Therapie ohne Tabu


Melissa Etheridge setzte nach dem Scheitern ihrer langen Beziehung zu Julie Cypher auf die heilende Wirkung der Musik.

Ohne die Liebe – genauer: ohne das schmerzliche Ende ihrer bisher größten Liebe – gäbe es das neue Album von Melissa Etheridge nicht. „Skin“ ist sozusagen der Soundtrack zum Scheitern ihrer „Ehe“, der Seelenstriptease einer ungewöhnlichen Durchschnittsamerikanerin, die sich vom schüchternen Landei aus Kansas zum umjubelten Rockstar wandelte – und gleichzeitig zu Amerikas Vorzeigelesbe wurde. Kein einfacher Weg, aber die 40-Jährige sagt dazu: „Es gibt nichts, für das es sich lohnen würde, in der Zeit zurückzugehen. Ich könnte nicht die sein, die ich jetzt bin, ohne die gewesen zu sein, die ich einmal war.“

Sie war schon die, die sie jetzt ist, als sie gemeinsam mit ihrer damaligen Lebensgefährtin, der Filmemacherin Julie Cypher, öffentlich das große Familienglück inszenierte, das wahrhaftig gelebte lesbische Ideal: zwei selbstbewusste, intelligente, attraktive, besser verdienende Frauen, die sich liebten und gerne eine Familie gründen wollten. Medialer Clou des Ganzen war Etheridge-Freund und Musikerlegende David Crosby, der als Samenspender den Bio-Papa machte (Julie Cypher wurde zweifache Mama). Es folgten Homestories mit und ohne Crosby, Fotos von glücklichen Menschen. Die Utopie war real geworden.

Doch auch nach dem schmerzhaften Ende dieser Beziehung mag Melissa Etheridge an dieser Form der familiären Öffentlichkeitsarbeit nichts Negatives finden: „Nein, ich bereue das nicht. Diese Bilder entsprachen ja der Wahrheit.“ Nach der Trennung schrieb Melissa Songs zwischen Aggression und Melancholie, Texte zwischen Wut und Wehmut: „Das Ganze war eine sehr persönliche Erfahrung, und somit ist die neue Platte auch ein sehr persönliches Album geworden. Es aufzunehmen, war sozusagen eine Selbsttherapie.“ Teil dieser Therapie ist auch „The Truth Is…“, Melissas Autobiografie, die sie mit Koautorin Laura Morton verfasste und die in den USA parallel zur neuen CD veröffentlicht wurde. Im Herbst geht Melissa in den LISA dann wieder auf Konzertreise. Lind obwohl sie erneut liiert ist (mit der 26-jährigen Nachwuchsschauspielerin Tammy Lynn Michaels), wird sie in ihren Songs glaubhaft die Vergangenheit aufarbeiten: „Das alles ist ja noch nicht so lange her, als dass ich mich da nicht mehr hineinversetzen könnte.“

www.melissaetheridge.com