The Smiths – Strangeways, Here We Come


Der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger gewählt werden können. Rechtzeitig zum Erscheinen der neuen LP kündigte Smiths-Gitarrist Johnny Marr seinen Austritt an. Dabei ist Strangeways das beste, zumindest das eingängigste Album, das die Smiths je gemacht haben. Ein schöner Abschied.

Kurze Vorbemerkung zu den Smiths und der Lage der Popmusik: Die nicht abreißende Beliebtheit, der sich die Smiths seit längerer Zeit ertreuen, ist nur zu erklären in Angesicht all der lärmenden & synthetischen Hip-Hop-Metal-und-Funk-Pop-Disco-Töne, die sich mit ihrer Überladenheit und Aggressivität als eine Art kunterbunter Sound-Zirkus in den Hitparaden behaupten können. „Burn down the Disco/Hang the DJ./Cause the music that they constantly play/It says nothing to me about my life“, hieß es denn auch treffend in „Panic“, dem letzten großen Hit der Smiths.

Puritanisch bewahren die Smiths das Bild einer Beat-Formation, die ohne die Elemente Show & Glamour ganz traditionell und konventionell ihr Handwerk beherrscht. Und dieses Handwerk heißt Beat-Musik und hat seine ideellen & musikalischen Vorbilder bei den Beatles und Rolling Stones. Noch konkreter: bei den Alben Rubber Soul und Let It Bleed, Strangeways, Here We Come ist nun also die letzte Smiths-LP, die Morrissey (Gesang) und Johnny Marr (Gitarre) zusammen herausgebracht haben, beide gehen von nun an getrennte Wege. Mit einem saften Boogie, der sich ganz sanft vom Ballroom-Piano hinüberschlängelt zum Shanty-Akkordeon, eröffnen die Smiths ihr Werk. Nach diesem Titel „A Rush And A Push And The Land Is Ours“ kommt ein melodiöser Pop-Rocker, der mit Bläsern kunstvoll angereichert wurde: „I Started Something I Couldn’t Finish“. Dann wird es sentimental und melancholisch: „Love, peace and harmony/Very nice/Maybe in the next world!“ haucht Morrissey sarkastisch und wehmütig zugleich heraus – in der malerischen Psycho-Ballade „Death Of A Disco Dancer“, die in einem orgiastischen/ orchestralen Zusammenprall der Instrumente endet. „Girlfriend In A Coma“, die ausgekoppelte Single, schließt sich lückenlos mit ihren seichten Streicher-Passagen an.

Eine spartanische Klavier-Passage leitet die mitternächtliche Ballade ein, die Seite 2 eröffnet: „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“ Lieblich und süß intoniert die Band gleich danach den lockeren BeatShuttle „Unhappy Birthday“, bei dem Marr seine akustische Gitarre zum Auslauf bringt. Das glorreiche Finale bestreitet ein Gute-Nacht-Lied: Während banjo-verwandte Gitarren ihre verträumten Runden ziehen, haucht Morrissey zerbrechlich und stark zugleich den Songtitel ins Mikrophon: I Won’t Share You“. Mit diesem Album ist den Smiths ein zündendes Vermächtnis gelungen!

Biographie

Die Band mit dem bewußt simplen Namen wurde Ende 1982 in Manchester gegründet. Zentral-Figur der Smiths war von Beginn an Steven Patrick Morrissey, ein junger Intellektueller, der mit seinem zart-zerbrechlichen Gesang und den lyrischen Texten das Sound-Bild nachhaltig prägte. Doch was wäre ein guter Sänger & Texter ohne einen kongenialen Musiker, der mit seinen eigenen Ideen eingreift und Songs komponiert, die sich perfekt mit der Morrissey-Lyrik ergänzen? Johnny Marr heißt dieser Mann bei den Smiths, und er spielt sparsame Gitarren-Riffs auf seiner Rickenbacker, während die anderen Bandmitglieder Andy Rourke (Baß) und Mike Joyce (Schlagzeug) ein solides Sound-Fundament einbringen. In dieser Besetzung nimmt das Quartett die ersten Singles auf, von „Hand In Glove“ über „This Charming Man“ (beide 1983) bis zum poppigen „What Difference Does It Make“, dem ersten Top Ten-Hit der Smiths (1984). Das erste Album trägt als Titel schlicht den Bandnamen und zeigt auf dem Cover den nackten Oberkörper des Schauspielers Joe Dallesandro, während die Musik zwischen Underground-Pop und Folk-Rockabilly pendelt.

Die Smiths sind einzigartig, weil ihre Musik keiner bestimmten Ära angehört und nicht Ausdruck eines bestimmten Syndroms ist. In der musikalischen Sphäre stehen wir absolut allein dal“, erzählt mir ein selbst-überzeugter Morrissey im Erscheinungsjahr der Debüt-LP. Berühmt werden die Bühnenauftritte des Sängers. Während vor der Bühne junge Engländerinnen kreischen, läßt er einen Strauß Gladiolen durch die Luft kreisen.

Das reguläre zweite Studio-Album der Smiths trägt den eindeutigen Titel Meat Is Murder. Im Titelsong dokumentiert Morrissey seine Einstellung: Er haßt den Fleischfresser.

Januar 1985: Innerhalb der Band tauchen erste Spannungen auf; Morrissey will, daß der Bassist Andy Rourke die Gruppe verläßt, weil Rourke mit seiner Heroin-Sucht mehr zu kämpfen hat als mit der musikalischen Entwicklung der Smiths. Johnny Marr ist dagegen. Das folgende Jahr bringt The Queen Is Dead, das politischste Album dei Smiths, in dem sie sich provozierend zur Lage der britischen Nation äußern. Im April ’86 verläßt Rourke die Smiths, für ihn kommt Craig Gannon (Ex-Aztec Camera, Ex-Bluebells).

Ein paar Wochen später treten die Smiths zum ersten Mal zu fünft auf: Mornssey, Marr, ein zurückgekehrter Rourke, Craig Gannon (jetzt Rhythmus-Gitarre) und Mike Joyce geben ein imposantes Live-Gastspiel. Ende ’86 verläßt Gannon die Smiths.

Mit Strangeways, Here We Come (Strangeways heißt das Gefängnis in Manchester) liefert die originale Viererbesetzung ihr LP-Testament ab; die persönlichen Spannungen zwischen Morrissey und Marr führten letzteren zu der Entscheidung, die Band zu verlassen.