Kolumne

Aidas Popkolumne: Taylor Swift, Jörg Pilawa & die Ära der Egalhaltung

Taylor Swift haut ein unausgegorenes Album raus, das nicht mal ihre Fans so richtig feiern. Und nun?

Was war das für ein Fiebertraum? Ich öffne Instagram am Freitag, 3. Oktober, und plötzlich steht da Jörg Pilawa auf dem offiziellen Post des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit. Natürlich nicht allein, sondern eingebettet zwischen der Ministerpräsidentin des Saarlands (wo dieses Jahr der Festakt stattfand, maximal weit weg von der ehemaligen deutsch-deutschen Grenzen lustigerweise), Bundespräsident (und Frau), Bundeskanzler (und Frau), Bundesverfassungsgerichtspräsident (und Frau) und seiner neuen Partnerin, Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin – oder wie sie der Stern in einem Porträt vor ein paar Wochen nannte: Parlamentsprinzessin.

Anfang Juli sollen sich Klöckner und Pilawa kennengelernt haben, verkuppelt von Freund:innen auf dem Sommerfest auf dem Weingut ihres Bruders. Isn’t it romantic? Mitte August wussten Boulevard und Klatschpresse schon Bescheid und veröffentlichten Paparazzi-Fotos (dass es das noch gibt!). Und anderthalb Monate später steht er dann schon auf einem hochoffiziellen Regierungsfoto.

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Nennt mich spießig, verklemmt oder konservativ, aber irgendwie finde ich das arg befremdlich. Das ist ungefähr so, als würde man seine brandneue Situationship direkt mitnehmen auf eine Familienhochzeit – und dann auf jedes Familienfoto packen. So direkt erlebt, ich habe einige Hochzeitsfotos enger Verwandter mit random Kurzzeitpartner:innen von Cousinen und Cousins, an deren Namen sich niemand erinnert, nicht mal die, die sie als Date mitgebracht haben.

Situationships auf Regierungsfotos?

Dabei ist es mir herzlich egal, ob Klöckner und Pilawa daten, Kommentare wie „das hätte ich von Pilawa nicht gedacht!“ fand ich arg irritierend, und kann mir gut vorstellen, dass einige von ihren Fans sich sicherlich das gleiche denken, mit umgedrehten Vorzeichen: „dass sie einen Zwangsgebühren-Moderator datet, hätte ich nicht gedacht!“ Parasoziale Beziehungen sind schließlich überall. Meinetwegen können die beiden gerne auch in Berliner Clubs im Darkroom verschwinden, nichts menschliches wäre mir fremd. Aber nach zwei oder drei Monaten Dating vom Bundespräsidenten gepostet werden, da bin ich dann doch ein bisschen zu spießig.

Auch und vor allem, weil damit mehr Situationships und mehr Quizshowmaster auf dem offiziellen Foto zu sehen waren als Menschen aus Ostdeutschland. Da wär nämlich niemand zu finden. Klar, das kann man jetzt unfair finden: Saarland war halt diesmal dran mit der Feier des Tags der Deutschen Einheit weil das Bundesland auch den Vorsitz des Bundesrats gerade inne hat, und in den vier wichtigsten Positionen des Landes ist halt niemand mit Ostbiographie vertreten. Aber genau da liegt das Problem: 35 Jahre nach der Wende, nach sechzehn Jahren mit einer Bundeskanzlerin, die zwar in Hamburg geboren, aber in der DDR aufgewachsen war, scheinen wir wieder komplett auf Anfang zu sein. Und das in einer Zeit, in der die AfD in mehreren Bundesländern an der absoluten Mehrheit zu kratzen scheint und Ex-FDP Kemmerich gemeinsam mit Frauke Petry daran arbeitet, mit einer neuen Winzpartei der AfD Regierungen zu ermöglichen. In so einer Situation scheint sich niemand im ganzen Apparat Gedanken darüber zu machen, dass es vielleicht nicht ganz passend ist, mit einem Foto mit ausschließlich westdeutschen Machthaber:innen und einem Quizshowgesicht die Einheit von Ost und West zu feiern.

Mehr Quizmaster als Ostdeutsche

Denn wenn es sogar mir als Turbowessi auffällt, wie sollen sich denn Menschen mit Ostbiographie fühlen? Ein Blick in die Kommentarspalte verrät es: wenig begeistert. Und konstruktive Vorschläge sind sogar auch dabei: hätte man nicht die Ostbeauftragte der Regierung, Elisabeth Kaiser (SPD) nicht auf das Bild nehmen können? Oder andere Spitzenpolitiker aus dem Osten? Aber nein, so weit wie wütende Kommentarspaltentexter haben lauter Menschen, die dafür bezahlt werden, nicht denken können.

Aber vielleicht ist es auch einfach egal, denn das scheint ja aktuell der Vibe zu sein: Julia Klöckner scheint es egal zu sein, was die Öffentlichkeit zu ihrer harten Art, den Bundestag zu führen und politische Sticker, Prideflaggen und alles, was ihr zu progressiv erscheint zu verbieten, es scheint ihr egal zu sein, dass es vielleicht nicht ganz angemessen wirkt, eine Situationship auf ein offizielles Foto zu packen, es scheint dem PR-Apparat von Regierung und Präsidialamt egal zu sein, dass der Osten existiert. Alles ist egal.

Von Taylor Swift: Kein neues „Shake It Off“?

Ein ähnliches Gefühl hatte ich auch, als ich am gleichen Tag das neue Taylor-Swift-Album gehört habe: alles ist egal. Konzept, Sound und Texte passen alle nicht zusammen, und die Frau, die eigentlich für clever geschriebene Texte bekannt war, singt jetzt verächtlich über die Unsicherheiten ihrer ehemaligen Weggefährtin Charli XCX, über die Genitalien ihres Verlobten und dem Bedürfnis, mit ihm so viele Kinder zu bekommen, dass die ganze Nachbarschaft aussieht wie die beiden selber. Sidney Sweeneys Jeanskampagne lässt grüßen. Und dass ihr natürlich Geld und Erfolg nichts wert seien. Was ziemlich absurd klingt, wenn es die erfolgreichste, weil auch zielstrebigste, Popkünstlerin aller Zeiten sagt. Es klingt ehrlicherweise, als wären ein paar unausgegorene Skizzen, die noch vom letzten Album letztes Jahr übrig waren oder die Swift auf Tour in eine Kladde gekritzelt hat, schnell noch vertont worden. Nicht mal Max Martin schien so richtig Bock zu haben, denn ein neues „Blank Space“ oder „Shake it Off“ sucht man genauso vergebens wie künstlerische Entwicklung.

Fans sind enttäuscht und fragen sich, warum sie jetzt fünf Deluxe-Varianten eines Albums zuhause stehen haben, dass sie nicht mal mögen. Aber: es ist egal. Denn das Team von Taylor Swift wusste, dass die Fans natürlich ungehört alle Deluxe-Varianten des Albums vorbestellen werden. Dass es trotzdem Streaming- und Verkaufsrekorde brechen wird. Es ist egal, denn das Publikum da draußen wird’s hinnehmen. Julia Klöckner und Taylor Swift in ihrer „mir doch egal“-Era, sie würden sich gut verstehen.

Aida Baghernejad schreibt freiberuflich unter anderem für MUSIKEXPRESS. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.