Zurück in die Zukunft


Daß er seine Vergangenheit begraben würde, nahm ihm niemand ab. Doch Bowie macht ernst und kehrt mit Tin Machine in die Zukunft zurück

Was zuerst auffällt: Herr Bowie schaut gesund aus wie noch nie. Seine Sonnenbräune wirkt geradezu unglaubwürdig organisch, und auch die wiederholten Bezeugungen guter Laune scheinen echt zu sein. Selbst an die streßvolle „Sound & Vision“-Tour, mit der er bekanntlich seine musikalische Vergangenheit zu Grabe trug, erinnert er sich mehr mit unnatürlichem Enthusiasmus:

„Es machte riesigen Spaß, weil es eine meiner angenehmsten Tourneen war. Ich haue ein paar tolle Typen in der Band. Sicher, ein bißchen traurig war’s schon, all die Songs zu Grabe zu trugen. Aber das liegt jetzt schon soooo lang zurück!“

Bowies gute Laune ist, so sagt er, darauf zurückzuführen, daß er sich „zum ersten Mal überhaupt als Teil einer Band“

versteht, und daß ihm diese Erfahrung den Lebensgeist in die 44jährigen Knochen zurückgejagt habe. „Es gibt tatsächlich wenig, was mich noch aus der Reserve locken könnte. Aber DIESE Jungs hier…“

Er strahlt und zeigt in die Runde: Denn Interviews mit Bowie solo gibt’s nicht mehr. Allesamt sitzen die Mitstreiter ums runde Tischchen und fallen dem Meister auch hemmungslos ins Wort, wenn dessen Palaver in Regionen vorzudringen droht, die etwa Drummer Hunt Sales zu verquast scheinen. („Er ist De-Kooning, ich bin Rauschenberg“, witzelt Bowie später.) Dazwischen kommt’s auch zu demonstrativ kumpelhaften Schlagabtauschen, die im Timing langes Üben verraten. Bowie: „Meine früheren Gruppen waren grundsätzlich anders, als ich der Arbeitgeber war, der dafür bezahlte, daß man machte, was ich wollte. Am Anfang hatte ich bei Tin Machine enorme Probleme, meine Kontrollinstanz abzuschalten. Aber versuch du mal, denen zu sagen, was sie zu tun haben!“ .

Aus der Ecke von Hunt kommt ein zufriedenes Glucksen; David lächelt ihm zu und knuddelt vertraulich an seinem Knie: „Es dauerte eine ganze Weile, bis mir wohl war in einer Situation, wo plötzlich jemand zu mir sagte: ,Das war Scheiße, David, mach das nochmal.‘ Oder: ,Es ist mir Wurst, ob dir das gefällt — wirfinden’sgut, und so bleibt’s dabei, basta!'“

„Er ist ja bloß unser Lead-Sänger“, wirft Hunt genüßlich ein. „Und Lead-Sänger können nun mal falsch singen. Das muß man ihnen dann sagen.“ „Okay“, wirft Gitarrist Reeves Gabreis in die Runde: „Manchmal macht er seine Sache auch gut. Dann loben wir ihn natürlich. „

Nach dem gloriosen Start mit dem stilprägenden Tanzboden-Hit „Let’s Dance“ verliefen die restlichen 80er Jahre für Bowie recht enttäuschend. Da waren zunächst die für einen Neudenker wie Bowie beängstigend flauen Alben „Tonighr und „Never Let Me Down“. Bowie: „Ich wußte nicht, wie ich mit dem plötzlichen Beifall der Massen umgehen sollte. Ich wurde unsicher und übertrug im Studio zuviel Verantwortung auf die Produzenten. “ Es folgte mit der „Glass Spider-Tour sein bislang wohl größter kreativer Fehlgriff: Von der komplexen Bühnenapparatur und der Choreographie war in den Megastadien nichts mehr zu sehen. „Es war ein unglaubliches Befreiungsgefühl, als wir nach dem letzten Gig die Spinne symbolisch verbrannten!“

Immerhin hatte die Tour einen positiven Nebeneffekt: Bowies damalige PR-Dame drückte ihm eine Cassette in die Hand, auf der ihr Ehemann (Ex-Rubber Rodeo) ein paar Gitarrenkunststiicke zum Besten gab. Entgegen eigenen Erwartungen war der Beschenkte begeistert: „Ich wußte sofort, daß Reeves ein Gitarrist war, der mich künstlerisch zünden würde. Es gibt heute wenig Gitarristen, die nur mit Verstärker und ein paar rudimentären Pedalen arbeiten. Ich liebe nun mal das nackte Feeling, das mit einfachen Mitteln riiberkommt.“

Der Gitarrist war gefunden, und bald auch das Rhythmus-Team: Mit den Gebrüdern Sales hatte er schon 1977 für lggy Pop gearbeitet. Fürs erste Album traf man sich 1989 in der Schweiz. Reeves:

„Hallo, ich bin Reeves. Hallo, ich bin Hunt — und rein ins Studio!“ Mit minimalen Overdubs wurde ein Album eingespielt, das Bowie als „Dokument unseres Kennenlernens“ beschreibt. Das Dokument löste gemischte Reaktionen aus. Reeves: „Viele Kritiker merkten, um was es uns ging, nur gefiel es ihnen nicht.“

Unkenrufen — nicht zuletzt von Seiten der entsetzten Plattenfirma — zum Trotz kam das sperrige Werk auf eine Million Verkäufe. „Tin Machine II“ hat noch immer seine Preßlufthammer-Momente, verbreitet aber eine rundum entspanntere Atmosphäre. Reeves: „Wir kennen uns jetzt auch als Menschen, sind zusammen auf Tour gegangen. Wir verstehen es, unsere Dynamik besser zu steuern.“ Und Bowie. der natürlich doch wieder das letzte Wort hat: „Wohin die Reise geht, wird die Zukunft zeigen. Wir sind alle zu erfahren, um um auf irgendwelche Prognosen einzulassen. Momentan üben wir für die nächste Tour. Für Aufregung ist damit genug gesorgt. „