Wie Gott in Südfrankreich


Seit der letzten Tour gehört er zur BAP Familie. Wolfgang Niedecken singt daher das Hohelied auf Julian Dawson

OB ICH MIR VORSTELLEN KÖNNE, für ME/Sounds runter nach Südfrankreich zu fliegen, um den Julian in seinem (noch unfertigen) Feriendomizil zu besuchen? Klar doch! Wieso nicht? Meine Holde macht die Fotos, ich schreib was („Mein schönstes Ferienerlebnis“)… eine prima Gelegenheit für ein entspanntes Wochenende in angenehmer Umgebung. Außerdem hatte ich ohnehin schon Entzugserscheinungen in Sachen Dawson, mit dem ich immerhin von Januar bis Juni „on the road“ war.

Unterwegs im Flugzeug höre ich mir zur Einstimmung erst mal das Vorab-Tape seiner neuen LP „Fragile As China“ an. Kaum ist die letzte Nummer ausgeklungen, landen wir schon in Montpellier, wo uns Julian, seine dänische Freundin Hanne und seine Kids Holly (6) und Robyn (10) erwarten. Kurzes Palaver, weil unser Gepäck irgendwo abhanden gekommen ist, und weiter geht’s in die Aude, genauer gesagt nach St. Pierre des Champs, ein winziges Nest zwischen Carcassonne und Limoux.

Hier hatte sich Julian vor anderthalb Jahren ein runtergekommenes Häuschen gekauft und geglaubt, er könne es binnen Kürze in einen bewohnbaren Zustand versetzen. War ihm wohl was dazwischen gekommen. In der Tat: Der Mann hatte wirklich reichlich um die Ohren. Tournee, Scheidung, BAP-Club-Tour, Plattenaufnahmen in Nashville, dann die große BAP-Tour und zwischendurch immer wieder „mal grade'“ nach Dänemark oder nach London, wo seine Kinder leben.

Jedenfalls hat man’s sich in dem Provisorium charmant-chaotisch eingerichtet: Auf einer Hochetage thront ein Moskitonetzzelt, unter dem man auf einer Matratze nächtigt. Sowas wie eine Küche ist auch zu erkennen, keine 20 Schritte von der Haustür entfernt, gibt’s sogar eine Trinkwasserquelle. Unten im Tal fließt ein Bach vorbei, den Julian so angestaut hat, daß ein familiengerechter Kleinstswimmingpool entstanden ist. Paradiesisch!

Nachdem die erste Führung abgeschlossen ist, lassen wir uns auf dem. was mal die Terrasse werden soll, nieder, um uns übers neue Album zu unterhalten. „Eigentlich merkwürdig!“ denke ich, daß wir das jetzt erst tun, als hätten wir nicht über Monate im Tourbus zusammengesessen! Aber da gab’s ja noch nix zu hören und da bekanntlich ja talkin about music like fuckin‘ about football ist, hatten wir das anscheinend instinktiv auf einen günstigeren Zeitpunkt verschoben. Julian kommentiert die laufende Cassette, und ich erfahre einiges über die auslösenden Kicks der einzelnen Songs und über die Arbeit mit Garry Tallent, dem Bassisten der E-Street-Band, der das Album auf die einzig mögliche Art, nämlich songdienlich, produziert hat. Er hat Julians Songs kein trendiges Korsett aufgezwungen, sondern Grundharmonien und Gesangsmelodie wirken lassen und dann erst vorsichtig ausgewählt, welche Instrumente vom Charakter her wohl noch ins Arrangement passen wurden. Und wenn ich mir Herrn Dawson so anschaue, wie er zufrieden mit sich und der Welt seine Cassette hört, scheint’s tatsächlich optimal gelaufen zu sein. Da wirkt alles irgendwie organisch: vom Haßliebe-geprägten „Welcome To London Town“ über „How Can I Sleep Without You“ bis zum a-capella Fragment „I Believe“, mit dem das Album endet.

Was war das mit den Gurus. frage ich. „Der Text gehl von der hypothetischen Situation aus, die verblaßten Gurus der letzten Dekaden hätten gemeinsam ein Hotel in Miami belegt und Heßens sich da, befreit von der Last, ihren Schäfchen ständig als Vorbild herhalten zu müssen, gut gehen. Sri Chinmov, Bhagwan und der Maharishi in trauter Dreisamkeit am Swimmingpool.“

Und so hören wir uns diverse Male durch das Tape, stoppen hier, stoppen da, bequatschen dies und das — und ich vergesse natürlich, mir noch irgendwelche Notizen zu machen.

Was mir aus dem Kopf noch einfällt, ist dreierlei. Erstens: Rosko Gee (Ex-Traffic, Ex-Can), Julians alter Weggefährte, war der einzige „Vertraute“, den er mit ins ferne Amiland nahm. Zweitens: Julians schon fast gewissenserforschende Frage, ob ich je nach Fertigstellung eines Albums bis in die letzten Enden meiner Geschmacksnerven mit dem abgelieferten Opus zufrieden gewesen sei…

und drittens: der Kernsatz, mit dem unser gemeinsames Managerschätzchen Balou dem schwer auszusprechenden Titel der LP sein Okay gegeben hatte: ,“Fragile As China‘ ist gebongt! Da gehn die Leute halt in den Plattenladen und verlangen die Platte von dem langen Typ mit der Glatze aus China!