Kolumne

Grobschlächtige Shitstorms – Wenn die Verbrecher viral gehen (#Verlagspreis)

Weia, in seiner Kolumne zur diesjährigen Buchmesse in Frankfurt lässt Linus Volkmann wohlmöglich Sympathie für das Konzept „Antifa“ durchscheinen? Bitte erinnert uns, diesen Artikel kurz vor der Machtübernahme der Rechten schnell noch zu löschen. Ansonsten viel Spaß.

Prolog

Als 2020 der Song „What AfD Thinks We Do“ von Akne Kid Joe rauskam, habe ich noch gelacht. Der Text griff eine Verschwörungstheorie der Rechten auf, nämlich dass Antifa-Proteste heimlich vom Staat organisiert und bezahlt würden. Lustige Idee, schön wär’s eigentlich. Das dachte auch die Nürnberger Band, als sie den Quatsch zu einem kleinen Hit ausformulierte.

2025 allerdings ist dieser Nischenwahn ganz oben angekommen. Trump lässt Antifaschisten als Terroristen einstufen und auch hierzulande wird ein Anti-Woke-Kulturkampf nicht mehr nur von Verrückten und der Extrem-Rechten geführt, sondern sickert mehr und mehr in den Mainstream. Man kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Dieses Jahrzehnt wird noch in die Geschichte eingehen. Prognose: Not in a good way.

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Überall Verbrecher

Letzte Woche habe ich nicht schlecht gestaunt, auf unzähligen Social-Media-Kacheln sehe ich ein Gesicht, das mir bekannt vorkommt. Moment, ist das nicht Jörg Sundermeier, der Verleger des Berliner Verbrecher Verlags?

Es dauert eine Zeit, bis ich kapiere, er steht im Zentrum eines Shitstorms des rechtspopulistischen Portals NIUS – gegründet von dem fünfhundertfachen Millionär Frank Gotthardt. Die Leitung von NIUS bekleidet der bei der BILD-Zeitung 2021 nach einem Compliance-Verfahren als Chefredakteur abgesetzte Julian Reichelt. Gut, das sind Leute, denen möchte ich nicht im Dunkeln begegnen – und aktuell teufeln sie also auf den Verbrecher Verlag ein. Grundsätzlich wundert einen 2025 ja nichts mehr. Dennoch möchte ich den Grund, oder besser, den Aufhänger wissen. Aha, es geht vorgeblich um die Verleihung des deutschen Verlagspreises.

Aber warum genau ist gerade der Verbrecher Verlag Zielscheibe? Hier erschienen Bücher unter anderem von Musiker:innen wie Almut Klotz (Lassie Singers), JD Samson (Le Tigre), Robert Stadlober, Hendrik Otremba (Messer), von der Gruppe Ja, Panik aber auch von renommierten Autor:innen wie Frank Witzel. Versteht mich nicht falsch, das Prädikat „linksradikal und Antifa-nahe“, das NIUS ihnen in der, naja, „Berichterstattung“ zuteil werden lässt, zieht mich persönlich eher an, als dass es abschrecken würde. Allerdings stimmt das doch einfach gar nicht?

Okay, ich muss hier tiefer eintauchen. Am besten, in dem ich ein paar Fragen kläre. Die erste scheint mir – ganz banal – was bitte ist überhaupt der deutsche Verlagspreis? Muss ich den in meiner Rolle als Leser kennen? Scheinbar schon, auf Social Media ranken sich um diese freidrehende Kampagne zigtausendfache Kommentare, mit dem Credo, man müsse die genannten Verlage (es geht um mehr als nur den Verbrecher Verlag), die Antifa sowieso, aber auch den konservativen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und wen nicht sonst noch alles abschaffen, einsperren, von der Karte tilgen. Na, sowas.

Zu den Verlagen, die beim Mob aufgrund der „Berichterstattung“ in Misskredit geraten sollen, zählt auch der Ventil Verlag aus Mainz. Ich melde mich bei Jonas Engelmann, der mit Ventil und mit ein paar wenigen Mitstreiter:innen über Jahrzehnte ein buntes, sehr popkultur-affines Programm herausbringt. An einer Stelle gendert Jonas bei seiner Antwort. Das nur als Triggerwarnung – nicht dass Julian Reichelt darüber in Ohnmacht fällt.

Herzlichen Glückwunsch zum Verlagspreis 2025 für Ventil – aber was ist das eigentlich?

JONAS ENGELMANN Es gab vor sieben, acht Jahren eine Initiative von der damaligen Kulturstaatssekretärin Monika Grütters. Nach einer relativ langen Lobbyarbeit von kleinen unabhängigen Verlagen, die über Jahre darauf hingewiesen haben, dass es für unabhängige Verlage in Deutschland zunehmend schwierig wird, sich über Wasser zu halten. Vor diesem Hintergrund wurde ein Verlagspreis ausgeschrieben, auf den muss man sich bewerben. Viele Verlage tun das, ungefähr 80 werden damit pro Jahr ausgezeichnet. Hierbei handelt es sich um einen relativ kleinen Betrag, mit dem kann man vielleicht zwei Buchprojekte finanzieren. Aber der Preis hat auch einen symbolischen Wert, dass das, was man tut, Anerkennung findet, außerdem besitzt der Preis ein Standing im Buchhandel. Es ist schon gut, dass es ihn gibt in der Form, es werden hiermit auch tatsächlich linke Verlage bedacht, aber natürlich nicht nur, es gibt bei den Begünstigten ein recht breites Spektrum, das genauso Kochbuch- oder Wissenschaftsverlage einschließt. Die Preisträger werden von einer Jury bestimmt, die wiederum vom jeweiligen Kulturstaatssekretär beziehungsweise – sekretärin ernannt wurden. Die aktuelle Jury fußt entsprechend noch auf der letzten Bundesregierung, also auf Claudia Roth. Wie es da jetzt weitergeht, wie die Jury sich strukturell ändert und ob es den Verlagspreis in der Form weiter geben wird, das weiß man heute noch gar nicht.

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Auch ihr wart Thema in den Ereignissen rund um diese Kampagne von NIUS – was hat sich konkret ereignet?

Das geht zurück auf einen Journalisten, der bei NIUS untergekommen ist. Der hat versucht, Stimmung zu machen gegen diesen Preis, indem er gesagt hat, da seien wahnsinnig viele linke Verlage ausgezeichnet worden mit Steuergeldern – und das sei ja schon schlimm genug. Aber es handle sich auch um Verlage, die sogar linksextrem seien, die für die Antifa stehen. Im Unrast Verlag erscheint seit viel Jahrzehnten der Antifa-Kalender, mit Tipps und Tricks für Antifas – den hatte ich übrigens auch mal als Jugendlicher.

Ich auch! Oh weia!

Das alles hat diese NIUS-Kampagne versucht herauszustellen, auch der Ventil Verlag tauchte dort auf. Allerdings wurde sich dann auf ein paar wenige eingeschossen, vor allem eben Unrast wegen dieser Kalendergeschichte und auf den Verbrecher Verlag, weil dort vor zehn Jahren ein Buch erschienen ist, an dem eine Gruppe aus Dresden beteiligt war, die mal im Verfassungsschutzbericht aufgetaucht war. Das wurde dann zum Ansatzpunkt: Mit Steuergeldern Verfassungsfeinde finanziert. Es handelt sich offensichtlich um den Versuch, Stimmung zu machen – gegen diesen Preis und gegen die Verlage, die davon profitieren. Wer ihn verliehen bekommt, soll zum Verfassungsfeind gemacht werden.

Vielen Dank für deine Einschätzung, Jonas.

Foto: Linus Volkmann // Links sieht man Kulturstaatsminister Weimer, rechts den Verleger Jörg Sundermeier

Wir könnten uns um schöne Dinge kümmern

Preise, Jurys, Verlage … all solche gesellschaftspolitischen Faktoren und Akteure werden in dieser Epoche neu evaluiert oder gar sanktioniert. In dieses kulturpolitische Kräftemessen ist nun auch der Verleger des seit 30 Jahren wirkenden Verbrecher Verlags hineingespült worden. Auf den hostilen Social-Media-Kacheln, die NIUS gebastelt hat, sieht er dabei so freundlich aus, dass der ganze Hate im Kontext fast ein wenig untergeht. Bestimmt hat er gerade viel zu tun. Ich stelle mir sowas vor wie Fenster vernageln, Grußadressen solidarischer Kulturschaffender beantworten, Wasser abkochen, Seekarten rausholen … Aber es hilft nichts, um diese Kolumne abzuschließen, muss auch ich ihm noch auf den Leib rücken. Ich erreiche ihn und seine Verlagspartnerin Kristine Listau in Berlin …

Der erste Blick, den ich innerhalb meiner eigenen Bubble auf die NIUS-Kampagne hatte, dürfte trügerisch sein. Da war aus der literaturpolitischen Attacke bereits ein Meme geworden. Ein Meme, das die angefeindeten Verlage wie die Gallier bei „Asterix und Obelix“ aussehen ließ. Habt ihr denn von den Ereignissen auch ein wenig profitieren können?

Profitieren ist wohl zu viel gesagt. Aber wir haben eine große Solidarität erfahren von Leser:innen und Kolleg:innen, das tut in einer solchen Situation natürlich gut. Und wir haben gezeigt, dass man uns selbst mit massiv gekaufter Reichweite nicht so leicht kleinkriegen kann. Das muntert uns schon auch auf.

Jenseits der Bubble wird es dann auch schnell sehr finster. Hier besitzt das alles keinen Meme-, sondern News- und Empörungswert. Was war besonders bezeichnend für euch bei dem Shitstorm von rechts?

Ehrlich gesagt: die Grobschlächtigkeit. Natürlich weiß man, dass Rechte nicht eben mit dem Florett fechten, aber ein bisschen weniger Holzhammerei hätten wir uns schon gewünscht. Andererseits wären deren Postings dann allerdings nicht so unfreiwillig komisch.

Wolfram Weimer war und ist für viele Kulturschaffende eine ungünstige Amtsbesetzung. Seine Besetzung allein kann man als konservatives Statement im „Kulturkampf“ werten. Nun wird selbst jener zur Zielscheibe von rechts. Wie bewertet ihr seine Rolle aktuell?

Der Kulturstaatsminister ist für diese Rechten wohl bereits dann ein Linker, wenn er nicht zu 100 Prozent ihren Kulturkampf fährt. Dass Wolfram Weimer und sein Team aber in diesem Shitstorm bislang so absolut unbeugsam sind, freut uns sehr.

Auf der Frankfurter Buchmesse wurde schon vor Jahren um Diskurshoheiten mit rechten Akteuren gerungen. Unvergessen die Schlägerei, in die Nico Wehnemann (Die Partei) verstrickt war, als es 2017 um die Teilnahme des rechtsgerichteten Verlags Antaios von Götz Kubitschek ging. Wie weit ist die Neue Rechte im Literaturbetrieb mittlerweile gekommen?

Offenkundig braucht es keine wutgetriebenen Landmacker mehr, um rechte Themen in die gesellschaftliche Wahrnehmung zu prügeln, nun genügen schon giggelnde Bubis, die ein Streben nach einer solidarischen Gesellschaft nur noch denunzieren wollen. Ihre Aufgabe ist die Spaltung, ihr Ziel ist die Autoritäre Wende. Leider werden ihre Anwürfe immer öfter aufgenommen, egal, wie herbeigelogen sie sind.

Welche Veranstaltungen, Autor*innen beziehungsweise Veröffentlichungen stehen für den Verbrecher Verlag auf dieser Messe an?

Esther Becker präsentiert ihre feministischen Erzählungen, die unter dem Titel „Notfallkontakte“ erschienen sind, Maria Kanitz und Lukas Geck beschreiben in ihrem Buch „Lauter Hass“ den Antisemitismus in der Popkultur, Josefine Soppa reflektiert in „Klick, Klack der Bergfrau erwacht“ Spracherwerb und -verlust sowie die Sprechfähigkeit von KI – man sieht, alles klassische Antifa-Themen. Wir freuen uns auf intellektuelle Diskussionen, Schreihälse können gern fortbleiben.

Im Fadenkreuz der Rechtspopulisten aber auch gechillt auf ihrem Stand bei der Buchmesse: Kristine Listau und Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag // Foto: Katharina Schmidt

Bonus-Track – sechs Musikbücher, gelesen dieses Jahr

Eckhart Nickel „Punk“ (Piper)
Einst Stützpfeiler der Popliteratur rund um Stuckrad-Barre und Kracht. Schnöselig aber aufregend. Das Buch hier allerdings irgendwann weggelegt. Konstruiert, irgendwie unfaszinierend.

Hans Platzgumer „What Goes Up Must Come Down – Kleine Geschichte der Popmusik“ (bahoe books / Bibliothek des Alltags)
Gefällig ist das Werk des österreichischen Musikers (Goldene Zitronen, H.P. Zinker), immer wieder neue Bands, neue Gedanken. In der Summe mir aber zu onkelig und zu sehr mit seiner eigenen (gefühlt eher marginalen) Rolle im Musikzirkus beschäftigt.

Rike van Kleef „Billige Plätze – Gender, Macht und Diskriminierung in der Musikbranche“ (Ventil Verlag)
Erstlingswerk einer Autorin, die selbst lange Zeit im Live-Betrieb gearbeitet hat. Sie liefert einen engagierten wie erkenntnisreichen Einblick in die Teile der Branche, die sonst im Dunkeln bleiben.

Mille Petrozza mit Torsten Gross „Your Heaven, My Hell“ (Ullstein)
Eine deutsche Rockbiographie, die trotzdem knallt beim Lesen? Das allein ist schon eine Leistung. Diese Erinnerungen hier machen genauso Sinn wie Spaß.

Lukas Geck und Maria Kanitz „Lauter Hass – Antisemitismus als popkulturelles Event“ (Verbrecher Verlag)
Zentrales Thema und heftigste Entwicklung der letzten beiden Jahre. Die Autor:innen sammeln, verorten, machen haarsträubende Geschehnisse und Haltungen sichtbar. Mich überzeugt vor allem aber ihr stets konstruktiver Angang.

Ozzy Osbourne „I Am Ozzy – Die Autobiografie“ (Heyne Hardcore)
R.i.P. Ozzy, Re-Read aus aktuellem Anlass. Große Empfehlung. Noch kurzweiliger und krasser als deine Mutter.

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Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

ME

Linus Volkmann schreibt freiberuflich unter anderem für MUSIKEXPRESS. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.