Tom Petty


Düstere Aussichten! Wenn es nach Tom Pet ty ginge, mußten die echten Rock 'n' Roller unter Naturschutz stehen. Als einer der letzten Exemplare dieser aussterbenden Spezies kämpft er kompromißlos gegen den Niedergang der Gitarren-Kultur. Steve Lake zeichnet ein Porträt des standhaften Einzelgängers.

Na komm schon, Tom. Gräm dich nicht, Mann. Die blöden Deutschen, ahnst du das… Was haben die schon je zur ne Ahnung von Rock n‘ Roll gehabt… „

Drei GIs, die im Kollektiv in dieser kleinen Tragikomödie den Clown spielen, versuchen, ihren Landsmann zu trösten. Niedergeschlagen läßt Tom Petty die Beine baumeln. Er hockt am Bühnenrand, die Gitarre flach auf dem Schoß, den Kopf in den Händen begraben Die Heartbreakers spielen sinnigerweise gerade einen Song mit dem Titel .Breakdown“.

Die Soldaten greifen in Toms blonde Beatle-Mähne, tätscheln ihm aufmunternd die Schultern. Dann machen sich die Rausschmeißer über sie her.

Eine wahrlich peinliche Szene, die sich schon zu Beginn des Konzertes andeutet, als TP and the Heartbreakers „American Girl“ für ein unbeteiligtes und ziemlich spärliches Publikum in Münchens „Deutschem Museum“ vorlegen. Je eifriger sich Tom Petty bemüht, den Funken überspringen zu lassen, desto unwohler wird einem beim Zuschauen. Er versucht es mit kecker Unverschämtheit, er versucht, aggressiv zu wirken, seine Gesten werden immer ausfallender. Er stapft in seinen kniehohen Wildlederstiefeln über die Bühne, schwingt seine Gitarre hoch über dem Kopf, legt die Hand ans Ohr, um nach einem eingebildeten Gebrüll der Menge zu lauschen und hört doch nichts als ein ganz schwaches „Hurra“ von seinen ergebenen GI-Freunden.

Schwer, ein Held zu sein, wenn 9s keinen schert.

Das Publikum ist nicht nur kalt, es ist wie eingefroren. Aber wenn nicht die geringste Reaktion kommt, dann wirken die traditionellen Rock ’n‘ Roll-Gesten der Heartbreakers verständlichsrweise albern und impotent. Das gockelhafte Einherstolzieren in Macho-Pose, die Scheinwerfer-Spots auf die Solisten, die allgemeine Selbstdarstellung nach dem Motto „Guck doch mal, bin ich nicht toll?!“ gerät allmählich zur verkitschten Moden-Show. Natürlich wäre es keiner anderen Band besser gegangen – ein jeder sieht dämlich aus, wenn er die großen Gesten im luftleeren Raum zelebriert. Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden: Eine Zugabe wurde nicht verlangt.

Die herrliche Ironie besteht dann, daß ich den ganzen Nachmittag damit verbracht hatte, Tom Pettys Ausführungen über die Gefahren und Fallgruben von zuviel Erfolg und zuviel Ruhm anzuhören. Seit sich DAMN THE TORPEDOES, HARD PROMISES und LONG AFTER DARK ihre Bresche bis hinauf an die Spitze der Charts geschlagen haben, braucht die Band in den Staaten nur auf die Bühne zu gehen, um verzücktes Willkommensgeschrei auszulösen, beklagte sich Tom. „Das macht es uns irgendwie zu einfach, weißt du. Und darum ist es gut, in Europa zu sein. Es ist aufregend für uns, beweisen zu müssen, daß wir den Beifall wirklich verdient haben. Ich halte es für wertvoll, daß wir hart arbeiten müssen Wir lieben das. Wir nehmen’s ernst, wir sind echt, wir meinen es so.“ Tom Petty. Wenn man ihn aus der Nähe betrachtet, sieht er nicht so aufregend aus wie auf der Bühne oder auf Pressefotos. Er hat einen etwas Pferde-ähnlirhen Knochenbau, seine Zahne «erden sehr betont, so daß er Nie eine etwas plumpere Version von Joni Mitchell aussieht. Während er spricht, läuft er nicht n seinem Hotelzimmer auf und ab, sondern fällt von einem Sessei in den anderen auf jene schlappschlaksige Manonettenweise, die von Keith Richards patentiert sein dürfte und inzwischen exklusiv von Rock-Stars imitiert wird. „Penicillin“, bietet er selbst als Erklärung an – und bezieht sich offensichtlich auf den Mangel an physischer Koordination. „Ich bin total weggetreten. Das Zeug ist schlimmer als harte Drogen. Aber ich habe mir m London eine Erkältung eingefangen, und daher muß ich es lWie viele amerikanische Rock-Stars vermittelt Petty eine Art „Bah! Quatsch!“nucKieDerry r lnn-tinianigKen im Gespräch, aber das Image trügt. Im Gespräch über Erfolg and Geld widerspricht er sich häufig selbst, aber er ist doch auch ehrlich genug, über diese Widersprüche zu lachen.

„£!s ist schon ulkig“, sagt er nachdenklich. „Jahrelang arbeitet man darauf hm, berühmt zu werden. Man bettelt darum, ist verzweifelt darauf aus. Und dann stellt sich der Ruhm ein. Zuerst hat man so ein Gefühl; .Mann, verdammt wir haben’s geschafft! Wir sind Rock-Stars!‘ Und dann dreht es sich manchmal irgendwie ms Gegenteil und die Aufmerksamkeit, die man erregt, ist einem eher unangenehm als angenehm.

„Ich mache mir nichts aus Pubhcity-Veranstaltungen. Wenn ich nicht auf der Bühne stehe, lebe ich ziemlich zurückgezogen, Pflege meine Privatsphäre und hasse es, wenn man mich dann behelligt. Vor ein paar Monaten bin ich mit meiner Frau in Los Angeles ms Kmo gegangen, und die Idioten haben doch glatt den Film angehalten und angesagt, ich sei im Publikum. Würde ich bitte mal aufstehen? Furchtbar!

„Aber ich will mich auch nicht darüber beschweren. Weißt du, mir gefällt dieser ganze Trend nicht, der Mitte der siebziger Jahre mit den Punks anfing, diese Geschichte von der Entmystifizierung des Pop-Stars. Ich finde, damit geht in dem Spiel eine Menge Spaß verloren. Plötzlich will keiner mehr in einer Limousine herumfahren, weil man dadurch angeblich, den Kontakt zur Straße verliert‘. Absoluter Quatsch. Eine Limousine ist das perfekte Straßen-Image, denn sie ist es, was die Leute auf der Straße m ihren Träumen haben wollen. Nimm doch nur irgendeinen beliebigen Jungen von der Straße, Mann – wenn der nicht scharf darauf ist, in einer Limo zu fahren! Ich liebe es, ich steh verdammt mordsmäßig darauf, in Limos rumzufahren. Natürlich hat man damit nicht irgendwelche schwerwiegenden Probleme gelöst, aber es ist ein Kick! Es ist Rock ’n Roll.

„Also, es ist doch klar, als ich noch ein Kid war, da wollte ich nichts äavon hören, daß Elvis etwa so sei wie du und ich. Ich wollte glauben, daß Elvis seinen Spaß hatte, daß es ihm gut ging. Mann, ich wäre echt abgetreten, wenn ich gehört hätte, daß es ihm elend geht.“

Und das Geld?

„Sicher, das habe ich gern. Ich lebe sehr /iel angenehmer als früher. Ich bin in ziemlich bescheidene Verhältnisse geboren. Bis vor ein paar Jahren hatte ich nie Geld. Und jetzt kann ich es manchmal kaum glauben, daß ich welches habe. Alle sechs Monate gerate ich m Panik und rufe im Büro an und sage:, Ich will mein Geld sehen… auf der Stelle!‘ Aber wir machen das hier nicht um des Geldes willen. Wenn es nur um die Kohle ginge, würden wir nicht ein ganzes Jahr damit verbringen, ein gottverdammtes Album aufzunehmen. Wenn man das macht, ist es schwer, Plus zu machen. Das meiste Geld geht ohnehin in die Show…, besseres Equipment, besseres Licht und so weiter…“

Dlese Gedanken sprudeln zwar in freier Assoziation aus ihm heraus, er scheint auch gut gelaunt zu sein, aber irgendetwas an seiner Art wirkt dennoch abweisend, defensiv. Schließlich gesteht er auch ein, sich bei Interviews immer ein wenig unwohl zu fühlen.

„Ich würde viel Heber einfach spielen. So wie wir -uns jetzt unterhalten, fällt mir das nicht schwer, aber die Leute von der Plattenfirma hier sind im Moment ein bißchen sauer. Sie hatten veranlaßt, daß ich mich mit Tausenden von Leuten unterhalte, und das will ich nicht Ich kann es einfach nicht… Wenn einmal der Punkt erreicht ist, daß du sechs oder sieben oder acht Interviews am Tag wachst, und die Leute kommen gleich an der Tür schon mit immer denselben Fragen, und sie bekommen immer dieselben Antworten. Mann, ich werd‘ ja ganz irre im Kopf. Es ist, als würde man bombardiert. Trotzdem, ab und zu sollte man ein Interview geben, denn es ist ganz gut, wenn das Bild mal wieder geradegerückt wird. Ich habe mich einmal fast zwei Jahre mit niemandem von der Presse unterhalten, und da hat man mir gleich angehängt, ich sei hochmütig und arrogant. Aber das bin ich nicht.

„Aber ich denke immer: , Da ist doch die Platte. Alles, was man wissen muß, ist doch da.‘ Das Schlimmste für mich sind die oberanalytischen Journalisten, die wollen, daß ich ihnen auch noch jede verdammte kleine Ziele von meinen Songs erkläre. Ich sage immer: ,Um Gotteswillen, weiß ich nicht. Ich habe nicht den geringsten Schimmer, warum ich das geschrieben habe. Ich meine, ich kann da gerne Theorien entwickeln, aber das führt doch wohl zu nichts.“

In ähnlicher Verzweiflung schlug Tom einmal die Hände über dem Kopf zusammen und gestand einem „Rolling Stones“-Journalisten. „Es ist doch alles nur Rock ’n Roll-Wegwerf-Schrott. „

„Dafür hat man mich reichlich unter Beschüß genommen“, erin nert er sich lachend. „All diese Kids haben mir geschrieben, weil sie sich verletz! fühlten und wütend waren Aber mich lang weilt es wirklich zu Tode, was so m den Musikzeitungen über den Rock n‘ Roll geschwätzt wird zumindest in den Staaten Ich mache keine Kunst, weiß du. Ich denk‘ kaum darüber nach, was ich mache. Die Songs, die hängenbleiben, bleiben hängen, und die. die es nicht tun. tun es nicht Das war’s auch schon, mehr ist an der Sache nicht dran.“

Diese Erklärung wird jedoch Pettys Talent als Textschreiber kaum gerecht. Ohne großartige Ansprüche kann er außerordentlich lebendige Geschichten von Liebe, Eifersucht oder Rache skizzieren, die ganze Skala der Gefühle rauf und runterjagen, vermag echte Emotionen zu vermitteln, ohne den billigen Sentimentalitäten der „Reim-dich oder-ich freßdich“-Dutzendwa re anheimzufallen „Kicnug, es ist em scnmaier Grat zwischen dem Anspruch, em Dichter sein zu wollen, und dem Versuch, alles möglichst real zu belassen Und das ist mein Kriterium – ich frage mich selbst ,Ist diese Geschichte glaubhaft 7 ‚“

Er kann als Texter auch sehr witzig sein. Besonders gut gefallen mir „What Are You Doing In My Life'“, der Bericht von den Versuchen, ein anhängliches Groupie abzuschütteln. und „King’s Road“ über das Einkaufen in Londons Chelsea-Distrikl.

Endlich 1 Endlich ein Song übers Einkaufen, über die wahre Be deulung dieses Spiels!

„Der Song ist einfach nur so hmgehauen“, sagt er. „Irgendwie ernsthaft unernst. Wir haben ein paar von der Sorte. .. Die sind zur Entspannung da. Meine Vorstel lung von gelungener Rockmusik ist ohnehin, die Kurve zu kriegen zwischen, sagen wir mal. Bob Dylan und. Tutti Frulti‘ Ich würde niemals ausschließlich m nur eine der beiden Richtungen gehen Das Gleichgewicht ist ent scheidend.“

Das trifft wohl besonders zu für die allerersten Tage der Band, als sie so klingen wollten wie eine wohlgefüllte Musikbox ihrer Vorbilder – Stones, Creedence, Byrds, Del Shannon… aber inzwischen sind sie über diese Einflüsse längst hinausgewachsen. Die Heartbreakers haben einen unverkennbar eigenen Sound „Ja, ich weiß zwar verdammt nicht, wie wir das geschafft haben, aber es stimmt In den Anfangszeiten warfen wir einfach alles in einen Topf und hofften dann das Beste, und ich glaube, die Leute waren verwirrt, was unsere Identität betraf. Aber wenn man jetzt fünf Sekunden von einem unserer Songs im Radio hört… nun, das kann kein anderer sein als nur wir „

Petty läßt sich zu Spekulaho nen darüber hinreißen, daß es vielleicht nur daran läge, daß alle Konkurrenten das Handtuch geworfen haben. Manchmal, sagt er. fühlten sich die Heartbreakers wie die letzte Rock ’n‘ Roll Band. Zumindest die letzte, deren Sound von Gitarren bestimmt wird.

„Es sind die Gitarren, für die wir soviel Zeit im Studio verwenden. Es ist unheimlich mühsame Arbeit, die Gitarren auf ortgmel le Weise zusammenklingen zu lassen, und daher kann man schon verstehen, warum die mei sten Leute es vorziehen, einfach ein paar Synthesizer anzuschal ten und sich von ihnen die Stimmung der Songs liefern zu lassen .“

Er gesteht ein, im Studio eine Art Diktator zu sein, ein unduldsamer, launischer Perfekliornst, wie er sagt.

„Ich bin abscheulich wenig kompromißbereit, denn wenn ir gendwas nicht so läuft, wie ich es will, dann stelle ich mich quer und protestiere und beschwere mich, bis ich schließlich den Sound bekomme, den ich höre . . aber andere Mitglieder der Band würden dir vielleicht andere Antworten auf diese Frage geben. „

Er beteuert, daß er in sechs Jahren dem Key boardmann Benmont Tench nicht einmal musikalische Direktiven gegeben habe: “ Er spielt immer mehr, als mir eingefallen wäre Er ist wirklich der beste!“ Andererseits war sichtlich immer unter der Knute des Chefs.

„Yeah. Stanley bekommt von mir immer die harte Kante. Es ist schon übel, der Schlagzeuger zu sein, denn wenn irgendwas nicht hinhaut, bekommt immer der Schlagzeuger die Schuld. „

Pettys rigorose Qualitätskontrolle erstreckt sich auch in andere Bereiche. Auf dieser Tournee sagte er die Radioübertragung des Auftritts in Paris ab, weil ihm die Aufnahmegeräte des Rundfunks nicht gut genug erschienen. Er untersagte, daß in England ein Radio Interview ausgestrahlt wurde, weil ihm die Fragen des Interviewers nicht intelligent genug waren. Als er sich vor ein paar Jahren weigerle, in dem „No Nukes“-Film aufzutreten, geriet er in den Ruf, ein widerborstiger und schwieriger Kunde zu sein.

„Ich sagte:, Ich spiele bei dem Konzert, aber ich werde nicht über Atomkraft reden, und wenn mir unser Auftritt nicht gefällt, dann will ich nicht im Film sein ‚ Sie sagten O K. Und m der nach sten Woche sagten sie dann. , Oh… er will nicht im Film sein.. er hat uns den ganzen Film geschmissen!‘ Ich habe ihren Film nicht geschmissen, das wai doch nicht entscheidend Aber, junge, der Streifen war ziemlich beschissen, oder?“

Bis jetzt, meint er, habe es nur drei gute Rock-Filme gegeben: „Don’t Look Back“, „Gimme Shelter“ und „The Last Waltz“. Der vierte, so hofft er, wird der Dokumentarfilm über Tom Petty and the Heartbreakers sein, an dem gerade gearbeitel wird. „Aber ich will unter keinen Umständen, daß es nachher so aussieht, als sei es ein Promotion-Film, in dem alles nur positiv dargestellt ist Du weißt schon. Was für’n toller Typ ich bin und was für ne Klassetruppe von angetörnten Typen die Band ist. Ich möchte, daß viel von dem eingefangen wird, wie es wirklich ist. „

„Ich wollte eigentlich, daß die Crew auch diese Deutschland , Tournee filmt. Ich warte immer noch auf einen Anruf, ob sie nun kommen oder nicht.. .“ Rückblickend, schätze ich, muß Toni Petty eigentlich froh 3 gewesen sein, daß sie den Gig in München verpaßten.