The Dresden Dolls Hamburg, Molotow


Tolle Show mit ekligem Ende: Frau Palmer und Herr Viglione spielen Mörderballaden mit Kraft und Wumms.

Eine Frage: Was haben die Amis derzeit nur mit dem alten Weimar-Deutschland? Marilyn Manson schwärmt von den 3oerlahren in Berlin, trinkt Absinth und malt wie Otto Dix. Und die Dresden Dolls tun so f als wären sie aus jener wackeligen Zeit in die heutige gefallen. Damals, so liest man, war ja alles so bedingungslos exzessiv, exzentrisch und wild. Ein Zeitfenster zwischen zwei Weltkriegen, die Nacht vor der Katastrophe. Die Menschen spürten das und ließen alles raus, als gäbe es kein Morgen, was es dann ja auch nicht gab. Das hat man heute gern: diese strenge letzte Lust. Und das Wühlen im Gewesenen, klar.

Die beiden Dresden Dolls – Amanda Palmer und Brian Viglione – sehen so aus: sie im schwarzen Samtkleid, geringelten Strapsen und mit unrasierten Achseln, er mit Melone und weiß geschminktem Pantomimen-Gesicht. Herr Viglione springt auf die Bühne und schreit. Da weiß man gleich: Jetzt geht’s los. Das tut’s dann auch – erst leise. Er tippelt auf seinem Schlagzeug rum, sie tastet sachte Akkorde und dann: krawumm! Sie haut die Tasten, er drischt aufs Schlagzeug, und sie singt mit riefer, dunkler Stimme bis sie schreit. Mörderballaden. Wäre Frau Palmer allein, wären’s Chansons im Geiste von Brecht, Weill und Georg Kreislermit Überhang zur rüden Patci Smith. Aber da ist ja noch der Herr. Der verzieht sein Gesicht mit jedem Schlag, springt auf und setzt sich wieder und haut seine Trommeln wie ein Wilder aber mit einer Schärfe und Akkuratesse, dass einem schwindelig wird. Der Mann – jetzt hat er sein Hemd ausgezogen – macht aus jedem 2/4-Takt eine hektisch verzweigte Rhythmus-Figur, die gerne konträr zum eigentlichen Lied verläuft, was viel Dynamik bringt, manchmal zu viel. Immer, wenn’s langsam nervt.

springt Frau Palmer auf den Rhythmus auf und dann sind beide eins und heraus kommt: ein Popsong! Man jappst nach Luft, denn das hat Kraft. So was schaffen zu zweit sonst nur The White Stripes. Herr Viglione wird jetzt noch wilder und hält die Stöcke verkehrt herum, damit’s lauter knallt. Beruhigen Sie sich! Nun greift er zur Akustikgitarre und Frau Palmer singt mit großer Inbrunst Jacques Breis „Amsterdam“ in der englischsprachigen Version von Scott Walker. Ein großer Moment. Auch unterhaltsam: die vorrangegangene Interpretation von Black Sabbaths „War Pigs“. Die Anwesenden sind ganz und gar begeistert. Ein bisschen ekelig wird’s, als Frau Palmer, die in Regensburg studiert hat, auf Deutsch das Lied vom Soldatenweib singt. Da bekommen einige Leute doch tatsächlich glasige Augen. Da machen wir das Zeitfenster lieber wieder zu.