Nicolas Godin

Contrepoint

Because/Warner VÖ: 18. September 2015

Kosmische Neoklassik: Der Blonde von Air zitiert die Bach-Interpreta­tionen von Glenn Gould.

Nicolas Godin sagt, was ihm zuletzt bei Air gefehlt habe, sei das Überraschungsmoment. Daher dieses Soloalbum. Und Überraschungen gibt es auf CONTREPOINT genug. Der Auftakt, „Orca“, ist ein irrer Kampf der Instrumente und Genres: Gitarre gegen Synthesizer, Klassik gegen Rock. Es folgt „Widerstehe doch der Sünde“, ohne Frage einer der Songs des Jahres. MOON SAFARI weht durch diese Komposition, aber das ist nicht alles. Streicher, Chöre, Pauken, deutscher Sprechgesang: alles unglaublich klug arran­giert. Und dann der Clip zum Song, die surfenden Zombies, die Party der Untoten am Strand. Fantastisch. Klassikkenner wissen längst: „Widerstehe doch der Sünde“ ist eine Kantante von Johann Sebastian Bach, dessen Werk die Grundlage von CONTREPOINT bildet. Aber Godin zitiert nicht den Klassiker, sondern einen Interpreten: Der Pianist Glenn Gould spielte die Bach-Kompositionen mit besonderer Rhythmik – und hier setzt Godin an: „Einer der größten Musiker spielt die schönste Musik der Welt.“ Also tauchte er in die Welt von Goulds Bach-Aufnahmen ein, suchte nach Kontrapunkten im eigenen Bezugsrahmen – und nahm mit Freunden (u. a. Thomas Mars von Phoenix) diese acht Lieder auf, die locker alles in den Schatten stellen, was Air zuletzt hervorbrachten. Erstaunlich vor allem, wie weit sich CONTREPOINT immer wieder vom puren Schönklang entfernt. „Glenn“ beginnt wie ein Wanderlied, verstört dann mit elektronischen Spielereien, bevor Glenn Gould selbst zu Wort kommt. „Bach Off“ kombiniert erst die kosmischen Can mit freiem Jazz und führt dann in die Pariser Salons, wo man sich die Köpfe über die Frage heißreden kann, wie viel Original in einer Kopie der Interpretation steckt. Was für ein postmoderner Spaß!