The kid is alright


Durch ganz Amerika ist der 15jährige William Miller mit der Band Stillwater gereist, um ihren Gitarristen Russell für ein Interview vors Mikro zu bekommen. Dafür hat William einiges in Kauf genommen: Ärger mit der besorgten Mutter, Zoff mit seinen Auftraggebern, Anfeindungen der Band. Er hat sich unglücklich in das Mädchen verliebt, das unglücklich in Russell verliebt ist. Er ist von Groupies entjungfert worden. Er hat mit angesehen, wie Russell auf LSD mit den Worten „I am a golden god!“ von einem Hausdach in einen Pool sprang. Er hat Sex, Drugs und Rock’n’Roll unmittelbar miterlebt, war aber nur an letzterem ernsthaft interessiert. Er hat Freundschaft mit den Musikern geschlossen, obwohl er distanzierter Beobachter bleiben sollte. Endlich klappt das Interview, und William stellt die Frage, die er die ganze Zeit schon stellen wollte: „Russell, was gefallt dir an Musik?“ Russell grinst, beugt sich vor und antwortet: „Also, zunächst einmal: alles.“ Abblende.

VON TOMASSO SCHULTZE Cut, es ist unfair, die letzte Szene eines Filmes zu verraten. Aber in dieser winzigen Frage und Antwort steckt alles, was man über Cameron Crowe und seine vierte Regie-Arbeit, „Almost Famous – Fast berühmt“ (Deutschland-Start am 3. Mai), wissen muss. Es ist kein Geheimnis, dass Crowe hier seine eigene Lebensgeschichte erzählt. Er spricht offen und stolz darüber: So gut wie alles sei talsächlich geschehen, wenn auch in anderer Abfolge, über einen größeren Zeitraum hinweg und mit mehr involvierten Personen. 25 lahre trug er die Einzelheiten, die Anekdoten, die zahllosen Geschichten mit allen Größen der Rockmusik mit sich herum, brütete. Er machte Karriere als Drehbuchautor und Regisseur, und alldieweil reifte in ihm „Almost Famous“ heran. Aber erst in den späten 90ern brach die Geschichte aus ihm heraus, wollte nicht mehr länger warten, musste endlich niedergeschrieben werden. Das Ergebnis brachte Crowe nicht nur den Oscar für das beste Drehbuch ein. Es ist auch der beste Film, der je über Rockmusik gedreht wurde. Hier geht es nicht um Akkordfolgen oder ein Früher-war-alles-toller-Gewimmer. Crowe fängt ein, was Rockmusik für ihn bedeutet. Und das ist sicherlich nicht die 17. Platte einer Band, die so klingt wie alle anderen davor. „Das letzte, was man sein will, ist Grandpa, der alte Ceschichten über Led Zeppelin erzählt“, erklärte er bei der Weltpremiere in Toronto. Nein, es geht um Familie, Heimat, Geborgensein, Freundschaft: zeitlose Dinge, zeitlose Wahrheiten.

In Deutschland kennt man Crowe vor allem als Regisseur und Autor von „Jerry Maguire“ (1996) mit Tom Cruise und der romantischen Komödie „Singles“ (1992), dem filmischen Dokument der Seattle-Grunge-Explosion. Tatsächlich reichen die Anfänge von Cameron Crowes Karriere aber in die frühen 70er Jahre zurück. Damals gerade mal 15, wurde er 1973 vom amerikanischen Rolling Stone als jüngster Reporter in der Geschichte des Rock-Magazins engagiert. „Ich habe mich damals ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt“, erinnert sich Crowe. „Aber sie haben mir die Chance gegeben und mich beim Schreiben nie unter Druck gesetzt. Ich konnte immer einfach nach Hause gehen und die Artikel raushauen. Dafür bin ich sehr dankbar.“ Crowe hatte geschummelt, als es um sein Alter ging. „Ich war sicher, dass sie nicht darauf’reinfallen würden, aber keiner hat mich am Frühstarter

Telefon angezweifelt“, lacht er. „Eines Tages rief (Redakteur) Ben Fong-Torres an und redete mit meiner Schwester, die ihm die Wahrheit erzählte. Ich war am Boden zerstört, als sie das abgedruckt haben. Aber sie fanden’s witzig.“

Vermutlich hittt es sich der Rolling Stone ohnehin nicht leisten können, auf die Dienste eines so besessenen, detailversessenen und wissbegierigen Fans/Schreibers zu verzichten. 1973 war das lahr, als das Magazin gemeinsam mit der Rockmusik auf die erste große Krise zuschlitterte. Das traute Idyll von endloser, unschuldiger Kreativität erhielt empfindliche Kratzer. Szene und Musik hatten sich verändert. Rock’n’Roll war nicht mehr automatisch gleich Gegenkultur. Big Business und Unterhaltungsindustrie begannen, Rock zu vereinnahmen. Altamont, Manson, die Tode von Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison hatten die unbeschwerte Stimmung gedämpft. Die Rezeption hatte sich verändert, Fans spielten eine zunehmend bedeutende Rolle. Vor allem aber hatte eine neue Generation von Musikern das Ruder übernommen, und der Rolling Stone hatte seine Schwierigkeiten, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Led Zeppelin war die prototypische Band der Zeit: brennend interessiert an ihrer Musik und ihrem Star-Lifestyle, aber nicht so sehr am sozialen Umfeld. Das war nicht mehr Rock, der zuvörderst die Fantasie der Zuhörer beflügeln sollte, sondern Rock, mit dem die Musiker ihre eigenen Fantasien fütterten. Der in der Hippiekultur verankerte Stone hasste Led Zeppelin. Alle ihre Platten waren mit Inbrunst verrissen worden, doch nun musste man registrieren, dass man nicht mehr an den Engländern vorbeikam. Und Jimmy Page haue nicht die geringste Lust, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen.

Vorhang auf für Cameron Crow«. Nicht von ungefähr sollte ursprünglich Led Zep im Mittelpunkt von „Almost Famous“ stehen. Nur um sich nicht in rechtlichen Komplikationen zu verheddern, änderte Crowe die Namen. Aber Stillwaters Russell ist immer noch unverkennbar zu großen Teilen Jimmy Page (obwohl die „goldener Gott“-Nummer auf Robert Plants Konto geht). Tatsächlich gelang es dem jungen Fan Crowe, Page dank seiner Unvoreingenommenheit und seines Verständnisses für dessen Musik zum Interview zu bewegen. Von da an war der ungelenke Junge mit dem Milchgesicht in seiner Redaktion der Mann für die Härtefalle. Seine Neugier und Begeisterung, sein ehrliches Interesse und nicht zuletzt sein unschuldiges Aussehen öffneten ihm Tür und Tor: In einem Alter, in dem andere Teenager ihr Taschengeld für das neue Eagles-Album zusammenkratzten, war Crowe schon mit ihnen auf Tour gewesen, er interviewte alle Rock-Größen (und -Mittelgrößen) der 70er, 1975 stellte sich ihm Neil Young für sein erstes Interview seit fünf Jahren, Peter Frampton bat ihn 1976, die Liner Notes für sein legendäres Album „Frampton Comes Alive“ zu verfassen. Frampton erwiderte den Gefallen später: Für „Almost Famous“ brachte er den Stillwater-Darstellern die Grundbegriffe des Gitarrespiels und Rockstar-Bühnengebarens bei.

Bis in die frühen 80er Jahre blieb Crowe dem Rockjournalismus treu. Dann suchte er neue Herausforderungen. Er verbrachte ein paar Wochen in einer High School und übersetzte seine Erlebnisse in seinen ersten Roman, „Fast Times At Ridgemont High“. Hollywood wurde aufmerksam und ließ Crowe auch die Drehbuchfassung schreiben. Amy Heckerling verfilmte es 1982 (genialer deutscher Titel: „Ich glaub ich steh im Wald“) und schuf einen Komödien-Klassiker, der unter anderem Sean Penn und Nicolas Cage bekannt machte. Bei dem ebenfalls autobiographisch gefärbten „Say Anything“ mit John Cusack (genialer deutscher Titel: „Dream Lover“) führte Crowe sieben Jahre später erstmals selbst Regie. „Singles“ und „Jerry Maguire“ folgten. Gute, sehr gute Filme, voller Sympathie für ihre Charaktere, beflügelt von derselben Begeisterung, die sich auch aus seinen Rockartikeln herauslesen lässt. Und doch nur Gesellenstücke vor dem Meisterwerk „Almost Famous“, das wohl erst der zeitliche Abstand ermöglichte. Vielleicht musste er auch erst Mut sammeln, einen Film über das eigene Leben zu machen, der dennoch uneitel und in erster Linie den anderen Figuren verpflichtet ist, die ihn bevölkern: der Band, seiner Mutter und seiner Schwester, den Groupies, die sich „Band Aids“ nennen, und vor allem ihrer Anführerin, Penny Lane – Crowes großer unerfüllter Liebe. „Penny habe ich immer geliebt“, gesteht Crowe, der seit den 80er Jahren mit der Heart-Gitarristin Nancy Wilson verheiratet ist. „Sie hatte eine ganz eigene Aura. Heute lebt sie in Oregon und leitet eine Art Altersheim für zurückgezogene Rockstars. Ich habe sie angerufen und ihr von dem Film erzählt. Sie hielt eine kleine Rede, die ich Wort für Wort im Film untergebracht habe.“

Vielleicht kann Crowe jetzt mit der Vergangenheit, die ihn bislang in seiner Arbeit als Künstler angetrieben, aber auch gefesselt zu haben scheint, abschließen. Die Zeichen stehen gut: Mit „Vanilla Sky“ (einem Remake des spanischen Psychothrillers „Abre Los Ojos“), in dem Tom Cruise, Penelope Cruz und Cameron Diaz vor der Kamera standen, hat er bereits seinen nächsten Film abgedreht – diesmal, ohne eine jahrelange Pause eingelegt zu haben. Und erstmals hat er das Drehbuch dazu nicht selbst geschrieben. Cameron Crowes Lämmer schweigen. Aber das ist ein anderer Film.