Bob Seger


Nach langem Hin und Her, nach etlichen Vorankündigungen und Versprechungen war er nun endlich hier: Bob Seger, 31 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder, wohnhaft in Detroit/Michigan. Eine der phänomenalsten Stimmen der Rockmusik präsentierte sich in sechs deutschen Städten, vorzüglich begleitet von der Silver Bullet Band. Nur eines verwunderte: Seger trat teilweise in halbleeren Sälen auf — wo zum Teufel blieben die Fans, als endlich mal wieder ein Vollblutmusiker die Bühne betrat? Anscheinend ist doch etwas faul im Staate Rock!

Besonders in den beiden letzten Jahren driftete die Rockmusik zunehmend in eine Welt, in der der Schein mehr gilt als das Sein. Frampton’s Aura des Schönlings, der Eagles pseudoprogressives Gehabe, das scheinbar anarchistische Chaos der Kiss oder der mystifizierte Kult um Pink Floyd — all dies zählt offenbar als primäres Qualitätsmerkmal. Daß an der Musik der genannten Band — um es milde auszudrücken — einiges beanstandet werden kann, wird mehr als je zuvor von Äußerlichkeiten und Vordergründigem verwischt.

Bei Bob Seger hopst kein Guru auf dem Synthesizer.

Schreckt das die Fans ab?

Insofern wird der mäßige Publikumszuspruch bei der Bob Seger-Tour verständlich: Detroits Oberrocker sieht bloß urig, aber nicht gut aus, faselt nichts von kalifornischen Jet-Set-Hotels, benutzt weder die Kosmetika von Rubinstein noch von Guerlain und pocht auch nicht darauf, er habe die Kreativität auf ewig gepachtet. Mit anderen Worten: dieser Kerl wagt es, ohne vordergründiges Image, bloß mit seiner wundervollen Stimme sowie einer prächtigen Band im Rücken vor das hiesige Publikum zu treten. Klar doch, wenn’s lediglich vorzügliche, knackige Musik gibt, aber kein Stargehabe, da bleiben die meisten Fans lieber zuhause und warten auf — na sagen wir: Gary Wright. Vielleicht macht der zwar miese Musik, aber der läßt wenigstens die Gurus auf dem Synthie hopsen. Und das macht doch was her, gell? Kurz und bündig: Ein Vorwurf an das deutsche Publikum? Genau das!

Bevor aber nun erboste Leser die Feder spitzen, um dem ME schriftlich eins über die Rübe zu geben, schnell ein Beweis für die Richtigkeit des Vorwurfs. Denn Bob Seger ist so stark, daß er es verdient, von jedem halbwegs an Rock interessierten Musikfreund gesehen/gehört zu werden! Und der Beweis: Bei Seger’s Konzert in Düsseldorf (etwa 1800 Zuschauer) waren eine ganze Menge Leute aus meinem Bekanntenkreis anwesend — vom Musikgeschmack her eingeschränkt repräsentativ für „das Publikum“. Da gibt’s einige, die eingestandenermaßen „keine Ahnung“ von Musik haben, andere, die — noch schlimmer — Disco-Sound mögen; ein Musiklehrer war dabei, eine Freundin französischer Chansons und… und…und! Doch zum Ende des Seger-Auftritts waren sich alle einig: Das war’s, genau dies war echter Rock, heiß, angeschwärzt, pur und hoch drei. Seger hatte uns alle geschafft, und wenn zwanzig verschieden orientierte Leute ein solch einheitliches Urteil gewinnen, muß doch schon etwas dran sein — an Bob Seger’s Extraklasse. Also kann dieser Mann wohl nicht bloß Protege irgendeiner Kritikerkaste sein! Alles klar?

Bob Seger stört es nicht wenn irgendwelche Himbeerbubis mehr Kohle machen

Wer sich über die halbvollen Konzertsäle am wenigstens geärgert hat, war wohl Bob Seger selbst. Was Wunder auch, denn Seger ist gewöhnt, daß irgendwelche Himbeerbubis weit mehr Kohle verdienen als er, und das, obwohl er seit elf Jahren aktiv ist und seit jeher den meisten Sängern den Stuhl unterm Hintern wegsingen konnte. In dieser Hinsicht steht er demnach ganz in der Tradition der Rocksänger aus Detroit: Namen wie Iggy Pop, Mitch Ryder oder MC 5’s Rob Tyner bürgten schon immer für extreme Belastung der Stimmbänder, wenngleich Seger gegenüber den genannten Kollegen noch den Vorteil besitzt, nicht nur Losgehnummern, sondern auch Balladen vortrefflich über die Bühne zu bringen.

Das nötige Training für seine Stimme holte sich der in Ann Arbor (Michigan) geborene Meisterindiversen Highschool-Bands, die obskure Namen wie The Decibels, Town Criers oder The Omens trugen. Ungeachtet der seriösen Musik, die Vater Seger in seinem 13-köpfigen Stewart Seger Orchestra spielte, blieb Sprößling Bob von Anfang an am knochentrockenen Hard Rock der Automobilmetropole Detroit hängen, der allerdings vom seinerzeit emporschießenden Tamla Motown-Sound in den Hintergrund gedrängt wurde. Und so, wie die teils exzellenten Platten von Mitch Ryder’s Detroit Wheels, SRC, Ted Nugent & The Amboy Dukes, Question Mark & The Mysterians oder Catfish meist nur geringen Anklang außerhalb Detroits fanden, hatte sich auch Seger mit dem Los des zwar stadtbekannten, ansonsten aber unbeachteten Sängers abzufinden. Die Titel der frühen, unter Anleitung von Punch Andrews sowie mit der Band The Last Heard aufgenommenen Seger-Singles sind unwichtig. Aber als dann endlich mit „Heavy Music“ die erste Seger-Platte in die amerikanischen Hitlisten eintrat, ging noch in der gleichen Woche die entsprechende Plattenfirma, Cameo Parkway, bankrott. Der Hit wurde keiner.

Ende 1967 kam Seger dann bei Capitol Records unter Vertrag und lieferte Anfang ’68 mit „Ramblin‘ Gamblin‘ Man“ den heiß ersehnten Hit ab, der immerhin Platz 17 erreichte und sich rund 900 OOOmal verkaufte. Auch die gleichnamige LP ließ sich recht gut an, denn zu damaligen Zeiten war beinharte Energie, in musikalische Formen gebracht, noch sehr gefragt — und besagtes Album vermittelte den Seger-Rock mit der Anmut eines Preßlufthammers: ungezügelt, roh und hochenergetisch, also extrem interessant.

Drei Jahre später jedoch begann man bei Capitol an Seger s Klängen zu zweifeln: die LP’s liefen nicht richtig, und mit den Singles geschah gleiches. Also zog der Meister die Konsequenz, löste seine Band, damals Bob Seger System geheißen, auf und schrieb sich für ein Jahr am Detroiter College ein. Doch schon bald darauf zog’s ihn wieder auf die Bühne, wo er unter anderem mit dem Duo Teergarden & Van Winkle zusammenarbeitete. Und mit frischem Vertrag bei Palladium/ Reprise nahm er auch wieder Platten auf: „Smokin‘ O.P.’s“, „Back In ’72“ und „Seven“, letztere eine der besten überhaupt und kürzlich in Deutschland wiederveröffentlicht. Mit von der Partie: Punch Andrews, nunmehr (und bis heute) auch Seger’s Manager.

1974 kehrte Bob dann zu Capitol zurück und gründete eine neue Begleitgruppe, die Silver Bullet Band, bestehend aus Robyn Robbins (Keyb), Drew Abbott (g), Chris Campbell (bg), Charlie Allen Martin (dr) und Alto Reed (sax). Zugleich stellte Seger nun sein eigenes Gitarrenspiel hintenan und verlegte sich vorwiegend auf den Gesang — möglicherweise einer der Gründe für den späteren Erfolg. Für die damals aktuelle LP mit dem beziehungsreichen Titel „Beautiful Loser“ wählte er indes nicht nur die Silver Bullet Band, sondern auch die Studiomusiker von Muscle Shoals/Alabama aus, mit denen (sowie mit J.J. Cale) er bereits für die LP „Back In ’72“ kooperiert hatte.

Doch trotz des feinen Albums blieb Seger weiterhin der „Schöne Verlierer“, denn erst der Rocktrend des vergangenen Jahres — Erfolg über ein Live-Doppelalbum — sorgte für weitreichende und überfällige Anerkennung. ,,Live Bullet“ verkaufte sich nicht nur prächtig, (Platin in den USA), sondern ließ selbst die gestandensten Kritiker nach Luft und neuen Lobeshymnen schnappen. Zu recht, denn nirgendwo sonst hatte man Seger-Songs wie „Turn The Page“, „Nutbush City Limits“, „Travellin‘ Man“, „Get Out Of Denver“ oder „Ramblin‘ Gamblin‘ Man“, derart beseelt und begeistert dargeboten bekommen. Im Zuge dieses reichlich verspäteten Durchbruchs gelang es Seger dann auch, mit „Night Moves“ einen brillanten Nachfolger zum Live-Album zu produzieren: Der schöne Verlierer nach zehnjährigem Anlauf nun endlich auf der Siegerstraße.

Endlich auf der Straße des Siegers

Bei „Night Moves“ ließen die Musikzeitungen ihrer unverhohlenen Huldigung an Detroits größten Röhre freien Lauf: im ME nannte hh Seger einen der größten Rock-Sänger aller Zeiten; ein weiterer, als samoanischer Anwalt verkleideter Kritiker jubelte in der deutschen Sounds, Seger sei das Ehrlichste und Packendste, das dem Rock’n‘ Roll anno 1977 passieren könne; und im sonst eher betulichen englischen „Record Mirror“ war bündig zu lesen, „Night Moves“ sei das Rock-Album des Jahres. Solchen Hymnen ist nichts weiter hinzuzufügen als die Tatsache, daß nichts von all dem übertrieben ist.

Seger hat in seinen eingangs bereits erwähnten Konzerten bewiesen, wie einzigartig und überzeugend er wirken kann, zumal seine Silver Bullet Band wie eine Eins hinter ihm steht. „Der Bär ist los!“ pflegt man in Norddeutschland zu sagen, und diese Redewendung trifft die Stimmung der Seger-Konzerte haargenau. Daher kann man auch für das im Januar erscheinende Album „Stranger In Town“ viel Gutes erwarten. Und es bleibt zu hoffen, daß der gute Bob, wenn er nächstes Mal bei uns auftritt, in allen Städten als Bekannter, nicht als Fremder aufgenommen wird.