Unbeugsamer Vertreter


In einem Alter, in dem sich andere Musiker längst zur Ruhe setzen, bleibt Neil Young das, was er stets gewesen ist: der rastlose Rocker. Mit flotten 51 betritt er nach nur kurzer Pause nun wieder die Bühne. Jim Jarmusch liefert den Film dazu.

Mein Gott, das ist ja ein Wahnsinnswald! Bäume vom Maß mittlerer Wolkenkratzer. Trotzdem gelingt es der kalifornischen Sonne, ein paar wärmende Strahlen auf den weichen Boden herabzuschicken. Aus dem Kamin einer Blockhütte, dem „Mountain House Restaurant“, dringt Rauch, der die Luft mit dem Duft von Holzkohle und gegrilltem Fleisch erfüllt — Redwood bei San Francisco und das perfekte Idyll. Wären da nicht 30 Journalisten aus aller Herren Länder, die allesamt nur ein einziges Ziel vor Augen haben: das definitive Interview mit den Herren Young und Jarmusch zu führen — gleichzeitig, versteht sich. Nur ein paar Auserwählte haben die Möglichkeit, alleine mit den beiden Popgrößen zu sprechen. Anlaß dazu gibt es freilich genug: Neil Young und seine langjährige Begleitband Crazy Horse veröffentlichen in diesen Tagen das live aufgenommene Doppelalbum „Year Of The Horse“ (siehe Plattenteil) und gehen zudem auch wieder auf Tournee. Zeitgleich läuft zudem in den Kinos ein Dokumentarfilm über Young und seine Musiker an, gedreht von Kultregisseur Jim Jarmusch und der Einfachheit halber unter dem gleichen Titel wie Youngs neue Platte.

Apropos Platte, die Songs auf „Year Of The Horse“ wurden allesamt während der letztjährigen Tournee von Young und seiner Band mitgeschnitten. War es denn beim reichen Fundus von Neils Liedern nicht schwierig,für die Konzerte (und die Platte) die passenden Songs auszuwählen? Ein Frage, die Young scheinbar völlig unberührt läßt:“lch hatte für die Konzerte nur jene Songs ausgewählt, mit denen ich zu diesem Zeitpunkt etwas anfangen, in die ich sozusagen eindringen konnte. Wenn ich Aufgaben dieser Art lösen kann, dann werden auch die Konzerte gut. Ich muß eben nur die richtigen Songs finden.“ Und woher weiß man, welche die „richtigen“ Songs sind? „Das merke ich, wenn ich sie einübe.“ Und was ist dann zum Beispiel mit „Tonight’s The Night“, einem Lied, das Young mal spielt, mal aber auch nicht? „Diesen Song spiele ich nur, wenn ich mich wirklich wohl dabei fühle. Das hängt wirklich von der jeweiligen Situation ab —und natürlich von der Reaktion des Publikums.“ Neil Young, die sensible Seele?“Meine Songs sind auf die eine oder andere Art sehr emotional geprägt. Deshalb muß ich bei jedem Lied in der richtigen Stimmung sein, sonst kann ich es einfach nicht spielen. Das schlimmste ist, wenn ich zu Beginn eines Songs merke, daß ich einen schlechten Tag erwischt habe. In solchen Fällen habe ich für ein paar Minuten ein echtes Problem.“

Sensibilität hin, Probleme her—die Musik von Neil Young ist wie sie nun mal ist: vergleichsweise einfach, jedoch enorm einfühlsam strukturiert, roh bisweilen und laut und inzwischen so anachronistisch, daß sie fast schon wieder revolutionär wirkt. Eine Art Ur-Rock’n’Roll,der kleinste gemeinsame Nenner, der keiner Mode unterliegt und daher zeitlos modern bleibt. Nur sehr wenige Beobachter wollen über die Jahre eine Veränderung bemerkt haben. Neils Vater Scott zum Beispiel, im Film von Jim Jarmusch für wenige Sekunden zu sehen, meint:“Die Musik scheint besser und besser zu werden.“ Dabei muß es sich wohl um feinste Graduierungen handeln,denn Crazy Horse wollen eigentlich gar nicht besser werden.“We don’t wanna be good“, grölen sie auf dem neuen Album in der Anti-Musikbranchen-Hymne „Prisoners (Of Rock’n’Roll)“. Und das so inbrünstig, daß man es ihnen gerne glauben möchte. Die Zusammenarbeit mit Crazy Horse Ralph Molina (Drums),Frank’Poncho’Sampedro (Rhythmusgitarre) und Billy Talbot Neil Young & Crazy Horse im Wald von Redwood in Kalifornien und ist für Young über die Jahre immer wichtiger geworden. So sagt er in Jarmuschs Film:“Je älter ich werde, desto mehr merke ich, wie besonders die Zusammenarbeit mit diesen Musikern ist.“ Woran liegt’s? „An der Mischung unserer Charaktere“, meint Young und lehnt sich entspannt zurück. Und diese Mischung hat, wie die Jungs von Crazy Horse meinen, im Laufe der Zeit mit Blick auf den Sound der Band tatsächlich einiges verändert? „Das ganze ist ein evolutionärer Prozess. Der Sound hat sich verändert, indem er eine neue Dimension bekommen hat. Ich kann selbst nicht genau erklären, wie das passiert ist. Wir versuchen jeden Tag aufs neue, es herauszubekommen. Wahrscheinlich bleibt es aber dabei: Obwohl wir schon so lange zusammen spielen, ist jeder Tag für mich ein neuer Tag.“ Gehören dazu auch Reibereien mit der Band? Hat Neil Young sich mit den Jungs von Crazy Horse früher mehr gestritten als heute? „Es ist immer noch das gleiche wie am Anfang. Die Reibung gehört einfach dazu. Ich halte das für normal, es ist ein Teil des Lebens, ein Teil der Musik. Aber wir kämpfen für dasselbe Ziel. Wir haben inzwischen nahezu alles erlebt, was in diesem Geschäft passieren kann. Trotzdem macht es uns immer noch Spaß, Musik zu machen. Das ist es, was uns antreibt.“

Was den großen Neil Young gewiß nicht antreibt, sind irgendwelche Etiketten, die ihm und seiner Musik aufgepappt werden. Wie letzthin zum Beispiel, als Young, weil es gerade einem inzwischen wieder ad acta gelegten Trend entsprach, als „Godfather Of Grunge“ bezeichnet wurde. Wie steht der Meister selbst zu fragwürdigen Titeln dieser Sorte? „Für derlei Dinge fühle ich mich nicht verantwortlich. Das geht nur diejenigen Leute etwas an, die sich solche Bezeichnungen ausdenken. Andererseits finde ich es lustig, so genannt zu werden. Aber wer weiß schon, wie lange ein Titel wie ‚Godfather Of Grunge‘ überhaupt Bestand hat. Das sind doch alles nur Zeiterscheinungen.“Genauso wie der Grunge selbst. Kann Young eigentlich näher bestimmen, wann diese Musikrichtung erstmal zutage trat? Er kann:“Mit dem ersten Album von Crazy Horse. Am Ende von ‚Cineman Girl‘ begann ‚Don Grungeo‘.“ Und welches Verhältnis hat Young zu jüngeren, ihn oft bewundernden Musikern? Leute, mit denen er bisweilen sogarzusammen auf der Bühne steht?“lch ziehe sie alle über den Tisch. Sie werden große Stars, kriegen aber kein Geld. Das behalte ich.“ Während Young sich über diesen Scherz noch königlich amüsiert, vergeht ihm bei einem anderen Thema das Lachen auf der ganzen Linie.

Eine Woche vor dem Interview-Termin im wundervollen Wald von Redwood hatte es einen „Skandal“ um Young gegeben. Auslöser war die Aufnahme von Buffalo Springfield (deren Mitglied Neil Ende der 6oer Jahre war) in die berühmte „Rock’n’Roll Hall of Fame“. Alle Alt-Buffalos, Stephen Stills, Dewey Martin und Bruce Palmer erschienen zu der Zeremonie, einem Dinner in Cleveland, bei dem die 1.400 Gäste 1.500 Dollar pro Gedeck bezahlen mußten und dessen Verlauf vom Musiksender VH-i gefilmt und ausgestrahlt wurde. Wie gesagt: Alle erschienen bis auf einen: Neil Young. In einem Schreiben an das „Hall of Fame“-Komitee hatte er sein Fernbleiben so begründet:“Es ist eine VH-1-Fernsehshow, die nicht das geringste mit Rock’n’Roll, aber sehr viel mit Geldverdienen zu tun hat.“ Beim Interview nochmals auf den Vorfall angesprochen, meint Young, nicht eben entzückt:“lhr habt doch meinen Brief an das Komitee gelesen, oder? Na also. Da steht doch alles drin. DasThema ist im Grunde längst den Bach runter.“

Sehr viel lieber spricht der Meister da schon über seine Musik. Darüber zum Beispiel, warum er bei seinen Konzerten (wie jetzt auch wieder in Deutschland) so viele alte Songs spielt: „Weil sie mir immer noch etwas bedeuten. Außerdem kann ich sie auf verschiedene Arten interpretieren. Aber wir haben auch ein paar brandneue Songs im Gepäck, die Crazy Horse bisher noch nie gespielt haben. Früher habe ich bei Konzerten eigentlich nur neue Songs gespielt, und wenn ich dann wieder zu Hause war, habe ich ein Album mit diesen Songs aufgenommen. Aber die Umstände haben sich völlig verändert, nicht zuletzt durch das Internet und die Bootlegs.“ Und Young fährt fort: “ Wenn ich heute einen Song spiele, der noch nicht fertig ist, muß ich damit rechnen, daß er mitgeschnitten und hundertfach kopiert wird. Dann wird er möglicherweise falsch verstanden, existiert in einer Version, die ich noch nicht gut finde, kursiert aber in der ganzen Welt, lange bevor er eigentlich auf Platte herauskommen soll. Deshalb muß ich mit neuen Songs sehr vorsichtig umgehen, muß aufpassen, daß sie erst dann erscheinen, wenn sie wirklich fertig sind. Die Leute nämlich, die Rohmaterial auf den Markt bringen, scheren sich einen Scheißdreck darum, ob die Songs fertig sind oder wie sie aufgenommen werden.“

Ganz anders Jim Jarmusch. Dem Kultregisseur ist es alles andere als egal, wie seine Filme beim Publikum ankommen. Wohl auch deswegen hat sich zwischen dem Musiker Young und dem Regisseur Jarmusch über die berufliche Ebene hinaus ein besonders enges Verhältnis entwickelt. „Wir sind Freunde und haben viel Spaß zusammen“, erzählt Neil,“außerdem liebe ich Jims Arbeit.“ Bei so viel Lob möchte der Filmemacher natürlich nicht zurückstehen:“ln Ohio.als ich noch ein Teenager war, habe ich mir die LP „Everybody Knows This Is Nowhere“ gekauft. Es war mein erstes Album, und ich mag es noch immer. Die Musik von Crazy Horse habe ich die ganze Zeit über verfolgt, natürlich auch die von Neil Young. Aber die Musik, die mich am direktesten angesprochen hat, war immer die von Neil und Crazy Horse.“ Im Gespräch wird deutlich, daß Jarmusch für den 51jährigen Young eine tiefe Bewunderung empfindet: „Neil läßt sich von dem leiten, was erfühlt, nicht von äußeren Dingen. Er ist seit vielen, vielen Jahren wirklich real. Das hat mich immer fasziniert.“

Mit dieser Meinung steht Jarmusch nicht allein. Neil Young, so viel steht fest, ist überdie Jahrzehnte hinweg zur lebenden Legende geworden. Ein Grund mehr.ihn und seine Band auch in die Kinos zu bringen. Trotzdem: Kann sich ein Film über das Phänomen Neil Young & Crazy Horse nicht zwangsläufig nur an der Oberfläche bewegen? Jarmusch bleibt selbstkritisch:“Ja,das ist sogar ganz sicher so.Aber es warauch nicht unsere Absicht, das Mysterium Crazy Horse auf irgendeine Art und Weise psychoanalytisch zu demaskieren. Vielmehr war der Film ein Versuch, ein Rock’n’Roll-Movie für all jene Leute zu machen, die Crazy Horse mögen. Diese Leute bekommen einen Film mit viel Musik und ein paar Einblicke in das Leben der Menschen,die diese Musik machen.“ War es denn nicht problematisch, zwei unterschiedliche Formate unter einen Hut zu bringen, das des Konzertfilms und das der Dokumentation? Dieser Film ist weder eine Dokumentation, noch ein Konzertfilm“, meint Jarmusch,“es ist eher so etwas wie ein Rock’n’Roll-Movie.“

Was eigentlich treibt Jarmusch, als Regisseur zu arbeiten:“lch mache gerne Filme, weil sie eine sehr schöne Kunstform sind. Dabei sehe ich mich als Geschichtenerzähler. Das Tolle am Film ist, daß er so viele unterschiedliche Elemente in sich vereint: Sprache, aber auch Komposition und Rhythmus wie in der Musik und in gewisser Weise auch in der Literatur. Nur.die Musik ist viel direkter. In mancherlei Hinsicht ist Musik meine Lieblingskunstform. Durch sie erhalte ich Inspiration und Energie, viel mehr als durch Literatur, Film, Malerei oder andere Künste.“ Ist Jarmusch denn dann nicht zwangsläufig manchmal eifersüchtig auf Neil und seine Musik? „Nicht unbedingt eifersüchtig. Aber manchmal denke ich, daß ich ursprünglich mal zum Musiker bestimmt war. Und ich habe ja auch mal Musik gemacht, in den späten 7oern und den frühen 8oer Jahren. Irgendwie bin ich aber dann vom Weg abgekommen. Letztlich bin ich heute aber glücklich, daß ich mich in meinen Filmen ausdrücken kann,“ betont Jarmusch. Und kein bißchen Bedauern darüber, daß er es nicht selbst noch zum Profimusiker gebracht hat? „Der Vorteil des Musikers ist, daß er sich hinsetzen kann, ein Instrument in die Hand nimmt, losspielt und sofort starke,tiefgehende Emotionen erzeugen kann. Einen Film zu machen dagegen, dauert ungefähr zwei Jahre. Es gibt da so viele Details, die man beachten muß. Und wenn der Film dann endlich fertig ist, hat man sich verändert. Man ist nicht mehr derselbe,der man war, als man den Film in Angriff genommen hat. Es liegt auf der Hand, daß manche Leute sich dann über diesen veränderten Menschen wundern. In so einem Fall habe ich schlechte Karten, weil ich mich zu diesem Zeitpunkt partout nicht mehr daran erinnern kann, wann und wie es zu den Veränderungen gekommen ist und warum ich in der Zwischenzeit ein anderer Mensch geworden bin.“

Freunde sind Jim Jarmusch und Neil Young spätestens seit Jims Film „Dead Man“, zu dem Neil die Musik beisteuerte. Doch anders als Jarmusch scheint Young über all die Jahre seines künstlerischen Schaffens ganz der alte geblieben zu sein. Zum Interview in Redwood jedenfalls ist er so erschienen, wie man es von ihm erwartet: Jeans, Turnschuhe und unter dem obligatorischen Karohemd ein weißes T-Shirt Neil Young eben.

Wie sein Kumpel Jim für die Musik, pflegt Neil umgekehrt eine Passion für den Film:“Ich bin ein regelrechter Film-Junkie. Am liebsten würde ich alles filmen, was um mich herum passiert. Im Laufe der Jahre habe ich Unmengen von Material gesammelt, weil ich eben alles dokumentieren möchte. Inzwischen besitze ich eine riesige Bibliothek mit Filmen und Videos unserer Live-Auftritte natürlich auch, weil ich die jeweiligen Fortschritte festhalten möchte.“ Und wer hat die alten Aufnahmen für den neuen Film ausgewählt? „Wir haben für Jim eine sehr begrenzte Vorauswahl aus dem alten Filmmaterial getroffen“, erzählt Young. „Wenn wir ihm alles gegeben hätten, wäre er wohl immer noch nicht fertig. Deshalb haben wir über verschiedene Sequenzen gesprochen, die ich für gut hielt.Jim hat dann entschieden, sich auf das Material aus den Jahren 1976 und 1986 zu beschränken.Obwohl es sich dabei nur um zwei Jahre handelt, gab es selbst aus dieser begrenzten Zeit eine Menge Material. Jim hat sich dann die Sachen herausgepickt, die er für wichtig und richtig hielt. So hat er zum Beispiel ein paar Sequenzen aus dem Film ‚Muddy Tracks‘ übernommen. Andere Sachen sind bisher unveröffentlicht und stammen aus dem Jahr 1976.“

Jarmusch, diesen Eindruck vermittelt er zumindest beim Interview in Redwood, ist mit dem Endergebnis, seinem Film eben,durchaus zufrieden. Kritische Worte fallen trotzdem. So meint Crazy Horse-Rhythmusgitarrist Frank ‚Poncho‘ Sampedro: „Ich hätte mir gewünscht, der Film würde weniger Musik bringen und statt dessen mehr Hintergrund zeigen,Teilweise kommen wir als giggelnde Clowns rüber. Niedlich. Aber wir sind nicht niedlich. Wir sind Hardcore Motherfuckers.“ Auf diese Kritik angesprochen, verzieht Jim das Gesicht: „Das ist Ponchos Problem.“ Danach schweigt er, leicht angesäuert, und überläßt seinem Kumpel Neil das Wort:“Ja ja, Poncho kommt zu niedlich rüber. Wir anderen aber sind gut getroffen“, meint der Meister und hakt dieses heikle Thema damit ab.

Richtige Aufregung ob der kritischen Anmerkung von Poncho mag denn auch gar nicht erst aufkommen. Warum auch? Jarmuschs Film, 107 Minuten lang und gespickt mit vielen schmackhaften Häppchen, ist für Young-Fans ohnehin ein gefundenes Fressen. Eine Hälfte des komplett in Schwarzweiß und vorwiegend in grober Super-8-Oualität gedrehten Werkes konzentriert sich auf je ein

Konzert in Frankreich und Amerika, aufgenommen während der 1996er-Tournee. Die andere Hälfte zeigte rare Momente aus den Jahren 1976,1986 und 1996. Highlights: Die jungen Crazy Horses fackeln im Hotel versehentlich einen Papierblumenstrauß ab, streiten sich über vermasselte Songs oder hören im Tourbus Jim Jarmusch beim Rezitieren drastischer Szenen aus dem Alten Testament zu. Neils Kommentar dazu: „Gott muß wirklich sauer auf die Menschheit sein, daß sie sich nicht so entwickelt hat, wie er sich das mal vorgestellt hat.“ Er selbst, sagt Young, habe einmal eine ähnliche Erfahrung gemacht: „Ich pflanzte ein paar Bäume, aber es wuchsen völlig andere, als ich erwartet hatte. Da habe ich sie abgeholzt. Wie Gott…“

Sieht man von derlei Sequenzen aus dem Film einmal ab, wartet Jarmuschs Werk auch mit ernsten, ja sogar mit traurigen Momenten auf. So äußern sich alle Bandmitglieder zum ersten Mal vor laufender Kamera zum Tod von Gitarrist und Crazy-Horse-Gründungsmitglied Danny Whitten, der im Jahre 1972 an einer Überdosis Heroin starb, sowie zum Hinscheiden ihres langjährigen Produzenten David Briggs,der 1995 einem Krebsleiden erlag. Drummer Ralph Molina: „Ein unersetzlicher Verlust.“Kein Grund jedoch, die Musik an den Nagel zu hängen. Immerhin warten zahlreiche Songs von Neil Young immer noch darauf, überhaupt das Licht der Musikwelt zu erblicken. „Wieviele Songs fertig sind, aber nie aufgenommen wurden beziehungsweise wieviele aufgenommen aber nie veröffentlicht wurden?“ fragt Young mit einem Schmunzeln auf den Lippen — und gibt auch gleich die Antwort: „Ich weiß es selbst nicht genau, aber es werden wohl 45 bis 60 Stücke aus den zurückliegenden 30 Jahren sein. Die meisten davon werden auch noch veröffentlicht.“

Apropos veröffentlicht. Wie steht’s denn um die Pläne für die ultimative Neil Young-Archivbox? Ist mit dem umfangreichen Werk denn wirklich noch in diesem Jahrhundert zu rechnen? „Gut möglich“, meint der Meister, ohne daß dabei direkter Handlungsbedarf seinerseits erkennbar würde.“Es ist gut, daß die Aufnahmetechnik speziell die zur Umwandlung von Aanalog- in Digitalmaterial erheblich weiterentwickelt wurde. Auf der anderen Seite hat sich die Technologie zum Abspielen des überarbeiteten Materials nicht weiterentwickelt.“ Dennoch ist Neil Young mit der augenblicklichen Situation nicht gänzlich unzufrieden: „Immerhin kann ich die alten Songs inzwischen wenigsten digital, also in besserer Qualität aufnehmen. Dementsprechend war es gut, daß ich so lange gewartet habe. Wir haben Songs in unterschiedlicher Geschwindigkeit mit 24-Bit-Technik aufgenommen. Aber leider ist der Digitalstandard immer noch nicht festgelegt. Ich denke, man sollte sich jetzt einigen, ob die 24-Bitoder die 48-Bit-Technik Standard werden soll. Das Problem dabei ist, daß Musik, die bereits digital aufgenommen wurde,dem festzulegenden Standard angeglichen werden muß. Ich hoffe, daß es eine Lösung dafür gibt, bevor unser Material veröffentlicht wird.“

Wie auch immer. Sicher ist, daß Neil Young immer nur das machen wird, was er selbst für richtig hält, was sich mit seiner Bewertung und Auffassung der Gegebenheiten vereinbaren läßt. Ein bewundernswerter Zug, denn wieviele Musiker gibt es noch, die nicht den einfachsten, sondern konsequent ihren Weg gehen, wieviele,die nicht den Bequemlichkeiten des Luxus‘ erliegen? Nur sehr wenige, und Neil Young ist sich dessen bewußt. Das beweist auch seine Antwort auf die letzte Frage des Interviews: „Warum ich wieder auf Tournee gehe,obwohl ich erst letztes Jahr unterwegs war? Ganz einfach: Weil ich es für richtig halte.“