The Pete Doherty Experience


Nur weil dieser Mann ein Genie ist, macht es noch lange nicht Spaß, ihm dabei zuzuschauen, wie er vor die Hunde geht. Es folgen: Eindrücke vom Wahnsinn der Baby Shambles aus Oslo.

Oslo im August: Hier soll Pete Doherty mit seiner Jetzt-erst-recht-Kapelle Baby Shambles einen der überaus seltenen Gigs außerhalb von Großbritannien spielen. Natürlich wird das nichts werden: Pete Doherty ist unpäßlich. Pete Doherty dreht durch. Pete Doherty unter dem Joch von 100 gerichtlichen Auflagen. Irgendwas ist immer. Alle rennen los, reißen sich um Tickets, stehen Stunden an, die Boulevard-Fotografen zücken ihre Teleobjektive. Nur Pete, der kommt dann nicht. Der ist ganz woanders.

Das Oya-Festival in Oslo ist für sich schon ziemlich spektakulär. Fünf Vollzeitkräfte planen und organisieren das norwegische Rock-Ereignis des Jahres, zu dem es fast 50.000 Menschen zieht. Hauptsponsor ist der Möbel-Discounter der uns bekannten Welt aus dem blau-gelben Nachbarland, der sogar Sofas und Betten zum Herumlungern auf das idyllische Festivalgelände stellt. Nirgendwo gibt es Gedränge, denn der Norweger an sich stellt sich offensichtlich gerne hinten an und läßt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Doch in diesem Jahr scharren einige dennoch mit den Hufen: Kommt er, oder kommt er nicht? Wären wir in England, die Buchmacher hätten sich an den Wetten längst goldene Nasen verdient. Schafft es Pete Doherty tatsächlich bis nach Oslo? Regelmäßig erreichen uns Stille-Post-Updates: Das Equipment der Band sei gestern in London beschlagnahmt worden. (Oh nein!) Sie haben sich aber bereits neues geliehen. (Puh!) In England streikt allerdings das Flughafenpersonal. (Oh nein!) „Das wird nix“, meint ein findiger Brite hinter uns, doch dann muß er schlucken, als man auch ihm in die roten Ohren raunt: „Baby Shambles have boarded the plane!“ (Wahnsinn!) Allerdings: Es gibt Verspätung. Das Flugzeug kann aufgrund des Streiks nicht pünktlich starten.

Zyniker schwadronieren unterdessen von Razzien und Breakdowns. Das Stille-Post-Prinzip geht voll auf. Keiner weiß mehr, was stimmt und was nicht. Ein paar Stunden später ist das Flugzeug angeblich in Oslo gelandet. Schon wollen die ersten Spürnasen Doherty über das Gelände flanieren gesehen haben. Noch eine Ente. Denn als sich alles pünktlich und zum Zerreißen gespannt vor der Hauptbühne einfindet, stapft statt Pete Doherty ein Mitglied der Crew nach oben. Der Mann sagt etwas auf Norwegisch. Buh-Rufe. Fragezeichen über unseren Köpfen. Was erzählt der denn da? Ein Security-Mann im Fotograben übersetzt: „Es gibt eine Verspätung. Die Rand ist noch nicht da. Das Konzert wird nach der Sonic-Youth-Show stattfinden. Auf der Nebenbühne.“ Das bedeutet: noch einmal fünfeinhalb Stunden Stille Post.

22:20 Uhr. Sonic Youth sind noch nicht fertig. Sie spielen ein perfektes Konzert. Selbst Feedback-Orgien und Gitarren-Zerstörung scheinen bis ins Detail durchchoreographiert – das ist Avantrock-Kunst in Reinstform. Dennoch, es hilft nichts, der Sog zur Nebenbühne ist stärker. Man muß dahin! Dorthin, wo Minuten später tatsächlich das Wunder geschehen soll: Pete Doherty und Band schlurfen auf die Bühne. Das heißt: Die Band schlurft. Pete stolpert, kann kaum zwei Schritte geradeaus gehen. Für die nächsten Minuten wird er dort oben herumtaumeln, sein Mikrofon verlieren, einsammeln und wieder verlieren, unkoordiniert umhertänzeln, gedankenverloren das Nichts anlächeln. Ein Kind, das auf einem Geländer balanciert. Auf einem Brückengeländer. Man mag gar nicht hinschauen.

Die Band, eine Rock-Statisterie, spielt einen soliden, aber uninspirierten Stiefel herunter, während ihr Frontmann eine Show bietet, die auf unheimliche Art beeindruckend ist. Man kann es nicht mehr hören, mag es nicht mehr lesen: vom Wandeln des Künstlers auf dem schmalen Grad zwischen Genie und Wahnsinn. Doch Pete Doherty führt uns genau dies vor. Unser Hunger und unser Fieber weichen ehrlichem Mitleid und schließlich tiefer Scham. Wir sind Voyeure. Pete kümmert das nicht. Pete kümmert nichts. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, jedes Mikrofon zu zerstören, das er in die Hände bekommt. Für manches braucht er mehr als ein halbes Dutzend Anläufe. Geh kaputt! Geh kaputt!

Das Konzert ist eine Farce. Doch zwischen all dem Chaos und allen musikalischen Unpäßlichkeiten blitzt immer wieder die Großartigkeit von Dohertys Popsongs auf. Die kriegt er nicht kaputt. Da kann er sich noch so abmühen. Der traurige Höhepunkt: Pete übergibt sich auf der Bühne. Ausgekotzt, lacht er bitter und erklärt, daß die letzten beiden Tage wohl nicht seine Glückstage gewesen seien: „In London haben sie uns unser Equipment weggenommen“, „in Oslo unsere Kleidung und unsere Drogen.“

Der Mann spricht die Wahrheit: Pete und ein Bandkollege wurden wegen Heroin und Kokain im Gepäck am Flughafen festgenommen. Erst vier Stunden später kamen sie auf Kaution frei. Nun schaut Pete traurig: „Poor me, poor me“, seufzt er, grinst dann, ruft: „Pour me another drink!“ und haut schließlich den größten Song des gesamten Sets, nein, des kompletten Festivals raus. „How can you love someone if you’ve never been loved/How can you trust someone if you’ve never been trusted?“ singt er. Inmitten dieses so dramatischen wie absurden Schauspiels will keines dieser Worte pathetisch klingen. Selbst dem groben Briten, der, als Doherty sich auf die Füße kotzte, noch „That’s my man Pete!“ bellte, fällt die Kinnlade herunter. Zum Finale folgt „Fuck Forever“, die Single.

Pete zerstört ein letztes Mikro, fällt um, richtet sich wieder auf, wird mit Bechern beworfen, kann sich nicht wehren. „Fuck forever – stay out of your mind , wandelt er den Text ab. Es ist zum Weinen brillant.

Später in der Nacht treffen sich Musiker, Journalisten, Ehrengäste zur Aftershowparty im Stratos, einer Dachterrassen-Bar im elften Stock eines Hochhauses im Zentrum Oslos. Und tatsächlich: Da sitzt Pete. Leidlich lebendig. In drei Stunden muß er wieder am Flughafen sein. „Hallo“, sage ich im Vorbeigehen. „Kennen wir uns nicht?“ fragt er.

Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst… Ich habe dich vor vielen Jahren mal interviewt.

Wo denn?

In Köln, Deutschland.

Ich war noch nie in Köln.

Das ist lange her, vielleicht erinnerst du dich einfach nicht mehr.

Bei welcher Gelegenheit soll das denn gewesen sein?

Ihr habt mit British Sea Power und Ikara Colt eine Art Mini-Festival gespielt.

Ich hasse Ikara Colt. Niemals würde ich mit denen irgendwo auftreten! Du willst mich in den Wahnsinn treiben, Fuck! Das ist sehr häßlich von dir! (Petes persönlicher Assistent kommt, schaut nach dem rechten.)

Warum sollte ich das wollen, verdammt!?

Du willst mich nicht in den Wahnsinn treiben?

Natürlich nicht. Ich habe doch nichts gegen dich.

Das ist sehr nett von dir. Ich kann dich gut leiden. (Er drückt mir seine Mundharmonika in die Hand und lächelt schief.) Ein Geschenk für dich. Weil du nett bist. Spiel mal! (Spricht’s und taumelt Richtung Toilette.) Assistent: Das ist dein Glückstag!

Aber was passiert, wenn er am Flughafen merkt, daß sie weg ist?

Assistent: Frag besser nicht, das will ich mir gar nicht vorstellen.

Als Pete Doherty von der Toilette zurückkommt, gebe ich ihm seine Mundharmonika zurück. Er lacht, und dann spielt er ein Lied.

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