Zurück in die Zukunft


Die Anzeichen für ein 80erJahre- Revival mehren sieh. Geht die Retro-Welle nach Easy Listening und Schlager diesmal zu weit? Und wie schlimm war's damals wirklich?

DIE 80ER JAHRE WAREN IMMER PRÄSENT. IM Radio bekommt man täglich seine Portion F.R. David oder Culture Club, ein TV-Sender wiederholt garantiert immer gerade mal Miami Vice oder Magnum. Doch seit einiger Zeit scharen sich junge Menschen auf „80ies-Kultparties“, um ohne Not Discofox zu tanzen, wird Sampler um Sampler mit dem Haarsträubendsten aus zehn Jahren Synthie-Pop auf den Markt geworfen, schürt Hollywood mit Filmen wie „Eine Hochzeit zum Verlieben“ 80ies-Nostalgie. Das Zeitalter der Karotten-Jeans: Wir wagen den Blick zurück… in die Zukunft? Sie fingen seltsam an, die 80er. Lind das auch noch, bevor sie richtig losgingen. Ende 1979 sangen die Buggles „Video Killed The Radio Star“ und erwiesen sich damit als Visionäre des kommenden Jahrzehnts, das uns das Musikfernsehen bescheren sollte – 1981 ging MTV in den USA mit ebendiesem Song on air. Der Fixpunkt für Musik im deutschen Fernsehen hieß ab 1983 „Formel Eins“ und hatte mit Peter lllmann, Ingolf Lück und Stefanie Tücking Moderatoren, die dem „voll starken“ Humor der 80er ein Gesicht gaben. Helden waren sie trotzdem, weil sie zumindest partiell das zeigten, was MTV schon seit Beginn des Jahrzehnts auf dem Sender hatte: Gute, wirklich wichtige und auch kaum zu ertragende Musiker. Leute wie Adam And The Ants, A-ha, Alphaville, die Bangles, Bananarama, Billy Idol, The Style Council, Tears For Fears und Kim Wilde oder die Dauergäste im Schlafanzug, die Toten Hosen. Erstaunlich, daß sogar Musikanten wie Bon Jovi, Europe und Van Halen ins Musikfernsehen paßten, obwohl sie mit ihren Wuschelmatten und dem Sound zum Haareschütteln eindeutig den Bildschirm sprengten. Noch eine andere epochale Pop-Erfindung stand am Anfang des Jahrzehnts: ein kleiner Japaner namens Walkman nahm die Ohren im Sturm, und fortan zischelte es vor allem im Öffentlichen Personen-Nahverkehr. Wenn der Vordermann in der Straßenbahn den Walkman zu laut eingestellt hatte, konnte man raten, ob da unter den bunten Schaumgummi-Pölsterchen der Kopfhörer gerade Falcos „Kommisssar“ unterwegs oder Hubert Kahs „Rosemarie“ zugange war. Überhaupt Hubert Kah: Der machte uns viel Spaß, als er später in den „Sternenhimmel“ guckte und dazu in der ZDF-Hitparade nur mit einem Nachthemd bekleidet auftrat. Das war noch nie da, das war neu – so wie alles das, was unter dem Etikett „Neue Deutsche Welle“ lief, erst mal richtig neu und später – hirnlosem Hype sei Dank oft auch richtig scheußlich war. Manches aus den seligen NDW-Zeiten kann man sich aber auch 1999 noch auf den heimischen Plattenteller legen, ohne Herpes zu entwickeln. Die erste Trio-LP besticht nach wie vor durch grandiosen Minimalismus, und die ersten beiden Ideal-Tonträger gehören sowieso in jeden Haushalt. Zur Not auch im Format eines digitalen Bierdeckels. Denn 1983 begann die Compact Disc ihren Siegszug – die Fans der Dire Straits jubilierten, weil Mark Knopfler virtuoser denn je aus den Boxen gniedelte: „Brothers In Arms“ war 1985 das erste Album, das auf Silberling erschien. Bis Ende des Jahrzehnts war das neue Medium aus den verschämten „CD-Abteilungen“ der Plattenläden herausgetreten und hatte die schwarze Vinylscheibe überholt. Auch in einem anderen Bereich hielt die Hochtechnologie Einzug ins Eigenheim: wie riesige Legosteine mit Display sahen sie aus, die ersten PCs. Die Modelle von Apple, Atari und vor allem der legendäre „Commodore 64“ (betuchtere Klassenkameraden hatten bald den Amiga 500 im Jugendzimmer stehen) taten’s trotzdem, und mit diesen charmanten Plastik-Klötzen begann das Zeitalter der Mikrochips für zu Hause. Auch sehr charmant – wenngleich die neu entstehende Kaste der Computer-Freaks dafür wohl weniger empfänglich war – war Sade Adu. Ihr Album „Diamond Life“ (1984) war eines der erfolgreichsten Debüts der Dekade und der perfekte Soundtrack für die Yuppie-Balz bei ein paar Drinks in der Schummerecke der gerade „in“sten Neonbar. Auf dem Tanzboden ging’s da schon höher her: Mit catchy basslines, durchlaufenden Beats und spröden Arrangements mit kargem Gesang waren die New Wave-Helden New Order weit vome dabei – und sind es heute immer noch. Ihr ’83 nur auf Maxi-Single (respektive Super Sound Single) erschienener Song „Blue Monday“ ist bis heute die meistverkaufte Maxi in England. Der sexy Sound zum Beckenkreisen kam derweil aus Minneapolis, von wo aus ein gewisser Prince Roger Nelson mit seiner neuen Band The Revolution dem König der Tanzböden, Michael Jackson, Konkurrenz machte. Sexy fand man in dieser Zeit wohl auch das immer stärker quellende Brusthaar von George Michael, der mit seinem Schulfreund Andrew Ridgeley als Wham! Soul, Disco und Pop zu einem tanzbaren Sound verheiratete. Als Solo-Künstler („Faith“) später nicht weniger erfolgreich, etablierte George außerdem den modisch gepflegten Dreitagebart als den Look für den Womanizer der späten 80er. Ein Verdienst, das er sich freilich mit Miami Vice-Cop und Sangeskünstler („Heeaartbeeat“) Don Johnson teilen muß. Daß Look und Image die halbe Miete für den Erfolg sind, war in keinem Jahrzehnt bereitwilliger als Allgemeingut akzeptiert als in den 80ern. Zwei wußten das schon 1983: Produzent Trevor Hörn und Musikjournalist Paul Morley entwarfen am Reißbrett eine Formation und instrumentalisierten ein paar junge Männer, die genau ihr Verständnis von Pop verkörperten. Eine bis dato nie gekannte Marketing-Maschinerie lief an: Poster, T-Shirts, Buttons und Socken gab es schon zu kaufen, bevor die Masse die dazugehörige Band überhaupt gehört hatte. Als Frankie Goes To Hollywood um Leadsänger Holly Johnson dann tatsächlich Musik machten, sangen sie über Homosexualität, Krieg, Liebe und Religion. Ihr Böse-Buben-Image und begrenzte Sendeverbote machten sie natürlich nur noch interessanter und verschafften ihnen den spektakulärsten Start einer Band seit den Beatles. FGTH waren nur eine der Bands, die in den 80ern dafür sorgten, daß die Homosexuellen ein besseres gesellschaftliches Standig hatten als je zuvor. Jimmy Somerville schaltete die Sirene ein und wackelte erst bei Bronski Beat, später dann bei den Communards hübsch mit dem Hintem. Ähnliches machte Andy Bell zusammen mit Vince Clarke bei Erasure. Schon Jahre zuvor war der Culture Club mit einem über die Bühne gockelnden Boy George angetreten, und die Pet Shop Boys sind uns ja als regelrechte graue Eminenzen in Sachen Plastik-Pop bis heute erhalten geblieben. Unklarer ist da schon, was Tony Hadley heute macht. In den 80ern jedenfalls dümpelte er als schwer schnieker Sänger von Spandau Ballet mit seitengescheitelter Poppermatte und in teurem Tuch in seichten Gewässern. „New Romantics“ war das Label, das man Hadley und musikalischen Gesinnungsgenossen wie Human League oder den exzellenten Poppern ABC anheftete. Ebenfalls stets in edle Tapete gewandet waren Heaven 17 und die Blow Monkeys – was hier allerdings mehr ironisch gemeint war. Wenn Heaven 17 in Schlips und Kragen posierten, nahmen sie eher die Yuppies auf die Schippe. Und Blow Monkeys-Sänger Dr. Robert war überzeugter Sozialist, seine Lieblingsfeindin Maggy Thatcher, und „Diggin‘ Your Scene“ einer der ersten Songs, der sich mit dem seit 1983 heißen Thema AIDS auseinandersetzte. Heaven 17 waren sogar schon seit ihrer 81er Debüt-Single sehr engagiert: („We Don’t Need This) Fascist Groove Thing“ war mit seinen plakativen Slogans und einem knackigen Groove als Dancefloor-Füller ebenso geeignet wie als Polit-Hymne. Politische Betätigungsfelder fanden sich in den 80er Jahren zuhauf, auch für den Rockmusikanten. Die Friedensbewegung, Pershings, „Atomkraft nein danke“ und „Schwerter zu Pflugscharen : deutsche Prominenz von BAP über Grönemeyerbis Ulla Meinecke lieferte den Betroffenheits-Soundtrack. Bis Michail Gorbatschows „Glasnost“ („Umbau“) im Abbau des eisernen Vorhangs endete. Mehr und mehr Musiker auf der ganzen Welt entdeckten in den 80em ihr soziales Bewußtsein, die spektakulärsten Benefiz-Veranstaltungen waren die von Bob Geldof 1985 für die Äthiopienhilfe organisierten „Live Aid“-Konzerte, zeitgleich in London und Philadelphia abgehalten. Und obwohl es ein eher zweifelhaftes Vergnügen war, Phil Collins gleich bei beiden dieser Konzerte zu sehen, so muß man doch sagen: ein große Sache, das. So groß, daß wir den halben Tag vor dem Femseher hingen, noch nicht mal beim Blick auf unsere neue Swatch merkten, wie die Zeit verging und uns nach dem großen Finale gleich noch die Wohltätigkeits-Hits der Saison reinzogen: „DoThey Know It’s Christmas“ (Band Aid), „We Are The World“ (USA for Africa) und sogar den deutschen Allstar-Benefiz-Beitrag „Nackt im Wind“ von der Band für Afrika. Gut gemeint ist zwar längst nicht immer gut gelungen, aber egal. Das Nelson Mandela-Tribute-Konzert ein paar Jahre später war wieder Ehrensache vor der Glotze. Sie traten dort auch auf, waren aber ansonsten garantiert unpolitisch – dafür wie füreinander bestimmt: bei den Eurythmics gab Annie Lennox den optischen Blickfang, Dave Stewart war der chronisch ausdruckslose Muffel. Sie war die Frau für den Showteil, er der musikalische Direktor. Macht zusammen- großer Pop mit Posen. Ähnlich gelagert war die Rollenverteilung bei Soft Cell. David Ball lieferte mit stoischer Gelassenheit die Musik, Marc Almond bediente die theatralische Abteilung. Ihr Album „Non-Stop Erotic Cabaret“ war stilprägend für den Synthie-Sound der 80er. Den wiederum perfektionierten Depeche Mode. Zum einen, weil sie nach der abebbenden Punkwelle clever in eine Marktlücke hineinmusizierten, zum anderen, weil sie den siebten Sinn für Synthie-Sounds hatten. „Just Can’t Get Enough“, das sagten sich auch die Fans einer Frau, die sich ab 1984 zum Pop-Phänomen mauserte: Madonna hüpfte bauchnabelfrei mit Tüllrock, fingerlosen Handschuhen und toupierten Haaren durch die Gegend und schuf einen neuen Look. Und ihr Gürtel mit der Aufschrift „Boy Toy“ war die selbstbewußte Botschaft an ihre Geschlechtgenossinnen: Macht es – mit wem auch immer – aber laßt bloß nicht alles mit euch machen. Madonna hüpfte also zu „Like A Virgin“, und Michael Jackson, gleicher Jahrgang wie Frau Ciccone, hüpfte zu „Billie Jean“ (und war wahrscheinlich tatsächlich noch Jungfrau). Und noch etwas hüpfte: die große Gemeinde sportiver Menschen, die im aufkeimenden Fitneß-Boom der Aerobic anheimfielen. Wer den Vorturnerinnen Jane Fonda und Sydney Rome – natürlich nur echt mit Legwarmers und Stirnband in pink/türkis – nicht folgen wollte, drehte sich derweil auf dem Sofa eine Sehnenscheidenentzündung, mit „Rubik’s Cube“, dem Zauberwürfel, zweifellos dem Spielzeug der Dekade. Und so gingen sie zu Ende, die 80er. Mit „Madchester“-Rave , Happy Mondays, Stone Roses, Charlatans und reichlich Ecstasy, das einfach weiterverwendet wurde, als die House-Jünger mit Smiley-Button und „Aciiiiiid“-Schlachtruf die Dance-Szene revolutionierten. Mit Stock, Aitken & Waterman-Plastik (s. Kasten) und Milli Vanilli-Terror aus dem Radio. So gelackt, aufgeblasen und schrecklich faszinierend, daß wir eigentlich nie dachten, dafür jemals nostalgische Gefühle zu entwickeln. Jetzt scheinen wir mittendrin zu stecken. Na denn: ’ne starke Zeit. Bis zum 90ies-Revival in fünf Jahren.