Zu seiner neuen Platte „Cocky“ zieht Kid Rock Bilanz: Er ist stinkreich, Pam Anderson liebt ihn, und Steven Tyler küsst ihm die Füße.“Präsident werden? Warum nicht?“, droht er dem ME.


Detroit, what hava you got?“, verausgabt sich Steven Tyler immer wieder. „What’ve you got, Rock City? You got Ted Nugent and KID ROCK!“, kräht er um 22:30 Uhr mit sich überschlagender Stimme, wirft den Kopf in den Nacken, fasst sich in den Schritt und tritt beiseite. Und während Gitarren-Legende Ted Nugent, unterstützt von Aerosmith, den Riff von „Walk This Way“ in die ausverkaufte Palace Arena schleudert, stürmt besagter Kid Rock auf die Bühne und rappt sich derart ausgelassen den Arsch ab, dass sich die zwanzigtausend mit Flaggen und Stars & Stripes-Kopftüchern ausgerüsteten Detroiter schwindelig kreischen. Rock lässt sich feiern wie ein Olympiasieger, wird von Tyler und Joe Perry herzhaft an die Brust gedrückt und hinterlässt ein heiseres Publikum, das an diesem Abend mehr als sonst stolz daraufist, in Detroit zu leben. In der Heimatstadt des neuen Proll-Rock-HipHop-Superstars, des selbst erklärten „American Bad Ass“ und „Pimp OfThe Nation“, Kid Rock.

ME: Steven Tyler hat noch vor zwei Jahren bedauert, dass es dem Rock-Nachwuchs an Egos mangelt (siehe ME 7/1999). Selbstbewußtsein war in den 90er Jahren nicht gerade in Mode…

KID ROCK: Darüber hab‘ ich mit ihm auch gesprochen. Wir sind Freunde, ich hab neulich mit ihm telefoniert. Er wollte unbedingt mein neues Album hören. Und dann hat er gesagt: „Ich habe so lange darauf gewartet, dass einer kommt wie du. Ich freu mich wahnsinnig für dich.“ Und er hat mir lauter Fragen gestellt. „Wie fühlt man sich ganz oben?“ und so. Ich hab ihm gesagt, er soll die Klappe halten – er war sein ganzes Leben lang oben. Bis auf die kurze Scheiß-Zeit vielleicht, in der er sein Geld für Drogen aus dem Fenster geworfen hat.

Kid Rock ist inzwischen Bob Ritchie, steht in Unterhemd und Jogginghose an der Fensterfront seines Wohnzimmers und begutachtet den Schaden, den der frühe Wintereinbruch in seinem Garten angerichtet hat. „Ein Tornado ist hier gestern durchgebrochen“, sagt er und kratzt seine frische „American Bad Ass „-Tätowierung, die die Haut am ganzen oberen Rücken reizt. „Ich bin mit Junior nach draußen gegangen. Das wollten wir sehen“ Der Sturm hat nur den Wald verwüstet, das riesige Haus, in dem Ritchie seit zwei Jahren mit seinem Sohn Junior (8), seiner Schwester Carol und immer häufiger auch mit seiner Verlobten Pamela Anderson (34) lebt, blieb unversehrt. Lediglich die Telefone sind tot. Was niemanden so richtig stört, obwohl man mobil am Ende einer ungeteerten Straße 40 Meilen nördlich von Detroit nur zu erreichen ist, wenn der Wind günstig steht.

Du hast mit Sheryl Crow einen Song für dein neues Album „Cocky aufgenommen. Danach hat sie dem Magazin Esquire erzählt, dass du „schrecklich talentiert“ bist. Warum fällt es immer noch vielen Leute schwer, das zu glauben?

Weil ich einfache Musik mache. Blues- und Country-beeinflusste Songs mit guten Melodien, guten Texten und ein paar Bluegrass-Harmonien. Radiohead versuchen, das Rad neu zu erfinden. Ich sag’nicht, dass mir das nicht gefällt, es ist nur einfach etwas ganz anderes. Die verbiegen sich, um innovativ zu sein. Ich komm‘ nicht dahinter. Ich sehe nicht, was daran genial ist.

Einige Songs auf deinem neuen Album sind alles andere als einfach gestrickt.

Wir sind gute Musiker. Es ist nicht leicht, über uns zu lästern, wenn wir dreistimmige Gitarren-Parts einspielen. Das Schwere aber ist, dreistimmige Gitarren einzusetzen, die gut klingen, aber nicht auffallen. Es geht nicht darum, die Fahne zu schwenken und zu rufen:“Seht mal, was wir könnenl Wir spielen im 5/4tel-Takt!“ Unsere Musik kann man entspannt hören. Die Leute hier arbeiten 40 oder 50 Stunden die Woche in der Fabrik. Da will man Musik nicht mehr analysieren müssen. Einfach hinhocken, laut machen und entspannen.

Du hast einen Song für Johnny Cash geschrieben, warst mit Willie Nelson im Studio, und auch „Cocky“ ist über weite Strecken erstaunlich Country-lastig. Dir ist es im Augenblick offenbar wichtiger, dich musikalisch weiterzuentwickeln, als dein Image mit Gröhl-Rap zu pflegen.

Man muss wissen, woher so ein Image kommt. Pass auf: Welche Story wollen die Leute hören – oder besser: Welche Story wird gedruckt? Die, dass Kid Rock ein phänomenaler Sänger, Gitarrist und Pianist ist, oder die, dass Kid Rock eine Frau gebumst hat und dann nach 40 Bier besoffen in die Gosse gefallen ist? Alles klar, oder? „Mit dem Gesicht voraus in die Gosse!“ Menschen interessieren sich offenbar für das Privatleben anderer. Ich verstehe das nicht.

Kid Rock, der 1990 als einer der ersten weißen MCs einen Plattenvertrag bekam und mit Ice Cube und Run DMC auf Tour war, hat in den letzten Monaten seinen musikalischen Horizont wie kein anderer Rapper erweitert. Unter der Woche, wenn Pamela Anderson in Kalifornien Serien dreht, verbringt er seine Zeit mit dem Studium des Hank-Williams-Songbook, das aufgeschlagen auf seinem Flügel liegt. Er kann inzwischen mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Piano umgehen und veranstaltet in seinem Wohnzimmer in unregelmäßigen Abständen Jam-Sessions mit George Jones, Willie Nelson, Hank Williams Jr. und David Allen Coe – Besucher, die Rocks Interesse an der Cowboy-Kultur geweckt haben. Stolz schleppt er ein kunstvoll verziertes antikes Gewehr an. Auch am lodernden Kamin hängt über einem Paar alter Cowboy-Stiefel ein Revolver-Halfter mit echten Patronen, aber ohne den Colt. Der Hausherr besitzt fünf Schusswaffen, doch die Sammlung ist kindersicher verräumt. „Mit dem Gewehr muss ich unbedingt mal schießen“, sagt er, zielt auf den Hirschgeweih-Leuchter über dem Esstisch und stellt sich wieder ans Fenster – diesmal, um nach Rehen Ausschau zu halten.

Wissen viele Leute, wo du wohnst?

Die meisten in der Gegend wissen Bescheid. Aber es gibt keine Probleme. Die Leute hier sind sehr respektvoll. Das ist eine normale Gemeinde, in der sich alle kennen. Mein Sohn geht in eine nette kleine Schule.

Du hast nicht mal einen hohen Zaun – in L.A. wäre das unvorstellbar.

Ich hatte noch nicht einen einzigen Paparazzo auf meinen Grundstück. So einen Scheiß wird es hier nie geben. Und wenn sich doch einer hertraut, dann geh ich raus und hau ihm seine Kamera auf den Kopf. Und der Richter wird sagen: „Nimm deinen Scheiß-Photoapparat und geh zurück nach LA, wir brauchen diesen Mist nicht in Michigan.“ Ich habe Mitleid mit den Leuten, die ihre Kinder in New York oder L.A. großziehen. Das ist nicht leicht.

Du hast nie jemanden mit deiner Waffe verjagt?

Doch, einmal. Als wir noch kein Tor an der Einfahrt hatten. Da fuhr plötzlich ein Typ zu uns rauf und hat angefangen, das Haus zu fotografieren. Meine Schwester hat ihn gebeten, das Grundstück zu verlassen. Ich hatte Angst um sie, man weiß ja nie. Ich bin dann mit meiner 9 mm rausgegangen, hab rumgebrüllt, sein Nummernschild notiert und die Polizei gerufen. Der hat sich wahrscheinlich in die Hose gemacht. Dabei war alles nur ein Missverständnis. Der Arme musste für Immobilienmakler Grundstückspreise recherchieren. Er hatte trotzdem kein Recht, bei mir im Garten zu stehen.

Ärgern dich Gesetze, die den Waffenbesitz kontrollieren sollen?

Das ist ein schwieriges Thema, und ich bin nicht politisch. Ich finde, man sollte sich auf die Verfassung verlassen. Da steht im ersten oder zweiten Paragraphen, dass jeder eine Waffe tragen darf. Es ist okay, dass inzwischen ein bisschen was über die Biographie des Käufers in Erfahrung gebracht werden muss.damit kein völlig Irrer mit einer Knarre rumläuft. Aber grundsätzlich denke ich, dass wir Waffen brauchen.

Fährst du oft nach Detroit, um auszugehen?

Schon ab und zu. Ich mag die kleinen Bars.

Läufst du dann Eminem über den Weg?

Oh ja. Ich hab‘ ihn gerade beim Elton-John-Konzert getroffen. Das war schon witzig – Kid Rock und Eminem sitzen da und bewundern Elton John. Haha! Aber ich mag Elton John.

Detroit hat die größte muslimische Gemeinde der USA. Hat sich das politischen Klima seit dem 11. September verändert?

Hmm. Das ist schwer zu sagen. Es ist eigentlich alles ziemlich normal geblieben. In gewisser Weise ist Detroit wie Texas und New York: Die Leute sind besonders stolz darauf, da zu leben. Es gibt hier Muslims, die stolz darauf sind, Amerikaner zu sein, es gibt irisch-deutsche Katzen wie mich, die stolz sind. Asiaten – alle sind stolze Amerikaner. Und stolz, aus Detroit zu sein.

Kid Rock verschwindet kurz, zieht ein Johnny-Cash-T-Shirt über das Unterhemd und geht dann strumpfsockig auf und ab, um mit sorgfältigen Handgriffen kleine Aufräumarbeiten zu erledigen: Abgestürzte Kissen werden achtsam zurück auf die Zebrafell-Couch befördert, Juniors Pokemon-CDs und Playstation-Spiele wandern vom Fußboden wieder ins Regal. Nach einem prüfenden Blick werden auch die Fotos von Pamela Andersons Kindern auf dem Kaminsims neu ausgerichtet.

Bringst du auch selbst den Müll raus?

Bist du wahnsinnig? Für so was bezahle ich die Nachbarskinder. So einen Scheiß muss ich Gott sei Dank nicht mehr machen, (lacht) Ich hätte kein Problem damit, aber ich kümmere mich lieber um andere Sachen. Ich geh‘ mit der Kettensäge raus, wenn Bäume zugeschnitten werden müssen…

Du führst ein relativ normales Leben hier draußen.

Ich lass mir von dem ganzen Blödsinn nicht den Kopf verdrehen. Ich bin nicht „LA.“ Hier steht nicht Hollywood-Bob. Hier steht fuckin‘ Nord-Michigan-Bob, der im Wald draußen lebt!

Immerhin bist du mit Pamela Anderson verlobt. Die ist doch ziemlich „L.A.“?

Pam ist genau wie ich. Verrückt, wild, lustig, warmherzig und fuckin‘ down to earth. Die Leute sehen uns immer nur, wenn wir zusammen ausgehen und durchdrehen. Niemand wird uns je sehen, wie wir mit den Kindern zu Hause den Baseball rumwerfen und draußen Feuer machen. Wie wir jeden Abend kochen. Wir sind einfach gerne zusammen.

Eine ganz normale Beziehung nach traditionellen Werten?

Uns ist Familie wichtig. Mit einer Mutter, die kocht und ihre Jungen füttert, und einem Vater, der die Drecksarbeit macht, mit den Kleinen Angeln geht und das Geld ins Haus bringt.

… mit allen gewöhnlichen Problemen, die es in Beziehungen gibt?

Klar. Wir sind ganz normal. Das einzig Unnormale ist, dass uns andere Leute unglaublich spannend finden.

Beschwert sich Pam zum Beispiel, wenn du den Toiletten-Sitz oben lässt?

Nein, (seltsam verklärt) Sie beschwert sich nie über irgendetwas. Wir sind sehr offen. Wir lieben uns, weißt du. Ich kann nichts falsch machen, sie kann nichts falsch machen.

Pamela ist Mitglied der PETA-Tierschutzorganisation. Akzeptiert sie auch, dass du gelegentlich auf die Jagd gehst?

Ich bin zu so einer PETA-Veranstaltung gegangen und habe festgestellt, dass ich in einigen Punkten die selbe Meinung habe. Ich bin allerdings auch Jäger. Peng! Ich erschieße Tiere und esse sie. Wenn sich PETA dagegen wehrt, dass man einem Nerz Elektroschocks in den Arsch gibt, um ihn danach als Mantel rumzutragen, dann stehe ich da völlig dahinter. Aber wenn wir kein Wild schießen und essen, dann nimmt es Überhand und die Tiere werden krank. Ich schieße Dachse und Enten und alles und werfe sie in die Tiefkühltruhe. Prinzipiell ist es gut, wenn es verschiedene Ansichten zu einem Thema gibt. That makes the world go round.

Würdest du für Pamela nach L.A. ziehen?

Fuck, no! Haha, echt, ich würde nie nach LA. ziehen!

Dann musst du wohl mit einer Fernbeziehung leben.

So freut man sich immer auf das Wiedersehen. Man hat ständig Sehnsucht nach dem anderen. Irgendwann werden wir aber hoffentlich schon mal die Distanz zwischen uns verringern.

Rock trägt zwei Tassen frischen Kaffee in einen Raum, den er als „sein Zimmer“ bezeichnet. Wie im Wohnzimmer ist alles erstaunlich ordentlich, statt Couch, dekorativen Fotobänden und einem Flügel findet sich hier jedoch mehrheitlich Jungs-Spielzeug: Eine 3qm2 -Fernsehleinwand, ein Billardtisch, ein Pamela-Anderson-Flipper aus der „Barb Wire“-Reihe und der rote „Baywatch“-Badeanzug. Über einem Homerecording-Tischchen mit Keyboards, Drumcomputern und Sampler hängt ein Ölbild, auf dem Kid Rock als Jesus seiner Band das heilige Abendmahl reicht.

Was für eine Beziehung hast du zu deinen Musikern?

Das ist meine Familie.

Dein Motto war lange: „Niemand sieht einen Penny, bis ich stinkreich bin“.

Richtig. Es ist immer das Beste, mit Menschen ehrlich und offen umzugehen. „Leute, ihr seid meine Söldner und gleichzeitig meine Familie. Aber ihr braucht einen Coach. Einen Fünf-Sterne-General.“ Es muss immer jemanden geben, der das Kommando hat und Sicherheit garantiert. Deswegen braucht ein Haushalt einen Vater. Und eine Schule einen Direktor. Diese Rolle nehme ich ein. Und mit dieser Platte wird die Band Kohle sehen. Ich bin reich. Es hat funktioniert. Jetzt ist die Band dran.

Deine Schlagzeugerin Stefanie Eulinberg würde gerne aus deinem Schatten treten. Sie arbeitet an ihrer „Star Power“, damit sie eines Tages „wie Sheryl Crow“ als Solistin ins Rampenlicht treten kann, wie sie sagt.

Haha! Stefanie wird nirgendwohin treten. Das ist Geschwätz.

Respektierst du solche Ambitionen?

Hmm. (überlegt) Die können machen, was sie wollen, weißt du. Wenn jemand einen anderen Weg ausprobieren will, bitte. Jederzeit. Versuch es. Aber es ist nicht so einfach, wie es scheint. Ich spreche zu ihnen wie ein Vater: (theatralisch) „Mach‘ dich nur auf den einsamen Weg. Versuche dein Glück.“ Die Leute scheren sich schon einen Scheißdreck darum, dass Mick Jagger Solo-Platten macht. Wird es sie kümmern, wenn die Schlagzeugerin von Kid Rock ein Album macht? Nein. Als Band sind wir eine Familie, das macht uns stark. Wir sollten den Bullshit bleiben lassen und an unserem Projekt arbeiten.

Glaubt man deinen Texten, dann nimmst du Frauen nicht besonders ernst.

Ich habe tonnenweise Respekt für Frauen. Frauen sind Mütter, sie gebären Kinder und alles! Größter Respekt! Es gibt aber auch Frauen, vor denen ich keine Achtung habe. Wenn ich „Bitch“ sage,dann muss man wissen,dass ich auch Typen kenne, die“Bitches“ sind. Wenn es so ist, sag ich es auch. Ich bin nicht „politisch korrekt“. Mit meinen Texten wandle ich auf einem schmalen Grat. Ich sag‘ verrückte Sachen, aber viel davon ist wahr. Die Leute mögen es, wenn man geradeheraus redet und nicht alles dreifach kodiert.

Als Stefanie zur Band gestoßen ist, hat sie sich des öfteren über herablassende Kommentare wie „Halt’s Maul, Bitch“ beklagt…

…und jetzt weiß sie, dass wir mit jedem so reden. Deshalb gehört sie zur Familie. Ein anderer dürften das nie zu ihr sagen, sonst knöpfe ich mir den vor: „Hast du meinen Drummer Bitch genannt? Soll ich deinen Arsch durch die Arena prügeln?“

Wenn du dich als „Pimp“ bezeichnest, hat das wohl wenig mit der wörtlichen Bedeutung eines „Zuhälters“ zu tun.

Stimmt. Das ist ein Witz. Und war schon immer einer. Ich war früher der einzige weißhäutige Junge auf den Parties. Die Homies haben mir auf die Schulter geklopft und gesagt,“Hey, big old PIMP“. Ich stand da völlig eingeschüchtert mit meinen Jeans und meinem schönen Hemd und hab geflüstert: Ja! Ich bin ein Pimp!“ Haha!

Am nächsten Tag ist Bob Ritchie wieder ganz Kid Rock: Es gilt, einige tausend Fans bei Laune zu halten, die nach Radio- und TV-Aufrufen zum Videodreh der Single „Forever“ auf einen trostlosen Kiesparkplatz im Westen von Detroit gepilgert sind. Einige Gäste nutzen die Gelegenheit, mit Pelzmantel, Goldplomben und Stöcken ihren Traum vom „Pimp-Lifestyle“ zu leben, die Regel aber sind Daunen Jacken, Zahnlücken und Bierdosen. Über Stunden wärmt sich die illustre Gesellschaft an Grillfeuern, pöbelt ein bisschen und applaudiert mal einem Monstertruck, der Limousinen demoliert, mal den zahlreichen Damen, die auf Wohnwagen-Dächem ihre Brüste entblößen. Es hat nur wenige Grade über null, trotzdem ist die Stimmung gut. Die Leute sind hier, um Kid Rock zu feiern – einen Mann aus ihren Reihen. Dass Ritchie nicht wie viele hier „straight from the trailer“ – in einem Wohnwagen aufgewachsen – ist, sondern den Komfort des Bungalows seines studierten Vaters genossen hat, stört niemanden. Denn Kid Rock steht für das höchste irdische Glück, das sich der müde Fabrikarbeiter in Detroit und dem Rest der USA vorstellen kann: Er ist reich, berühmt, fährt einen schwarzen, verspiegelten Mercedes 600 V12, und seine Freundin ist der feuchte Traum der halben westlichen Welt. Und sie ist treu: Trotz Wind und Eiseskälte sitzt Pamela Anderson am Set, trägt ein „Motor City Babe“-Goldkettchen und lässt sich begaffen. Als die Stimmung bei „Forever“, Klappe die 17te, langsam abflaut, rettet Rock den Dreh mit einer außerplanmäßigen Konzerteinlage: „Sweet Home Alabama“, „Jumpin‘ Jack Flash“ und „American Bad Ass“. „In diesem Video geht es nicht um mich, es geht um die großartigen Leute von Detroit“, verkündet er immer wieder und heitert die Menge auf, indem er eine Dose Budweiser in knapp zwei Sekunden durch einen Trichter in den Magen saugt.

Warum hast du zehn Jahre lang so hart dafür gearbeitet, berühmt zu werden?

Huh. (lange Pause) Ich weiß es nicht. Viele sagen ja, dass ihnen Ruhm nichts bedeutet. „Ich wollte immer nur Musik machen“ und so. Ich wollte schon berühmt werden. Zumindest wollte ich Musik machen und wusste, dass mich die Musik berühmt machen würde. Man kann auch berühmt werden, indem man Banken ausraubt. Ich wusste aber immer, dass ich viel Talent habe. Seit ich klein war und auf den Töpfen getrommelt und in der fünften Klasse Michael Jackson gespielt habe. Es ging nur um eines: „Hey, schaut alle MICH an!“ (lacht)

Hast du nach der Liebe gesucht, die dir dein Vater nie geben konnte?

Vielleicht schon. Auch hat mein Bruder ein Bein verloren, als er sieben Jahre alt war. Er bekam alle Aufmerksamkeit. Football-Teams besuchten ihn im Krankenhaus, und überall waren TV-Kameras. Später war er im olympischen Ski-Team der Körperbehinderten. Ich denke manchmal daran zurück und versuche, das zu analysieren. Warum hab‘ ich immer so viel angegeben? Und ich führe es da rauf zurück. Das hast sicher etwas damit zu tun.

Bist du heute glücklich?

Ja. Ich kann mich über nichts beklagen. Ich hab ein schönes Haus, einen großen Fernseher, mein Sohn ist gesund, und ich habe Geld auf der Bank. Manche Tage sind schwerer als andere, aber ich jammere nicht. Ich könnte 60 Wochenstunden in einer Auto-Fabrik arbeiten. Ich wäre auch damit glücklich, aber ich bin dankbar, dass ich das nicht muss. Über all den kleinen Bullshit freue ich mich: Dass ich nicht drei Tage lang die Pizza aufheben muss. Dass ich halbvolle Dosen Bier nicht zurück in den Kühlschrank stellen muss. Igitt.

Live hast du öfters „If I Was President“ gespielt. Kandidierst du für 2004?

Au ja, haha! Ich wache eh jeden Tag auf und überlege mir, wie ich das überhaupt noch überbieten könnte, was ich bisher erlebt habe. Warum nicht für die Präsidentschaft kandidieren? Aber eigentlich will ich den Job gar nicht. Ich mache auch Musik nicht, um ein Vorbild zu sein. Gott segne Leute wie Bonound seine Schuldenerlass-Kampagne für die Dritte Welt. Und die Beastie Boys, die Tibet retten wollen. Ich habe nicht das Gefühl, dass das meine Aufgabe ist. Ich bin hier, um die Leute zu unterhalten. Der Rest interessiert mich einen Dreck. Also, ich sorge mich natürlich um den Planeten, helfe in meiner Gemeinde, wo ich kann, und spende an gemeinnützige Organisationen. Aber davon weiß niemand etwas und ich will auch niemandem meine Meinung aufdrücken.

Wird das Leben manchmal leer, wenn man sich alle Träume erfüllt hat?

Nein, nicht wirklich. Es passieren immer noch so viele unglaubliche Sachen. Ich hab Bill Clinton getroffen. Ich wollte eine Million Platten verkaufen und habe zehn verkauft. Jesus! Alles, was passiert, ist nur noch ein Bonus. Jetzt kann ich die Früchte meines Erfolges auch mit der Band, der Familie und den Leuten teilen, die es brauchen.

Und wo siehst du Kid Rock in fünf Jahren?

Lass mich überlegen: Ich bin ein bisschen übergewichtig und habe eine Glatze. Ich bin scheißreich und hoffentlich glücklich mit meinem Mädchen. Ich koche, trinke Bier…

…und nimmst Platten auf, die keiner mehr hören will.

Genau! Country-Platten, die niemand auch nur einen Scheißdreck interessieren. Aber ich sitze rum und finde sie fantastisch. Das ist die Realität. Ich werde nicht immer ganz oben sein. Ich hab‘ mir den Arsch abgearbeitet, und irgendwann werde ich mich still davonstehlen und Platz für einen Kerl machen, der sich jetzt gerade in seinem Keller mit Mikrophon und Gitarre abrackert. Dem werde ich sagen: „Gib alles, mein Junge. Viel Glück.“

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