Wir sind alle nackt


Ein Treffen mit Turbonegro ist nicht glamourös oder gefährlich oder so was. Es ist erst mal langweilig. Drei Turbonegros sitzen an einem Tisch in Oslo, trinken Wasser und erzählen von ihrem neuen Album Party Animals, „einem Partyalbum“, beeinflußt von „Spät-7er-Hard-Rock,Fruh-80er-LA.-Punk und ’nem bißchen Judas Priest und Van Haien.“ Das sei kein „Deathpunk“ mehr, wie sie ihren düsteren Gossen-Rock früher nannten, sondern „Superduper-Rock“. Ach ja, und der Soundtrack zur mit der Papstwahl eingeleiteten Apokalypse außerdem… har-har, bla, bla.

Gitarrist Euroboy grinst abwesend und schaut abwechselnd aus dem Fenster und auf sein Skateboard. Bassist Happy-Tom hält sein Glas mit beiden Händen, weil sie so zittern, was schon immer so war, wie er sagt. Sänger Hank von Helvete blickt starr aus blassen Augen und trägt einen fettigen Zopf. Happy-Tom redet Unsinn, Hank sucht ernsthaft nach Antworten, Euroboy schaut nur. Turbonegro waren mal eine kleine Rockband, die mit Schwulenklischees provozierend nur Denim trug, derbe Ansagen brachte und in winzigen Kellerclubs Riesenshows abzog. Heute sind Turbonegro eine große Rockband, die sich gerne verkleidet, derbe Ansagen bringt und in großen Hallen eine Riesenshow abzieht. Wie Kiss ohne Special Effects. Gibt es eigentlich schon Happy-Tom-Puppen?

Das ist die Draufsicht. Was dahintersteckt, ist wirklicher und spannend. Diese Wirklichkeit sieht man in der Turbonegro-Dokumentation „Reserection“ (auf DVD erschienen bei Bitzcore/Indigo). Da schlurft Hank wie ein Gespenst durch ein norwegisches Kaff, in dem er nach dem Ende von Turbonegro vier Jahre rumdöste, um vom Heroin loszukommen. Da treffen sich sechs Typen in einem häßlichen Proberaum, machen das erste Mal seit vier Jahren wieder zusammen Musik und kriegen dabei feuchte Augen. Und da steht Hank, der großmäulige Zeremonienmeister, hinter einer Festivalbühne, auf die er jetzt rauf muß, und jammert vor Angst.

Das War VOr ZWei Jahren, als Turbonegro mit Scandinavian Leather zurückkamen und plötzlich so angesagt waren wie nie zuvor. „Dieser Film zeigt uns, wie wir wirklich sind“, sagt Happy-Tom und wird ernst. Aber davor haben wir keine Angst“, ruft Hank, „denn wir können Spaß haben und frei sein, und wir können Angst haben und uns gefangen fühlen – aber all das sollen die Leute sehen, denn wenn es um Rock’n‘ Roll geht, sind wir alle nackt.“ Jetzt ist auch Euroboy bei der Sache, Happy-Tom vergißt sein Grinsen, Hanks Blick wird weicher. Nicht ist schlimmer für Turbonegro, als als Comedy-Band verkannt zu werden. Sie wollen die große Show, die derbe Party und das ganze Spiel, aber sie wollen niemanden glauben lassen, daß das ihre Wirklichkeit ist. „Wenn die Show vorbei ist und wir uns das Make-up abgewischt haben, sind wir stinknormale, mittelmäßige nordeuropäische Jungs mit ihren Träumen und Ängsten „, sagt Hank. „Es gibt Ziggy Stardust“, sagt Happy-Tom, „aber es gibt auch diesen langweiligen Typen namens David Bowie.“

Endlich sind wir zum Kern vorgedrungen, zur Turbonegro-Formel: „Nimm Punkrock, kombiniere ihn mit Elementen des klassischen Hard-Rock, versuche dies alles größer als das Leben werden zu lassen und vor allem: Sei keine mittelmäßige Band!“ Happy-Tom scheint erstaunt über seine eigenen Worte und guckt in sein Glas. Hank hilft standesgemäß: „Für uns ist die Show eine Party. Wenn wir auf der Bühne stehen, ist das wie eine mentale Erektion, ein plötzlicher Schuß Blut in den Penis, gefolgt von einer großen, euphorischen Ejakulation. Danach spürt man das Gefühl großer Zufriedenheit. Man lebt!“

Zwei Tage nach dem Interview in Oslo finden in Hamburg die Turbojugend-Tage statt, das Fest des riesigen Turbonegro-Fanclubs. Denim-Jacken -Träger mit „Turbojugend Sownrfso“-Aufhähern aus aller Welt verstopfen die Reeperbahn. Am Abend huldigen sie in der Grossen Freiheit 36 der Band aus Norwegen wie andere dem Papst, nur noch ein bißchen exzessiver. Männer kippen sich Bier über den Kopf, brüllen im Chor „I got erection“ und tun all die Dinge, die ihre Frauen, die zu Hause geblieben sind, nicht gut finden. Hank ist ihr Führer, der Fanclub seine Armee. Dieser Band wollen sie folgen, weil sie macht, wovon sie träumen: das eigene, mittelmäßige Leben explodieren und strahlen lassen und alle Ängste vergessen und frei sein.

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