Vernarbt und zugenäht


Die Wunden kaputter Ehen heilen nie. Aber Bob Seger zeigt, wie man aus den Narben eine gute Platte zurechtzimmert.

BlOVlTAL BRAUCHT ER NICHT, ihm reicht der Rock n‘ Roll, um frisch zu bleiben: Seit mehr als 30 Jahren besingt Bob Seger (46) das Leben der amerikanischen Arbeiterklasse, aber es scheint, als ob er damit trotz zwei gescheiterter Ehen ganz gut über die Runden gekommen ist. Sein Bart ist von etlichen Silber-Streifen geziert, doch Bob wirkt kerngesund. Er spricht leise, mit nachdenklicher Stimme und grinst breit dazu — genau die Stimmung seines aktuellen Albums THE FIRE INSIDE widerspiegelnd. Einmal mehr hat Seger seine Songs um gescheiterte Träume und die Enttauschungen des Alltags gewöhnlicher Leute geformt. Reflektion statt Revolte: „Das neue Album ist sanfter und reflektierender als alles, was ich bisher gemacht habe“, sagt er lachend. „Ich glaube, das liegt am Alter, das mich langsam einholt.“

Seger findet seine Themen auf der Straße und in seiner eigenen Geschichte. Sein Vater, ein alkoholkranker Automechaniker in der verarmten Provinzstadt Ann Harbor/Michigan, verließ seine Familie als Bob zehn Jahre alt war. Als Seger 1975 seine Silver Bullet Band gründete, spielten sie lange, dürre Jahre in kleinsten Clubs vor Fließband-Arbeitern in und um Detroit. Doch Segers erste LP-Veröffentlichung BEAUTIFUL LOSER wurde schnell zu einem Kult-Klassiker und auch das nachfolgende Album der Band LIVE BULLET zementierte Segers Ruf als der Vor-Arbeiter des Rock ’n‘ Roll.

Das gilt nicht unbedingt auch für Segers Arbeitstempo, denn er braucht in der Regel einige Monate länger für seine LPs als der Großteil seiner Kollegen. Auch diesmal hatte er es nicht eilig: „Ich habe mir selbst eine Deadline gesetzt, zu der ich alles fertig haben wollte. Aber mein Manager kennt mich besser als alle anderen — wenn ich , I. April‘ sage, sagt er, 1. Juni‘, und hat damit meistens recht!“

Doch erst nach der vierten Zigarette rückt Seger mit dem wahren Grund dafür heraus, daß er seit dem 86’er-Album LIKE A ROCK mehr als fünf Jahre lang nicht mehr zu Potte gekommen ist: „Meine zweite Ehe zerbrach 1988. Ich wußte nicht, wie es mit mir weitergehen sollte. Ich hatte das Gefühl, daß auf mir ein großer Fluch lastet.“ Immerhin war das schon die zweite Ehe, die er in den Sand gesetzt hatte. „Während meiner gesamten erfolgreichen Periode hatte ich die gleiche Frau. Als das auseinander ging, kam ich mir vor wie ein Schiff in einem völlig fremden Meer — mein Anker war weg. Als sich diese Hölle dann bei der nächsten Frau wiederholte, zerstörte es mein Selbst : ertrauen für eine lange Zeit. „Seger’s 11jährige Beziehung mit Jan Dinsdale war 1986 in die Brüche gegangen, von seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Anette Sinclair, trennte er sich vor zweieinhalb Jahren:

„Ich wollte sogar ein Kind von ihr, aber ich glaube, Annette war noch nicht soweit. Sie wollte nicht ihre Karriere opfern. Bei der Trennung versprachen wir uns, immer Freunde zu bleiben. „

Man muß nicht Bob Seger heißen, um zu erfahren, daß solche Versprechen meist nichts taugen. Prompt sahen sich Seger und Sinclair vor Gericht wieder. Anette hatte vor dem Staatsanwalt behauptet, Bob habe sie mehrfach zusammengeschlagen und zu einer Abtreibung gezwungen. Nun klagt sie beim Oakland County Gericht auf 100.000 Dollar Schadensersatz wegen „physischem und mentalem Mißbrauch, der ihr das Leben zur Hölle gemacht habe.“ Seger will davon nichts hören: „Damit sollen sich unsere Anwälte beschäftigen. Die ganze Angelegenheit ist doch total lächerlich“, nicht ohne bittersüß hinzuzufügen:

„Der einzige, der während der ganzen Zeit treu an meiner Seite blieb, ist Boris, mein Hund.“

Treu blieben ihm dagegen namhafte Musiker-Kollegen, auch beim neuen Album kann Seger wieder große Namen aufs Cover schreiben: Don Was als Co-Produzent, die Little Feat-Mitglieder Richie Hayward und Bill Payne an Drums und Keyboards. Tom Waits, der zwei Stücke mitschrieb, Bruce Hornsby und Gitarrist Joe Walsh. „Es ist eine spezielle Stimmung, die ich auf diesem Album wollte, ein bißchen mehr Blues und Country, alles etwas sanfter als bisher.“ Das soll natürlich nicht heißen, daß sich Seger auf der anstehenden Tournee nun plötzlich als Weichei präsentiert:

„Grobe Kerle wie ich können nie aus ihrer Haut, weil wir diejenigen sind, die am härtesten arbeiten. Jetzt werde ich zum ersten Mal seil 20 Jahren ohne eine feste Beziehung zu einer Frau auf Tour gehen. Was soll’s — da muß ich wenigstens in den Hoteb keine horrenden Telefonrechnungen bezahlen. „