Zwei Jahrzehnte gegen den Strich


Das Label L'Age D'Or feiert schon wieder runden Geburtstag. Diese Hamburger machen offensichtlich die Zeit schneller. Da ist einfach zu viel Kurzweil in ihrer Musik - und ihrer Geschichte. Ein Portrait vor allem der frühen Labeltage von Jan Wigger

Entschuldigung, aber: Wie die schon alle heißen! Carol von Rautenkranz. Kristof Schreuf. Tilman Rossmy. Mense Reents. Dirk von Lowtzow. Eike Bohlken. Pascal Fuhlbrügge. Alte und neue Protagonisten einer geradezu ritterlichen Bewegung, die man bitte auch weiterhin nicht „Hamburger Schule“ nennen möge.

Aufstieg oder weichen Fall verdanken diese und viele andere Künstler dem Hamburger Label L’Age D’Or. Am 6.6.1986 zuerst vor allem als Agentur für Konzerte der Bands aus der Nachbarschaft gegründet, ist L’Age D’Or gerade 20 Jahre alt geworden. Irgendeine Platte von L’Age D’Or hat ziemlich jeder im Schrank stehen, der irgendwann in diesen 20 Jahren mal etwas mit Musik anfangen konnte, die ein bißchen anders klingt. Platten von Tocotronic, Die Sterne, Spillsbury, Stella, Superpunk, Schorsch Kamerun. Ja, das sind Namen! Die meisten davon keine großen im Sinne von: Verkaufs-Gold und Hit-Platin kassiert; aber: Namen haben sie sich gemacht, dicken Respekt verdient.

Doch warum wurden und werden die L’Age-D’Or-Bands der ersten Generation so stiefmütterlich behandelt? Okay, die meisten davon gibt es inzwischen nicht mehr, aber Leute, die Zeilen wie die folgenden in Songs hineingedichtet haben, sollte man doch kennen, nicht? (Und wenn es nur ist, um sich über sie zu wundern…) „Leerblatt/Bohrt, brütet/Weichschlaf/ Weichschlaf entdeckt nichts / An mir / Festmachen / Zugegeben/Wird nichts/ Schwarzloch /Dreht Eifer/Jeder Griff /Lockert sich.“ So sang die Kolossale Jugend bzw. ihr Texter Kristof Schreuf, veröffentlicht 1989 auf HEILE HEILE BOCHES, der ersten von zwei störrischen LPs -drei Jahre vor Blumfelds ich-Maschine und der REFORMHÖLLE von Cpt. KirkSt.. (die erschienen allerdings bei What’s So Funny About). Carol von Rautenkranz, gemeinsam mit Pascal Fuhlbrügge (der bei der Kolossalen Jugend Gitarre _ spielte) Gründer und heute Chef des Lado-Imperiums, zu dem seit 1994 der Elektronikableger Ladomat 2000 gehört, erinnert sich bei einer großen Apfelschorle an die Anfänge: „Als wir im November 1988 unsere erste Veröffentlichung, die Kolossale-Jugend-Single ‚Kein Schulterklopfen‘ veröffentlicht haben, gab es zwar Punkrock und Fun-Punk auf Deutsch, aber sonst fast nichts. Die Kolossale Jugend spielte amerikanische, noisigeMusik, und Kristof Schreuf singt eben auch sehr extrem, das fiel auf. Extreme Typen, extrem anstrengend. Die haben sich auch aneinander aufgerieben und 1991, als es auf große Tour gehen sollte, aufgelöst. Das war keine Band, sondern eine Gang. Ich habe Kristof Schreuf kennengelernt als Sänger einer AC/DC-Coverband. Der konnte diese Songs nicht nur perfekt singen, sondern auch die Akkorde spielen … Nun, und solche Texte gab es vorher einfach nicht. Das erste, was ich dachte, war: Verstehe ich nicht, ist mir zu intellektuell.“

Doch als Idee, auch als Einfluß für alles, was danach kam, war diese Band genial: Der neue Umgang mit Sprache, ein bislang ungekanntes Baßspiel, ein Band-T-Shirt mit der Aufschrift „Halt’s Maul, Deutschland!“. Der Anfang war gemacht und sorgte zumindest bei Kritikern für offene Ohren. Und wie fanden nun all die anderen Musiker der frühen Tage zu L’Age D’Or? Tilman Rossmy, ursprünglich aus Essen, schrieb einfach einen langen Brief und legte das Album seiner Band Die Regierung dazu. Es hieß: SO DRAUF. Darauf: Ein paar der unpeinlichsten Texte über Gefühle und Gefühlsverwirrung, die je in deutscher Sprache geschrieben worden sind. Frank Möller aka Knarf Rellöm, Sänger der großartigen Huah!, kam aus Nordfriesland, Das neue Brot aus Ostfriesland, die Kissin‘ Cousins aus Karlsruhe, Die Aeronauten aus der Schweiz und Sterne-Sänger Frank Spilker (wie Bernd Begemann, Bernadette Hengst, Jochen Distelmeyer) aus Ostwestfalen.

Man mußte also nicht in Hamburg wohnen (und auch nicht zwingend deutsch singen), um seine Platten bei L’Age D’Or rauszubringen, und man zog auch nicht unbedingt gleich nach Hamburg. Allerdings: Die Stadt bot Musikern tatsächlich beste Voraussetzungen, ein dichtes Netzwerk. „Es hat sich damals in Hamburg eine richtige Szene herausgebildet“, resümiert Tocotronic-Entdecker von Rautenkranz, der noch nie so aussah wie 42 und das auch heute, mit 42, nicht tut. „Zu dieser Szene gehörten Labels, Journalisten, Veranstalter und Bands. Ich habe ja zuerst mit Pascal regelmäßig Festivals veranstaltet. Da kennst du natürlich auch schnell die ganzen Musiker. Hamburg war zu der Zeit mit die erste Adresse, auch für die, die keinen Bock auf Berlin hatten. Es gab hier eine ganz klassische Szene, wie in Seattle. Und wir waren eben Bestandteil dieser Szene. Das Label haben wir dann nach dem Nachtlokal im Film .Rififi L’Age D ‚Orgenannt- das klang besser ah etwas Englisches oder Deutsches.“

Spätestens mit Veröffentlichung ihrer ersten LP was MACHEN HUAH! jetzt? im Jahr 1990 gehörten auch Knarf Rellöm und Freunde, Huah! also, zum erlesenen Zirkel. Sie sangen grob gesagt über alles, Songs hießen „Ich möchte ein Mädchen kennenlernen“ oder „Eine Rockband fällt über eine Kleinstadt her“. Carol von Rautenkranz weiß noch genau, was ihn an Huah! so begeistert hat: Jchfand es einfach super, daß da eine Band auf der Bühne stand, deren Sänger vor und nach jedem Song, der gespielt wurde, ,Huah!‘ brüllte! Und dann natürlich die Verbindung von Spaß und Politik: Die nennen ihre zweite Platte scheiss Kapitalismus und haben dazu eine nackte Frau von Kiez-Maler Erwin Ross auf dem Cover-das wartoll.“ Erinnert sei hier auch an die außergewöhnlichen Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, die zuerst auf Englisch, dann gar nicht und dann auf Deutsch sangen und schon 1990 mit „für zu Hause“ eines der wichtigsten L’Age-D’Or-Alben herausbrachten.

Selbst als die Apfelschorle schon längst ausgetrunken ist, hat Carol von Rautenkranz noch viel zu erzählen: Wie er sich immer noch ein bißchen ärgert, daß Blumfeld bei Alfred Hilsberg unterschrieben haben und nicht bei ihm. Wie seine kleine Firma 1991 völlig pleite war, er daraufhin mit Pascal Fuhlbrügge jahrelang kein Wort mehr sprach. Wie Tim Renner und die Polydor mit einem Labeldeal zur Rettung eilten, wie Tobias Levin mit Cpt. Kirk 8t bald in einem Songtitel die Frage „What’s so funny about L’Age Polydor?“ stellte und man das Geld der Polydor dann doch wieder in die Fanzine-und Zeitschriften-Landschaft pumpte, indem man überall Anzeigen schaltete, statt einen Teil des Geldes zu nehmen und die Schulden abzubezahlen. Wie er selbst mal bei der Kolossalen Jugend vorsingen sollte und grandios scheiterte. Wie oft sich der damalige Kolossale-Jugend- und heutige Sterne-Schlagzeuger Christoph Leich die Schulter auskugelte. Wie man ganz am Anfang in Pascal Fuhlbrügges WG -Zimmer begann und wie später Benjamin von Stuckrad-Barre bei L’Age D’Or sein Praktikum absolvierte. All diese Geschichten. Es steht ja oben schon geschrieben: Mit einem solchen Namen wird man kein Elektroinstallateur. www.lado.de