Under Pressure die 80er Jahre


Der kreative Kollaps David Bowies in den achtziger Jahren gehört für viele Beobachter zu den großen Rätseln der Rockmusik. Tatsächlich erscheint es zunächst seltsam, wie jemand, der vorher Trends so genial antizipierte, sie sich auf magische Weise zu eigen machte, so tief fallen konnte, dass eine Zeit lang nur noch der Eindruck eines erschreckend banalen Barden übrig blieb. Dabei ist es gar nicht so schwierig, eine Erklärung zu finden – auf dem besten Album aus dem schwierigsten aller Bowie-Jahrzehnte: scary Monsters war eine letzte große Synthese aus unterkühltem Glamrock und schrillen New-Wave-Rhythmen, gepaart mit Paranoia und Verzweiflung. Das Album enthält versteckte autobiografische Hinweise, etwa in „Ashes To Ashes“. Erneut spielte Bowie mit der Major-Tom-Metapher aus „Space Oddity“ als Synonym für Drogenabhängigkeit:

,Ashes to ashes,funk tofunky, we know Major Tom ’s ajunlde, hung out in heaven ’s high hitting an all-time low.“ Der Stoff, aus dem häufig Popstaraäume sind, hatte für den Thin White Duke also ausgedient. Auch die Texte von „Fashion“ und „Teenage Wildlife“ deuteten an, dass Bowie einen Lebensabschnitt als beendet ansah. Was danach kam, war ungleich nüchterner und zum Teil schockierend schwach. Aus Ziggy Stardust wurde Otto Normalrocker. Ein Song hieß sogar „Zeroes“ -bezeichnender geht es kaum.

Eine Simple Statistik untermauert Bowies Niedergang in dieser Epoche. In den siebziger Jahren veröffentlichte er zwölf reguläre Alben, in den Achtzigern nur noch fünf. Zunehmend verlegte er seine Aktivitäten auf Nebenschauplätze. Zum Zwecke der geistigen Sammlung, wie es hieß. Mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin nahm er Musik für eine BBC-Produktion zu Bertolt Brechts Theaterstück „Baal“ auf. Einzelne Songs erschienen auf verschiedenen Soundtracks, das anämische „This Is Not America“ etwa auf dem von „The Falcon And The Snowman“. Außerdem tat er sich kurzzeitig mit anderen Stars zusammen. „Under Pressure“ mit Queen fiel noch positiv auf, die für das „Live Aid“-Konzert mit Mick Jagger eingespielte Version des Motown-Klassikers „Dancing In The Streets“ weniger. Bowie trug sich Mitte der Achtziger vorwiegend als Markenartikel in Prominentenkreisen spazieren und genoss die Partys mit Leuten seinesgleichen mehr als das musikalische Tagebrot. Fürwahr keine idealen Bedingungen für die Entstehung innovativer Kunst.

Aber war Bowie wirklich ganz alleine schuld? Konnte er überhaupt anders? Der Einbruch war nicht zuletzt Resultat der Zeit, in der er sich abspielte. Die Achtziger waren für denkende Musiker wie ihn wahrlich keine dankbare Dekade. Zwar gab es zu Anfang und gegen Ende durchaus Impulse, aber die Jahre 1983 bis 1987 waren allgemein wohl die grausamsten der Popgeschichte. Es war die Zeit der uneingeschränkten Herrschaft des Plastikpop und Arenarock. Bowie konnte anscheinend nicht anders, als sich seinen Reim auf diesen Humbug zu machen. Er verschmähte die Rolle des übermenschlichen Selbstdarstellers zugunsten plebejischer Plattitüden. Die Masken waren weg, die Schminke verblichen. Zurück blieb ein charismatischer Entertainer im Dandykostüm, maßgerecht geschneidert für die neue MTV-Zeitrechnung mit ihren oberflächlichen Flashs. Die beste Figur machte der Schatten seiner selbst noch mit let’s DANCE. Bowie war von seiner langjährigen Plattenfirma RCA zur EMI gewechselt und wählte für den Neuanfang sogleich die sichere Variante. Mit dem neuen Material stürmte er schnurstracks die Tanzpaläste und danach im großen Stil auch die Charts. Nur war er zum ersten Mal in seiner Karriere

mit einer Grundidee reichlich spät dran. Kurz zuvor hatte er auf Anfrage von Giorgio Moroder den Titelsong für den Film „Cat People“ zu singen. Für LET’s Dance tat er sich erneut mit einem Disco-Produzenten zusammen, dessen große Zeit da bereits vorbei war: Chic-Gitarrist Nile Rodgers. Immerhin gelang es Rodgers, die Musik trotz stark kommerzieller Ausrichtung ansprechend und auch halbwegs zeitlos zu gestalten. AberTONlGHTundNEVERLET ME DOWN? Wollte man Bowie wirklich dabei zuhören, wie er die Beach Boys und ihr schönes „God Only Knows“ unter dem Einfluss steriler Studioästhetik interpretiert? Richtig tief rutschte Bowie mit der „Glass Spider-Tournee 1987, die er unter anderem vor dem Reichstag im damals noch geteilten Berlin aufführte, einem aufgeblasenen Spektakel mit einer riesigen, über der Bühne hängenden Spinne als Emblem, überflüssigen TanzchoreogTaphien und Peter Framptonan der Gitarre. Bowie schwebte wieder Konzeptkunst vor, doch dieses Mal war sie sinnentleert. Obendrein leugnete der Sänger zu dieser Zeit auch noch alles, was ihn groß gemacht hatte. Erst auf der „Sound &. Vision World Tour“ führte er seine Klassiker wieder live auf.

Zuvor war Bowie noch einmal in sich gegangen. Er sah ein, sich mit dem indifferenten Funk-Rock von never LET ME DOWN keinen Gefallen getan zu haben, und versuchte sich wieder einmal musikalisch neu zu erfinden. Die Geduld aller hatte er als Disco-Tanzbär lange genug strapaziert. In den Clubs gewannen Techno und House die Oberhand, in den USA wurde HipHop zum ernst zu nehmenden Phänomen. Das aufzugreifen, wäre aufgrund seiner Vergangenheit durchaus stringent gewesen, doch Bowie entschied sich für eine andere Variante. Im Rock-Untergrund rumorte es nämlich auch merklich. Noiseniks wie Sonic Youth, Big Black oder die Pixies machten sich bemerkbar und nahmen die spätere Grunge-Explosion vorweg. Bowie hatte das bemerkt und reagierte darauf mit einer eigenen Band. Doch den hart rockenden Tin Machine lag ein fataler Denkfehlerzugrunde. Bowie nahm sich zurück und wollte als gleichberechtigter Teil eines Quartetts angesehen werden. Angesichts seiner vor allem live alles überstrahlenden Präsenz jedoch blieb es bei der guten Absicht. Tin Machine waren am Ende, bevor es mit ihnen richtig losgegangen war.