Vampire Weekend – Contra :: Der Abgesang auf den Indierock

Ring-ring-ring. Vor der Tür steht, nein, nicht die Avon-Beraterin. Es ist die Vertreterin der Schallplattenfirma. Sie heißt Valerie Janin, begrüßt mich auf Englisch und möchte mir das neue Vampire-Weekend-Album vorspielen. Das ist mal ein Service, denke ich, da packt sie schon Textblätter und einen Waschzettel aus ihrer großen Tasche, die CD befördert sie in das dafür vorgesehene Fach. Alles kein Witz. Es gibt Leute, die behaupten, nichts sei so unsicher wie das Internet, der Hausbesuch mag also auch nur eine weitere Securitymaßnahme gewesen sein – so lange die neuen Vampire-Weekend-Songs vom Netz ferngehalten werden, kann niemand sie vor Veröffentlichung verbreiten.

Das New Yorker Quartett gehört aber auch zu den besten Pferden im Stall der Beggars-Gruppe, und wenn in diesen Wochen allein die Nennung eines Albumtitels für ordentlich Aufregung sorgte, dann war das CONTRA von Vampire Weekend. In solch einem Fall wird dann an der Schraube gedreht, personalintensive Promotion, ein Besuch zu Hause mit Klönschnack nach Indierock-Art.

Welch hübsche Ironie: Ausgerechnet das zweite Album von Vampire Weekend ist der Abgesang auf den Indierock, wie wir ihn kennen. Die eigentliche Epoche des Indierock begann 1991 mit dem Debüt von Pavement. Auf SLANTED AND ENCHANTED wurde die Rock-Herrlichkeit der 70er und 80er durchlöchert, die Band vergewisserte sich ihrer selbst in den Brüchen und Umwegen, der Sänger leierte wie ein effeminierter Märchenprinz. Pavement-Songs erzählten mit Eleganz vom Durchhängen. Die Indie-Ästhetik hat seither kaum mehr als marginale Veränderungen erlebt. VAMPIRE WEEKEND war dann das Album vor zwei Jahren, mit dem vier adrette weiße Jungs aus New York die Indie-Herrlichkeit der 90er zerstörten; die Songs thronten auf hellen, kreiselnden Gitarren aus Soukous und Highlife. Afrobeats und Highlife-Sounds avancierten zu Geheimwaffen der Pop-Intelligenzija. Auf CONTRA haben die New-York-Boys ihr freundliches Werk der Zerstörung nun vollendet, anders gesagt: ihre „Worldmusic“ ist tief in die Eingeweide von Rock und Pop gefahren. Und sie will ihren Platz in der Mitte der U-Musik auch nicht mehr räumen.

Als erste Etappe auf dem Weg zum neuen, weitverzweigten Vampire-Weekend-Sound mag ein Album gedient haben, das Keyboarder Rostam Batmanglij mit Wes Miles (Ra Ra Riot) aufgenommen hat. Discovery, so der Name des Projekts, trug den Pop von Vampire Weekend in ein Labor für elektronische Verfremdungen, und was dort herauskam, hörte sich mehr nach R’n’B und Disco an. Solche Metamorphosen haben auch viele der neuen Vampire-Weekend-Songs hinter sich.

Es gibt mehr Tempi, mehr Stile, mehr Breaks, mehr von allem. Afro, aber auch Reggae, Dub und Baile Funk, Punk und Ska. Eine Armada von Instrumenten verschiedener Herkünfte ersetzt die alte Rockmacht Gitarre. Die neue Ästhetik lebt von Vielfalt und Verschmelzung. Im avancierten Mash-Up der Stile und Stimmungen setzen sich Sänger Ezra Koenig und seine Band aber erst einmal zwischen die Stühle. Das sind vielleicht nicht die Songs, die ihre Vorgänger auf dem ersten Album in puncto catchyness überholen. Enttäuschen kann diese Band aber sowieso nicht. Vampire Weekend haben verstärkt an den verschiedenen Schichten ihrer Stücke gearbeitet, ihre Tracks deutlicher strukturiert und durch Rhythmuswechsel aus dem Gleichgewicht gerissen. Im Falle von „Diplomat’s Son“ kommen noch ein M.I.A.-Sample und Streicher dazu, in den ersten drei Minuten legen Vampire Weekend einen Reggae mit Doo-wop-Chören hin, ab Mitte des Tracks wird viermal der Beat verändert, am Ende haben sie einen Tribal-Rocksteady gebaut. Dass „Diplomat’s Son“ tatsächlich ein Popsong geworden ist, ist das das eigentliche Verdienst von Vampire Weekend.

Alle zehn Songs auf CONTRA besitzen dieses Popgen, sie klingen leicht und sanft und verspielt und tanzen federnd über das eine oder andere Hindernis. Manchmal hat das etwas von Kammermusik, aber Vampire Weekend bleiben immer nur einen Atemzug lang eindeutig; diese Songs feiern jeden Moment der Verwandlung und Veränderung. „White Sky“ beginnt wie eine Kuschelversion von Human Leagues „Black Hit Of Space“ und endet in einem polyphonen Soweto-Pop-Piece, „Taxi Cab“ oszilliert zwischen einer barocken Pianomelodie und dem Sound von Handclaps und Synthbass. „Cousins“ ist die holprigste Annäherung an die Strokes, die man sich von Vampire Weekend vorstellen kann, ein Moment, in dem die Band aufdreht. Ein letzter Moment nur. CONTRA ist das Album, das zur Zäsur einlädt, danach wird man den alten Indierock nicht mehr brauchen.

VÖ: 8.1.

www.vampireweekend.com