Noel Gallagher’s High Flying Birds

Chasing Yesterday

Sour Mash/Indigo

Nach einem vorsichtigen Solodebüt hat sich die Britpop-Legende endlich von ihrer Vergangenheit befreit: Die Oasis-Reunion kann da gerne noch etwas auf sich warten lassen.

Ganz kurz am Anfang des ersten Songs hier denkt man an „Wonderwall“. Ausgerechnet. Der totgenudeltste der vielen Oasis-Klassiker begann mit einem Husten, „Riverman“ ist ein Versprecher vorangestellt. Danach rhythmisch ähnliche Akkordarbeit. Schlagzeuger Jeremy Stacey hält sich sehr an Alan Whites Blaupause von (WHAT’S THE STORY) MORNING GLORY? Doch dann, knapp vor der zweiten Minute: ein sphärisches, David-Gilmour-artiges Gitarrensolo, dem eins auf dem Saxofon folgt. Später im Song kommt noch eins. „Space Jazz“, nennt das Noel Gallagher. Well … „Riverman“ ist von Brian Protheroes „Pinball“, einem obskuren One Hit von 1974, beeinflusst. Wem? Genau: wem!

Erfreulicherweise ist der Ursprung eines Gallagher-Songs mal nicht superbekannt. Das ändert sich im Verlauf des Albums aber bald wieder: „The Mexican“ geht auf B.R.M.C. zurück, „Ballad Of The Mighty I“ (feat. Johnny Marr) und „Bus Stop“ von den Hollies könnten Geschwister sein und bei „The Girl With The X-Ray Eyes“ vermutet man zunächst, man wäre in der Playlist verrutscht und bei „The Masterplan“ von Oasis gelandet. Dass der Songtitel an einen von Babylon Zoo erinnert? Na, wollen wir mal nicht kleinlich sein. Auch den fast gleichnamigen Asia-Ohrwurm (Oasia?), den „In The Heat Of The Moment“ wiederbelebt, kann man verkraften. Bei „The Right Stuff“ denkt man auch nicht zwangsläufig an New Kids On The Block. Aber ein Lied „While The Song Remains The Same“ zu nennen? Wieder einmal stellt sich Gallagher auf die shoulder of giants.

Doch trotz all dieser bewussten oder unbewussten Zitate lässt sich insgesamt feststellen: „The Chief“ traut sich deutlich mehr als auf seinem recht erwartbaren Solodebüt von 2011. Bläser, Disco-Bassläufe, Kirchenglocken – und zu so einer Nebenrolle wie in „In The Heat Of The Moment“ wurde die Gitarre in seinem Schaffen nur selten degradiert. Drums und Bass dominieren – fast könnte man das „groovy“ nennen. Mit besagten „The Mexican“ und „The Right Stuff“ haben es, in überarbeiteter Form, sogar zwei Songs aus dem verworfenen Psychedelia-Album mit Amorphous Androgynous auf die Tracklist geschafft.

Außerdem klingt der 47-Jährige wieder erfrischend jugendlich: „You Know We Can’t Go Back“ strahlt trotz seines „It’s alright“-Klischeerefrains die sommerliche Unbekümmertheit des unterschätzten BE HERE NOW aus. Noch besser gelingt das auf dem euphorischen „Lock All The Doors“, das allerdings auf einem 23 Jahre alten Fragment basiert, aus dem Gallagher 1996 schon seinen Beitrag zum Durchbruchshit der Chemical Brothers, „Setting Sun“, destillierte. Vielleicht der beste Song des Albums. Noel Gallagher is chasing yesterday after all. Aber das hat er schon mal langweiliger gemacht.