rotzlöffel-Diva-Posen? Arroganz? Drogen? Es bleibt ungeklärt. Überhaupt nicht mehr beruhigen können sich die drei aber, als ein junges Mädchen in völliger Ekstase über die Bühne stürmt, tanzt und der Band den „Stecker“ zieht. Erst hagelt es Beschimpfungen, der 15minütige Lärmwall samt unfaßbarem Sampler-Getöse, mit dem das Konzert ausklingt, darf dann wohl als Kollektiv-Bestrafung für diese Missetat gewertet werden. Auf jeden Fall sind alle ganz schön bedient. Wie auch immer man diesen Satz betonen mag.

www.test-icicles.com

Razorlight

Cambridge, Soul Tree

Nach dem geschäftsfördernden Auftritt bei Live8 wäre es an der Zeit für den nächsten Siebenmeilenschritt in der Karriere von Razorlight. Doch ausgerechnet jetzt zeigt das bislang so egostarke Ensemble einen überraschenden Anflug von Verunsicherung. Offenbar ist man sich der Stärken der neuen Songs nicht sicher und hat darum eine diskrete Tournee in Mini-Venues eingerichtet. Ob die dem Befinden der Band zuträglich ist, bleibt fraglich. Sie scheint nämlich an einer veritablen Identitätskrise zu Leiden. Die neuen Songs könnte man alle so beschreiben: wie Blondie, wie The Members, wie Franz Ferdinand, wie Kaiser Chiefs. Das Publikum im „Soul Tree“, lauter Fans, zeigt sich anfangs begeistert, dann immer gleichgültiger. Johnny Borrell spricht kaum, zieht stur sein Ding durch – schade um den intimen Rahmen. Zwei, drei Evergreens bringen kurz Stimmung, aberzum Schluß wird nicht einmal eine Zugabe gefordert.

Ben Lee

Hamburg, Prinzenbar

Ben Lee hat die innere Ruhe gefunden. Er meditiert regelmäßig, verbringt ganze Monate in Indien, pflückt Blumen, um das Cover seines aktuellen Albums zu schmücken. Jenes heißt awake is the NEW sleep und macht das Gemüt ganz sonnig. Man weif) nicht, ob man lieber „Yippie!“ oder „Hippie!“ schreien soll. Gruselig ist das schon, irgendwie. In der Prinzenbar jedoch dauert es keine zwei Songs, und Lee hat alle eingewickelt. Er scherzt charmant über Adam Greens Popularitätsgrad in Deutschland, erzählt, wie er David „The Hoff“ Hasselhoff einst unvermittelt auf den Mund küßte (Beweisfoto aufwww.ben-lee.com), animiert zum Mitsingen und Sich-lieb-Haben, und zum Schluß grinst jeder Mensch im Saal enthemmt, alle sind völlig willenlos dem freundlichen kleinen Mann verfallen und klatschen begeistert in die Patschehändchen. Wie hat er das bloß gemacht? Gut daß Lee nur Musiker und kein Sektenführer ist, sonst wären wir alle geliefert. Yippiei

John Cale

München, New Backstage

Das ist doch mal ein Konzert für die ganze progressive Familie. Da drüben ist Tobi „Monta“ Kuhn mit seiner Mutter. Sie hat ihn früher auf Lou-Reed-Konzerte mitgenommen, erzählt er. jetzt gehen sie zusammen zu John Cale. Daß der mit seinen 63 noch nicht bereit ist für die innere Ruhe, hat er ja mit Black Acetate letztes Jahr mal wieder klargestellt. Und tut es jetzt wieder, als es nach dem halbwegs nostalgiefähigen Auftakt mit einer grimmigen Version von „Venus In Furs“ (dieViola!) ans Herbe geht. Der stilistische Fauxpas, diesen Grand Seigneur im zugig-stilfreien Punkerschuppen Backstage auftreten zu lassen, anstatt ihm an würdigerem Ort den roten Teppich auszurollen, fällt so nicht allzusehr ins Gewicht: Der Chef, eine junge Band im Rücken, beliebt zu rocken, und das so klischeefern und drahtig, bohrend repetetiv und nachhaltig noisig, daß man nach knapp zwei Stunden richtig schön durchgenudelt aus dem Saal stolpert.