Interview

Torsun im Interview: „Ich muss nicht der taffe Typ sein, der noch lachend in den Tod rennt“


Die allerletzten Konzerte, mit denen sich die Band Egotronic nach zwanzig Jahren Rave-Punk verabschiedet, sind kaum verhallt, da sieht sich bereits die nächste Ära eingeläutet: „Alles neu“, so der Titel der ersten Single von Torsun & The Stereotronics. Neue Band, neuer Anlauf – doch dann plötzlich schlägt eine Diagnose alle Türen zu: Krebs.

Im März 2023 verbreitet sich via Social Media eine Nachricht: Die angekündigten Auftritte der Egotronic-Nachfolgeband Torsun & The Stereotronics wird es nicht mehr geben. Torsun macht stattdessen eine Krebs-Diagnose öffentlich: „Statt Proben heißt es palliative Chemotherapie, da ich in Absprache mit meinen mir Nächsten beschlossen habe, zumindest den Versuch zu starten, dem Arsch noch ein bisschen Zeit abzutrotzen. Und hey, harte Chemo-Kuren hab’ ich schließlich jahrelang trainiert.“ Die letzte Aussage spielt darauf an, dass Torsun seit den Nullerjahren nicht nur den hiesigen Dancefloor auf links gezogen hat, sondern mit seinem wandlungreichen Act Egotronic auch abseits der Bühnen Spuren hinterließ. Allen voran als radikaler Hedonist, der das Recht auf Rausch nicht bloß einfordert, sondern zelebriert. Aber auch als Provokateur machte Torsun neben seiner Rolle als Musiker und Buchautor von sich reden: Beispielsweise stellte er eine Büttenrede über die Bombardierung Dresdens auf YouTube, sie erzeugte, wen wundert’s? – großen Wirbel. Und es gibt unzählige weitere Beispiele, denn Zuspitzen und Polarisieren, das war einfach sein Ding.

Mit SONGS TO DISCUSS IN THERAPY erschien nun das Album von Torsun & The Stereotronics. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Bei unserer letzten Begegnung erlebe ich ihn realistisch, aber noch gleichsam zuversichtlich. Das ist sein Naturell. Dennoch ist die Krankheit deutlich – und sei es nur in Form des rasierten Schädels, die ungebändigten schwarzen Haare sind der Chemotherapie gewichen.

„Songs To Discuss In Therapy“: Torsun & The Stereotronics bringen interaktiven Song zum Album
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Ende letzten Jahres hast du Egotronic aufgelöst und ihr wart auf großer Abschiedstour – hast du da schon gespürt, dass es dir gesundheitlich nicht gut geht?

Bei diesen finalen Konzerten hatte ich einen Rheumaschub (vor zehn Jahren erkrankte Torsun an Rheuma – Anm. d. Red.). Es war die Hölle, mit den einhergehenden Schmerzen so viele Konzerte am Stück zu spielen. Danach drehte auch noch mein Blutzucker durch – wegen des Cortisons, das ich gegen das Rheuma nehmen musste und als ob das nicht schon gereicht hätte, hatte ich mir noch eine Erkältung eingefangen. Ich war körperlich wirklich nicht auf der Höhe. Nichtsdestotrotz erinnere ich diese Konzerte als ganz besonders. Doch ich muss auch sagen, ich habe gemerkt, dass ich einfach keinen Bock mehr hatte.

Wegen der Schmerzen?

Nein, das meine ich nicht, ich meine diesen Entschluss, der sich für mich immer mehr verfestigt hatte: dass Egotronic für mich nach zwei Jahrzehnten einfach an ein Ende gekommen ist. Die Band war in vielen Aspekten über die Jahre halt auch eine Firma geworden – und Berufsmusiker sein, das ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn du deinen Hype hast, wie es bei uns Ende der Nullerjahre und Anfang der Zehner der Fall war, ist das gut und schön, doch danach wird man zu seinem eigenen Betrieb, so richtig mit Kassenwart, aber ohne Flexibilität. Vielleicht hätte ich alles jetzt noch mal neu aufsetzen können, aber warum? Ich habe mit Egotronic alles erreicht, was ich mir je erträumt hatte – bis hin zum Gig im Rockpalast.

Das Körperliche spielte also keine Rolle?

Ganz ehrlich? Das ist nicht ganz richtig. Mit Egotronic habe ich mich jahrelang begeistert in jeden Scheiße-Sturm gestellt. Ich hatte nie Angst, ich habe über die Zeit Hunderte oder eher Tausende Morddrohungen erhalten. Ich konnte immer über diesen Hass der Faschos lachen, deren Aufregung war für mich ein Hochgenuss. Das hatte aber auch damit zu tun, dass ich mich dank meines Kampfsporttrainings in der Lage fühlte, mich verteidigen zu können. Wir wurden mal bei einem komischen Rockfestival mit Flaschen beworfen und mein Kollege Endi wollte nicht weiterspielen – verständlicherweise –, aber ich stand bloß besoffen auf der Bühne und habe mich nicht mal geduckt. Diese Unerschrockenheit hat mich immer begleitet. Aber als mein eigener Körper sich dann gegen mich richtete, hat sich jetzt langsam die Erkenntnis durchgesetzt, dass ich einfach gebrechlich bin, dass ich mich nicht mehr wehren könnte. Da wurde mir schon vor dem Krebs und der Chemo klar, ich muss mich nicht mehr jeder Scheiße stellen. (zögert) Das soll jetzt allerdings nicht heißen, dass ich kein Großmaul mehr wäre! (lacht)

Die Prognose, mit der du rausgegangen bist, klingt sehr düster. Von einem Wiedersehen auf der Bühne müsse man sich verabschieden – dennoch hast du noch einiges angestoßen. Musik hatte dich trotz der Diagnose nicht verlassen?

Die Zusammenarbeit von mir und Christian, der bei der neuen Band Torsun & The Stereotronics dabei ist, erlebe ich als großes Geschenk. Wir ergänzen uns perfekt. Dazu kommt meine Frau Selina, die hat mittler­weile auch Interesse an Instrumenten und beschränkt sich nicht mehr nur auf den Gesang. In dieser Konstellation möchte ich unbedingt noch Musik produzieren. Wichtig ist da auch der Rückhalt des Labels Audiolith, die sich für unsere aktuelle Platte SONGS TO DISCUSS IN THERAPY gerade total reinhän­gen. Die sagen, was du noch machen willst, Torsun, das setzen wir auch um. Ich will’s jetzt mal so dramatisch ausdrücken: Solan­ge ich noch atme, solange werde ich Musik machen. Musik bestimmt mein Leben seit ich dreizehn bin und das wird sich sicher nicht gerade jetzt ändern.

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Es gibt sehr konfrontative Stücke von dir zu deiner Rheuma-Erkrankung: „Die Natur ist dein Feind“ und „Kriegserklärung (meines eigenen Körpers)“ zum Beispiel. Blickst du heute angesichts der Krebserkrankung aber noch mal anders auf den Körper, möglicherweise empathischer?

Nein, mein Körper ist ein Arschloch. Wäh­rend der Chemo erlebe ich das noch extre­mer. Wenn dieses Gift durch meine Adern rauscht, fühlt es sich sogar an, als wäre das überhaupt nicht mein Körper. Der Song „Kriegserklärung“ trifft es für mich immer noch am besten, ich war früher sehr zufrie­den mit und in meinem Körper: Ein schlak­siger Typ, aber wegen des Trainings hatte ich immer auch Muskeln – doch vor zehn Jahren begannen diese unfassbaren Schmer­zen, wie soll man das nicht persönlich nehmen? Und jetzt will der Kerl mich auch noch umbringen!

Medizinisch gefragt, steht die Krebsdiagnose in einer Beziehung mit der Rheuma-Erkankung?

Weiß man nicht. Als die Band zu meinem Beruf wurde, habe ich Probleme mit Sod­brennen bekommen, das kennen sicher viele Musiker. Es kann natürlich sein, dass ein Karzinom in der Speiseröhre getriggert wurde durch die unfassbar vielen krassen Medikamente, die ich seit zehn Jahren nehmen muss.

Stimmt es, dass du Memes über diese terminale Diagnose gebastelt und dann deinen Freund:innen geschickt hast?

Ja, als ich meinen besten Freunden die Diagnose mit­ teilen musste, habe ich selbstgemachte Memes mitge­schickt – um die Stimmung gleich schon mal etwas aufzulockern. (lacht)

Ist das gelungen?

Auf jeden Fall, ich habe Rückmeldungen bekommen, dass es den Leuten gut getan hat. Die meinten natür­lich „Alter, das kannst du nicht bringen!“, aber waren wohl beruhigt, dass ich gleich so was hinterher ge­schickt habe. Ich brauche das aber auch selbst. Also alles so trocken sehen zu können und mich darüber lustig zu machen. Allerdings will ich diese Form von Humor nicht jedem zumuten. Ein befreundeter Musi­ker hatte auf Facebook die Frage gestellt: „Was ist für euch das ‚No Future‘ des Punks?“, da hatte ich schon als Kommentar geschrieben „Krebs“ mit einem Smi­ley … aber hab’ dann doch nicht auf „Senden“ gedrückt.

Bist du wirklich so unerschrocken?

Nein, ich möchte nicht als so ein superstarker Typ gelten. Es gab auch die Momente, in denen ich ein Büschel meiner Haare in der Hand hatte und mir lie­fen die Tränen runter. Doch dann ging’s eben auch wieder und am Tag drauf hab’ ich gesagt, okay, rasier ich mir jetzt den Kopf und dann ist gut. Aber ich baste­le hier sicher nicht die ganze Zeit lustige Memes übers Sterben. Mein Anspruch ist, dass ich offen mit allem umgehen will – und nicht einfach den Schein wahren möchte. Ich muss nicht der taffe Typ sein, dem der Krebs am Arsch vorbeigeht und der noch lachend in den Tod rennt.

Du hast deine Diagnose öffentlich gemacht. Ich erinnere mich an Interviews mit schwer erkrankten Künstler:innen, denen war wichtig, dass das Außen nichts mitbekam. Krankheit ist in einer auf Funktionalität getrimmten Gesellschaft auch ein Makel, ist schambehaftet. War dir gleich klar, so transparent sein zu wollen?

Da möchte ich erst mal sagen, dass ich jedweden Umgang, die eine Person mit so einer Diagnose hat, respektiere. Auch ich habe mir dazu Gedan­ken gemacht, sah aber letztlich keine andere Opti­on. Da wir eine Tour absagen mussten, wären natür­lich Fragen gekommen – und ich hätte keinen Bock gehabt, eine Lügengeschichte zu entwerfen. Spätes­tens wenn ein Foto aufgetaucht wäre von mir ohne Haare, hätte doch jeder Bescheid gewusst. Wenn andere das alles lie­ber verbergen, kann ich es aber gut verstehen. Nur wäre das nichts für mich. Ich bin ein sehr offener Typ – das könnte ich jetzt gar nicht ändern.

Hast du dir Gedanken gemacht über die Songs, die auf deiner Beerdigung gespielt werden sollen?

Nein, aber da sollte man sich wohl wirklich mal mit auseinandersetzen. Mir wäre es jedenfalls lieb, es kämen nicht so total traurige Sachen. Ich kann mich erinnern, dass mich mal jemand angeschrieben hat, der mir von der Beerdigung seines Freundes berichtet hat und dass dort – auf dessen Wunsch – unser Song „Lustprinzip“ bei der Trauerfeier gespielt wurde. Bei der Nachricht hatte ich schon einen Kloß im Hals, auch wenn ich tatsächlich selbst schon mal dachte, das wäre ein gutes Stück für eine Beerdigung …

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Diesen Dreh weg von der sakralen Traurigkeit kann ich gut nachvollziehen, letztens habe ich mich in einem Podcast zum Thema Sterben mit Abschiedsmusik auseinandergesetzt. Bei meiner Beerdigung hätte ich gern „Eine Insel mit zwei Bergen“ von Dolls United oder „Dragostea Din Tei“ von O-Zone. Alles bloß kein Moll.

Geiler Scheiß! „Blue“ von Eiffel 65 fällt mir noch ein, oder es läuft „Pump Up The Jam“ … tolle Idee. Ich kann mir zumindest kein Szenario vorstellen, dass man zu so einem Soundtrack weinen könnte.

Obwohl, vielleicht dann gerade?

Ja, wer weiß … Na, auf jeden Fall soll kein pathetisch aufgeladener Kram gespielt werden, so was wollte ich schon bei unserer Hochzeit nicht. Das darf dann erst recht nicht bei der Beerdigung sein.

SONGS TO DISCUSS IN THERAPY  erschien am 12. Mai 2023. Hört hier rein:

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