Udo Lindenberg


Udo Lindenberg und der real existierende Sozialismus: ein Kapitel für sich. Was die Sowjetunion bewog, dem Rocker den Sonderflug nach Moskau zu gestatten, während der Zug nach Pankow zu den Brudergenossen noch immer auf dem Abstellgleis rostet, scheint so unergründlich wie die Weiten Sibiriens. Souveräne Geste der Supermacht anläßlich der Weltjugendfestspiele? Doch Vorsicht schien geboten, denn Udo ist gewiß kein Jubelrocker, der unbesehen den Sowjetsozialismus preist.

So bleiben die Irritationen auch diesmal nicht aus. Genosse Theaterdirektor erhebt Einspruch gegen Lindenbergs Phonstärken, er ist besorgt um den Stuck und fürchtet Vibrationen vielleicht aber auch die Entweihung des Musentempels. Kurzfristig wird das Konzert ins Akademische Künstlertheater des Gorki-Theaters verlegt. U- und E-Kultur bleiben auch hier sauber getrennt. Gottseidank, meint ein West-Besucher, ist der ideologische Graben doch nicht so groß.

Aber sonst geht alles seinen sozialistischen Gang. Der Verteilungsmodus der Eintrittskarten ist bekannt. Linientreue und West-Resistenz scheinen die günstigsten Voraussetzungen zu sein, um in den Besitz eines Bidets zu kommen.

„Galaabend“ nennt sich die Veranstaltung; bundesdeutsche Fernseh- und Journalisten-Präsenz signalisiert Bedeutungsvolles. Udo steht in der Reihe der auftretenden Künstler, unter ihnen die Gruppe Espe mit jiddischen Liedern und Franz Xaver Kroetz, an letzter Stelle. Während sich auf der Bühne noch zwei Newcomer abquälen, herrscht in Udos Garderobe professionelle Coolness. Kroetz, von seinem Auftritt wieder zurück, nuckelt an seiner Pfeife und schaut gelangweilt dem Treiben zu. Udo wirft einen letzten Blick auf das Outfit seines Panik-Orchesters, hätte hier und da noch gern eine Korrektur gewünscht, denn auch Panik will geplant sein.

Die aber bricht auch dann nicht aus, als mit Höllenlärm, Lichtspektakel und Nebelgewaber Udo auf der Bühne erscheint. Da ist er nun, der Welt-Held, und singt vom steigenden Fieber in den Straßen, während die Temperatur im Saal sich trotz des für sowjetische Verhältnisse gigantischen Aufwands an Technik (die eigens mit zwei Trucks aus West-Germany angekarrt wurde) konstant hält. Udo singt von Kältezonen – und ebendiese scheinen zwischen ihm und einem Teil des Publikums das Klima zu bestimmen. Wenn auch hier und da das Sowjetreich in subtiler Form sein Fett abkriegt, regt sich niemand auf, denn wer versteht’s schon. Die Texte werden, von einer Ausnahme abgesehen, nicht übersetzt.

Aber auch sonst: no danger. Udos stellenweise laszive Choreographie richtet keinen Schaden an. Und wenn auch das Hügelchen unter Lindenbergs Hose nicht die Hasenpfote eines Bolschoi-Tänzers ist, wird kein Komsomolzinnen-Höschen naß. Was da vibriert, ist allenfalls das Bauchfell der finster dreinblickenden Kultur-Apparatschiks bei Lindstärke 10.

Auch beim Großkonzert im Gorki-Park vor über 5000 Menschen wandelt sich das Bild nicht. Die hinteren Ränge sind ein einziger Kälteblock, der auch dann keinen Beifall spenden will, als Udo mit einer der populärsten Sängerinnen der Sowjetunion zum gemeinsamen „Sag‘ mir wo die Blumen sind?“ anhebt. Der hinter mir sitzende, mit penetranter Gleichgültigkeit in der Prawda lesende Sowjetbürger würdigt Udo nicht eines Blickes, als er die Mär vom Overkill erzählt, in der er, wieder ganz der ehrliche, gradlinige Udo, Ost und West gleichermaßen ihre Wahnsinnspolitik um die Ohren haut.

Aber alle scheinen zufrieden. Die Gastgeber haben ihr liberales Mäntelchen, und Udos cleveres Management hat die Public Relation im Westen. Kurz vor Udos Deutschland-Tournee könnte der Zeitpunkt des Spektakels nicht besser gewählt sein.

Udos Sowjetreise war neben gut gemeinter Friedensshow gewiß auch ein Lehrbeispiel kapitalistisch-sozialistischer Symbiose. Und eins scheint sicher, Udo. Die lassen dich wieder rein. Back to the USSR. Derweil kann der Sonderzug nach Pankow ja noch warten.