Trümmer


Paul Pötsch kann es nicht glauben. Gerade habe ich ihm gesagt, dass das erste Album seiner Band Trümmer weniger politisch geworden ist, als ich erwartet hatte. „Hättest du dir einen Song über die Flüchtlingsdramen in Lampedusa gewünscht oder so?“, fragt er. „Ich finde, die Platte ist sehr politisch.“ Bassist Tammo Kasper sieht das ähnlich: „Es ist natürlich kein Parteiprogramm und keine Handlungsanweisung für einen Straßenkampf. Aber die Themen sind durchaus politisch.“

Es stimmt schon: Wenn Pötsch über Jugend und Liebe, Euphorie und Langeweile singt, dann geht es auch um gesellschaftliche Umbrüche. „Komm, wir sehen uns später auf den Barrikaden“, heißt es an einer Stelle. „Ich setz das Land in Brand“, an einer anderen. Alles muss zerstört werden, damit es einen Neuanfang geben kann -Trümmer sind euphorisiert von dieser Idee und gleichzeitig frustriert von einer Generation, die nichts gegen die Krisen und Kriege ihrer Zeit unternimmt. „Ich dachte immer, Jungsein heißt, dagegen sein“, singt Pötsch. Aber wogegen? „Was schlecht ist, zeigt sich feinverästelt in vielen verschiedenen Dingen“, erklärt er. „Es lohnt sich, zu sagen: ‚Wenn alles in Schutt und Asche liegt‘, weil wirklich alles gemeint ist. Wir leben in einem Dauerzustand der Krise. Man hat das Gefühl: Eigentlich ist doch alles im Arsch.“

Pötsch ist niemand, der so etwas leichtfertig sagt. Im Gespräch zitiert er den deutschen Soziologen Armin Nassehi („Der Ausnahmezustand ist mittlerweile der Normalfall“) ebenso wie Herbert Grönemeyer („Stillstand ist der Tod“). Über Letzteres muss er dann aber selbst schmunzeln. Mit seinem Seitenscheitel und den mandelförmigen, wachsamen Augen sieht Paul ein bisschen aus wie der junge Jochen Distelmeyer. Der Vergleich mit Bands wie Blumfeld oder den Goldenen Zitronen liegt ohnehin auf der Hand. Trümmer haben sich vor zwei Jahren in einer Szene formiert, die im Umfeld von Hamburger Clubs wie dem Golden Pudel und dem Golem agiert. Bands wie Der Ringer, Messer oder das Riot-Grrl-Duo Zucker haben nicht nur ähnliche Namen: Man ist befreundet, tourt zusammen, teilt dieselbe Haltung.

Musikalisch zieht aber jeder sein eigenes Ding durch. Trümmer sind unter ihren Mitstreitern die kommerziellste Band. Ihre Melodien sind dramatisch, tanzbar, fürs Radio und die Festivalbühne erdacht. Paul Pötsch nennt es moderne „Volksmusik“ und meint das so, wie Rio Reiser den Begriff verwendet hat: Musik, die nicht nur ein paar Eingeweihte, sondern ein breites Publikum ansprechen soll. „Vor zwei Tagen haben wir auf Sylt gespielt“, sagt Pötsch. „Das war eigenartig. Den Leuten hat es gefallen, obwohl wir radikale Inhalte von uns gegeben haben -aber eben eingebettet in Popsongs.“ Und die funktionieren auch losgelöst von politischen Absichten als romantische Hymnen an die Jugend. „Vor uns liegt immer noch mehr als hinter uns“, singt Paul Pötsch. Die Revolution kann ruhig noch ein bisschen warten. Album kritik S. 96

Vor vier Jahren spielte Paul Pötsch unter der Regie des Goldenen-Zitronen-Sängers Schorsch Kamerun im Stück „Vor uns die Sintflut“. 2013 traten Trümmer als junge Version der Goldenen Zitronen in deren „Scheinwerfer und Lautsprecher“-Video auf.

Seit 2012 betreiben Tammo Kasper und BandManager Henning Mues ihr eigenes Label Euphorie, das neben Trümmer auch Der Ringer und Zucker beheimatet. Helge Hasselberg, der das Debütalbum von Trümmer aufgenommen hat, wird die Band künftig als Tour-Gitarrist verstärken.

Klingen wie: Fotos, Messer