Marissa Nadler

Strangers

Bella Union/[PIAS] Coop/Rough Trade

Ein Fest soll sie sein, die Apokalypse – die US-Sängerin und Songwriterin probt die Katharsis in tiefvioletten Songs.

BALLADS OF LIVING AND DYING – mit dem Titel ihres ersten, 2004 veröffent­lichten Albums hat Marissa Nadler schon vieles von dem vorweggenommen, was sie bis heute umtreibt. In der Musik der Amerikanerin werden dem Lieben und Verlassen, dem Träumen und Trauern elegische Denkmäler gesetzt. Und weil die Apokalypse oft so nah ist, nimmt Nadler sie mit und macht sie zu einem Fest.

Gepflegt und mit sanftem Pathos führt sie heute ihre Songs auf, der Alt-Folk der ersten Jahre hat sich mehr Raum genommen, das macht Marissa Nadlers Songs größer, allgemeingültiger, manchmal aber auch beliebiger. Im Titelsong „Strangers“ katapultiert sie uns in eine halluzinatorische Country-Noir-Landschaft, und selten hat man die Steel-Gitarren mehr Wehmut tragen hören als in diesen vier Minuten.

Anderenorts sind es Streicher und Synthesizer, die die Musik vom Hintergrund aus tiefviolett malen. Nur „Dissolve“ zum Finale verharrt auf den spärlichen Akkorden einer gezupften akustischen Gitarre. Marissa Nadlers Stimme fährt durch diese elf Songs, als hätte sich ein kompletter Trauerverein in ihr versammelt, gedrückt, aber doch strahlend, sie ruft in Abgründe, die sie im nächsten Moment in einem Akt der Katharsis überwindet.

Die Geschichte einer Fortschreibung, klassische 4AD-Musik, wenn man so will. Nadler beschwört, von dunklen Keyboardwinden getragen, die Welt hinter den Dingen, die wir sehen, und hat auch noch einen hübschen Songtitel dafür: „Hungry Is The Ghost“.