About Oberst


Mit sechs sang er zum ersten Mal auf der Bühne. Mit 17 war er Labelmate von Creed; der letzte dunkle Fleck in seiner Biografie. Jetzt veröffentlicht er mit Bright Eyes zwei Alben, die 2005 überstrahlen werden. Einst war Conor Oberst ein Wunderkind. Jetzt ist er ein Wunder.

Es ist ein schnöder Montagmittag Mitte November in Giesing. Auf der Couch im mit seinem Interieur jetzt auch nicht eben die Sinne beflügelnden ME-Büro sitzt, Akustikgitarre auf dem Knie, ein schmaler junger Mann mit schwarzem Schopf. Conor Oberst geht es leider nicht so gut. Gegen Ende des Interviews vorhin hatte erbemerkt, erfühle sich „weird“. Beim Rundgang im Gebäude für die Fotos, den er freilich tapfer absolvierte, ist er noch eine Spur blasser um die Nase geworden. Später am Nachmittag wird ihm sein gebeutelter Kreislauf in Komplizenschaft mit seiner Psyche – er räumt ein, „ein bisschen ein Hypochonder“ zu sein und Probleme mit Panickattacken zu haben – so foul mitspielen, dass sein langjähriger deutscher Promo-Koordinator und Freund Jan fürsorglich den Großteil der noch geplanten Termine absagt und Oberst vor dessen Auftritt am Abend im Atomic Cafe ins Bett steckt (in einem raren Vorgang, der viel über die familienwarme Atmosphäre im Bright-Eyes-Camp erzählt, springen Obersts mitreisender Manager und Freund Nate Krenkel und sein Cousin Ian McElroy – ein veritabler Spaßvogel und Ex-Mitglied von Oberst stillgelegter Band Desaparecidos, der nach eigenem Bekunden primär dabei ist, „um für gute Laune zu sorgen “ in die Bresche und geben den enttäuschten Journalisten ein paar Infos und Einblicke). Jetzt sitzt er da im fahlen Mittagslicht auf der abgeschabten Couch, vor zwei Handvoll gespannter Zuhörer und der Digicam für den Online-Stream der „ME-Sessions“. Und dann fangteran zu singen, „At The Bottom Of Everything“, den Opener des „akustischen“ seiner beiden neuen Alben. Und der Raum vibriert und aus einer Tiefe, in die keine Routine oder Professionalität vordringt, strömt eine Intensität durch diesen schmächtigen Körper und diese kurz vorm Bersten klingende Stimmbänder, die Nackenhärchen aufstellt. Wenn Conor Oberst singt, schwingt der schnöde Herbstmontagmittag mit ihm hinüber in eine andere Sphäre. Da haben Wir Sie Wieder, die alte Leier: Conor Oberst ist eine Ausnahmeerscheinung. Aber manche Leiern verlieren mit dem Alter eben nichts von ihrem Wahrheitsgehalt. Als 2000 mit fevers and mir-RORS das zweite „richtige“ Album von Bright Eyes, dem Alias, hinter dem sich Oberst und ein stets wechselnder Kreis von Mitmusikern verbergen, erschien, verbreitete sich die Kunde von dem rasend talentierten Maniac, einem Wunderknaben, der Songs schrieb, deren lyrische Kraft und Reife nicht mit seinen zarten 18,19 Lebensjahren zu vereinbaren schien, erstmals auch in Europa. Endgültig zum Begriff wurde der Name dieses Underground-Helden, um den sich, wie man jetzt erfuhr, in seiner Heimatstadt Omaha, Nebraska, eine ganze Szene von miteinander vernetzten Bands und Musikern scharte, 2002 mit der Veröffentlichung von LIFTED OR THE STORY IS IN THE SOIL, KEEP YOUR EAR TO THE GROUND. Mit SO heißem Herzen und poetischem Furor hatte seit Kurt Cobain keiner mehr seine inneren und die Stürme des Lebens um ihn herum in Texte, Musik und Ausdruck kanalisiert. So „honest“ sei dieser Oberst, schwärmten Bewunderer vom bartstreichelnden Kritiker bis zum weltgeschmerzten Teenager, und noch viel unwiderstehlicher war das Album, weil Obersts lyrische tour de force in melodietrunke Songs und hinreißend mitreißende Arrangements und Performances gebettet war. Das reife, hochmusikalische, visionäre Meisterwerk eines 21-Jährigen. Die Begriffe „Wunderkind“ und „Genie“ wurden zu Konstanten in der Berichterstattung über Bright Eyes.

Zwei Jahre später steht der Name Omaha in Musikinteressiertenkreisen nicht mehr für bittere Provinz mitten im Nirgendwo des Farmerstaates Nebraska, sondern eine einzigartige, prosperierende Indie-Szene mit Bands verschiedenster Couleur, die auf dem von Oberst mitgegründeten Label Saddle Creek im Monatstakt großartige Alben veröffentlicht. Integrationsfigur Oberst lebt zwar seit Anfang 2003 in New York, pendelt aber viel. Und veröffentlicht jetzt zwei Alben, auf denen wieder halb Omaha (und Nick Zinner von den Yeah Yeah Yeahs und Emmylou Harris und Jim James von My Morning Jacket etc.) mitspielt und die den Dylan-, Springsteen-, und Morrissey-Vergleichen, die Oberstvor die Tür gelegt wurden, mit entwaffnender Grandezza standhalten und von diesem Januar aus 2005 überstrahlen werden.

Zwei Alben auf einmal, das passt ins Bild vom hyperkreativen Brüter Oberst, der in den letzten Jahren auf Dauer-Tour war, nebenher mit Krenkel in New York das neue Label Team Love aus der Taufe hob, weil ihm bei Saddle Creek mittlerweile die Mühlen etwas zu langsam mahlen, dessen ersten Release wild like children von Tilly And The Wall gleich selbst produzierte – und dabei noch von der eigenen Schaffenskraft überholt wurde? „Sieht fast so aus“, sagt mit feinem Lächeln Oberst, der das folkige I’M WIDE AWAKE IT’S MORNING und das dunkel-elektronische DIGITAL ASH IN A DIGITAL URN der Einfachheit halber selbst in „the folk one“und „the digital record“unterscheidet. „Wir haben die Folkige zuerst gemacht, wir hätten sie im Sommer veröffentlichen können. Aber gleichzeitig hatte ich so viele Entwürfe für die digitale Platte. Und wir waren gerade so inspiriert und wollten an diesen Songs arbeiten. Wir hatten Angst, wenn wir jetzt die Folkplatte rausbringen, dass wir dann mit dem ganzen Tour-Interview-Aufstand keine Zeit mehr haben. Also haben wir uns gesagt, ,lass uns warten‘. Wir machen jetzt erst mal weiter Musik. Und dann entscheiden wir, was wir tun. Als sie dann fertig waren, war’s so: Scheiß drauf, wir bringen die jetzt beide gleichzeitig raus.“

Wenn Oberst „Wir“ sagt, meint er außer sich vor allem Mike Mogis. Der 30-Jährige, den Oberstals „Genie“ bezeichnet, hat bislang – abgesehen von Obersts frühen Cassettenrekorder-Kratzereien -alle Alben und EPs von Bright Eyes produziert. Zusammen mit Ted Stevens, einer weiteren Schlüsselfigur im Leben und in der Karriere von Conor Oberst, war Mogis in den Neunzigern die Band Lullaby For The Working Class aus Lincoln, Nebraska. „Mike und sein Bruder AJ haben schon in der Highschool Musik, Bands aufgenommen „, erzählt Oberst. „Wobei Mike immer eher Ajs Engineer war. Irgendwann wollte Mike mehr selber produzieren. Und weil mir Aufnahmequalität damals ziemlich egal war, sagte ich: Okay. Nimm mich auf. ich seh das nicht so eng.“ Auf Mogis 8-Spur-Gerät nahmen die beiden zu Hause bei Obersts Mutter dann den Großteil von LETTING OFF THE HAPPINESS auf, der ersten Bright-Eyes-LP. „Seitdem kleben wir zusammen undmachen Platten. Und so, wie ich besser wurde als Songwriter wurde er besser als Produzent. Wir sind sozusagen zusammen aufgewachsen.“

Längst ist Multiinstrumentalist Mogis über Omaha hinaus als Produzent gefragt. Als er zum ersten Mal mit Oberst arbeitete, war der knappe 17. Und hatte schon seine erste Rock-Karriere hinter sich.

Conor Oberst wurde geboren am 15. Februar 1980, einen Tag nach dem Valentinstag, „one day too lote for love“, wie er mit dem ihm eigenen Sinn für Melodrama einmal sagte. Was nicht heißen soll, dass der jüngste von drei Söhnen von Matthew, Angestellter beim Versicherungskonzern Mutual Of Omaha (der Ex-Firma des von Jack Nicholson gespielten rastlosen Ruheständlers in „About Schmidt“) und Nancy, Grundschulrektorin, eine lieblose Kindheit gehabt hätte. Bei Obersts ging’s weitgehend harmonisch zu, die musikalische Sozialisation des Sprösslings begann früh: Die Eltern hörten klassische Songwriter wie ]ackson Browne und Simon &. Garfunkel. Als Conor acht war, weihte ihn sein sechs Jahre älterer Bruder Matthew in die wahren Dinge des Lebens ein und schenkte ihm ein The-Cure-Tape. Robert Smith istbis heute einer von Obersts großen Heroen.

Es passt glänzend ins oft kolportierte Bild vom Frühstarter Oberst, dass Conor mit der ersten Band, die er live sah, auch seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte: Im Alter von sechs Jahren sang der kleine Conor bei einem Auftritt der Covercombo, mit der sein Vater in seiner Freizeit Hochzeiten und Tanzvergnügen beschallte, Richie Valens‘ Tränendrüsendrücker „Donna“. Die glänzenden Augen der anwesenden Mütter darf man sich ausmalen, erinnern kann sich Oberst an seinen Bühneneinstand nicht mehr. „Ich hah mal ein Video davon gesehen.“ Dafür weiß er noch seinen ersten Gig mit eigenen Songs. Der war nicht allzuviel später. Auftritt Ted Stevens. „Ted ist einer meiner ältesten, besten Freunde“, sagt Oberst. Der fünf Jahre ältere Songwriter war der erste, der Oberst, der mit zwölf angefangen hatte, Songs zu schreiben, „für voll nahm und auch so behandelte.“ An einem Donnerstagabend, Oberst war zwölf oder 13, schlug die Stunde der Wahrheit. Jeden Donnerstag war im Kilgore, einem Cafe in Omaha, Folk Night. Justin (Obersts anderthalb Jahre älterer Bruder) und ich gingen hin, um Ted spielen zu sehen. Und am Nachmittag hatte Ted mich noch aufgezogen, ,ich spiele heute einen Song weniger, und dann musst du rauf.‘ Und ich so ‚vergiss es!‘. Und dann, am Ende seines Sets, sagt er tatsächlich: ,So. Ich lasse jetzt meinen letzten Song weg. Dafür wird mein Freund Conor was spielen.‘ Und dann saß ich da, die Gitarre auf dem Schoß“-Oberst lacht und simuliert extrem nervöses Knie-Hibbeln „und dann hob ich einfach gesungen“ Eine halbe Stunde später hatte das hoffnungsfrohe Jungtalent sein erstes Engagement in der Tasche: Bill Hoover, ein Folksänger, der die Acts für einen Abend in einem anderen Club buchte, kam auf Oberst zu: „Er sagte:,Okay, du hast drei Wochen.‘ Ich ging nach Hause und musste Songs schreiben, um einen Set zusammenzubringen. Ich dachte nur,Oh Gott!'“

Mit etwas Anstubsen von klugen Förderern hatte Oberst seinen Weg eingeschlagen. Und bald schon ging es recht steil bergauf: Mit süßen 14 gründete er mit Tim Kasher (heute Cursive und The Good Life), Matt Bowen (heute The Faint) und Robb Nansel Commander Venus, die es zum next-big-Emo -thing-Status brachte und deren zweites Album THE uneventful vacation 1997 durch eine seltsame Fügung beim Labei Wind-Up erschien, das im selben Sommer das Debüt der Pathos-Rocker Creed veröffentlichte und bis heute deren Heimat ist. Das Vermächtnis von Commander Venus, die sich 1998 auflösten, ist ein ungleich erfreulicheres: Für seine ersten Releases hatte das Quartett zusammen mit Conors Bruder Justin mehr aus Laune sein eigenes Label, Lumberjack Recordings, gegründet, das bald in Saddle Creek umgetauft wurde; Robb Nansel ist heute Geschäftsführer. Conor Oberst hat eine Schwäche für traurige Lieder, das war immer schon so, sagt er. Fragt man ihn nach seinem ersten traurigen Lieblingslied, nennt er Paul Simons wehmütig über Vergänglichkeit und Zeitverflug meditierendes „Leaves That Are Green“ von 1963. Und eine gewisse nostalgische Wehmut kann auch der 24-jährige Oberst, der im Schultheater einst den Peter Pan spielte und einmal von sich sagte, er neige dazu, der Vergangenheit nachzuhängen, nicht verhehlen, wenn er sich an Dinge erinnert, die nur ein paar Jahre her und doch schon so fern sind. „Vieles von dem, womit ich aufgewachsen bin, ist nicht mehr da“, sagt er über die einst so idealtypisch kuschelige Omaha-Szene. „Ich vermisse schon ein wenig die alten Zeiten. Als wir immer zusammenhingen. Musik machten, bei irgendwelchen Leuten auf dem Fußbodenpennten. Alles schien möglich und wir hatten alles, was wir brauchten. Die meisten, mit denen ich das Label gegründet und gespielt habe, sind fünf, sechs Jahre älter als ich, die sind jetzt alle 30,31. Sie werden älter, und es wird schwieriger. Man sieht sich nicht mehr so oft, jeder hat seine Zeitpläne, Verpflichtungen. Das ist wohl das Erwachsenwerden. Ich glaube schon, dass allen noch sehr viel an der Musik liegt. Aber das Leben nimmt seinen Lauf. Leute heiraten… „Heiraten. Kriegen Kinder. Wollen Sicherheiten. Alles wird komplizierter. „Ja. Irgendwas verändert sich Mitte, Ende zwanzig. Man kommt ins Nachdenken darüber, dass man langsam erwachsener sein sollte“, sinniert Oberst und zuckt mit einem leisen Lachen die Schultern. „Mir ist das noch nicht passiert. Ich schätze, das kommt vielleicht noch.“

Der progressive Zeitgeist ermahnt einen ja stets, im Hier und Jetzt zu leben. „Ich will ja auch mehr im Jetzt sein“, sagt Oberst und betreibt ein wenig Selbstanalyse, die ihn sehr offensichtlich beschäftigt. Oberst kämpft seit langen Jahren mit wiederkehrenden Depressionen. „Ich verbringe wohl zu viel Zeit damit, über die Vergangenheit nachzudenken oder mir über die Zukunft Sorgen zu machen. Aber ich habe das Gefühl, ich werde besser. Mir werden immer mehr Denkmuster von mir klar. Man kommt sich besser auf die Schliche, so: Warum tust du das schon wieder? Warum kapselst du dich ab? Warum zerbrichst du dir den Kopf über Dinge, über die du keine Kontrolle hast?“

Auch andere Leute hängen nostalgischen Idealvorstellungen nach. Aber mit Typen wie dem „Fan“ Parker Johnson, der nach einem Bright-Eyes-Konzert im April 2003 in einem Web-Post seiner tiefen Enttäuschung darüber Ausdruck verlieh, dass Oberst nicht mehr „angsterfüllt vor 100 Leuten“ da oben stehe, sondern ruhig und konzentriert vor 1000 – ein Oberst ohne das zermürbende Lampenfieber, das ihn so lange quälte und das er über die letzten Jahre in den Griff bekam, ist quasi ein Sell-Out – will Oberst naturgemäß nichts zu tun haben. Er setzt sich kaum auseinander mit den Ergüssen seiner mitunter etwas manischen Verehrer, die in Webforen seine Texte – und nicht zuletzt sein Privatleben – analysieren. „Manchmal sagt mir ein Freund, ‚das musst du dir ansehen, das ist zu bescheuert‘, und dann lese ich mir male in Posting durch, irgendein Gerücht über mich. Weil es lustig ist. Aber alles mitzukriegen, was die Leute so über mich erzählen – da würde ich ausflippen.“

Einen Geschmack davon, was es heißt, eine „Celebrity“ zu sein, bekam Oberst, als vor etwa einem Jahr das Tabloid-Gerücht kursierte, er sei der neueste Indierocker-Freund von Winona Ryder. „Ich war nie mir ihr zusammen „, erklärt Oberst lächelnd und schüttelt den Kopf. „Sie und unser Tourmanager in den USA sind alte Freundeaus Zeiten, als erfiirSoulAsylum arbeitete. Sie kam öfter mal zu Konzerten und als wir in LA. spielten, gab sie eine Party für uns. Und zum Abschied gab ich ihr einen Kuss.“ Was danach kam, sagt Oberst, hat ihm „nachhaltig die Augen geöffnet, worum es bei diesem ganzen Öffentlichkeits-Ding geht. Es ist böse. Wenn du es in dein Leben lässt, frisst es dich auf. Du musst dir und deinen Freunden treu bleiben. Weil das das einzige ist, was zählt. Alles andere dreht sich nur um dich rum und versucht dich irre zu machen.“

Freunde und Freundschaft sind zentrale Themen in Obersts Leben, auch in seinen Songs. Die alten Freundschaften sind ihm wichtig, und er stellt klar, er verstehe selbstverständlich die neuen Bedürfnisse seiner alten Weggefährten und freue sich für sie. Doch war sein Umzug nach New York ein bewusster Schritt weg von der Vergangenheit, die ihm in Omaha um jede Ecke herum entgegenstiert. Er hat weiterhin ein Haus in seiner Heimatstadt, aber er verortet dort „zu viele Erinnerungen.“ Denen ständig ausgesetzt zu sein, strenge an, sagt er. In New York fühle er sich freier, „New York is good for my head.“

Und gut fürs Mittelohr, wenn man Freunde wie Michael Stipe hat, den Oberst über Andy Lemaster (Now It’s Overhead) aus Athens kennen lernte. „Michael ist großartig. Ein guter Ratgeber, weil er den ganzen Scheiß schon mitgemacht hat.“ So setzte Stipe den Arzt seines Vertrauens um die Ecke in New York in Trab, als Oberst jetzt vor seiner Europareise eine Ohrentzündung bekam. „Er sagte nur: ,Du kannst so nicht fliegen ‚und rief seinen Arzt an und der machte mich fit. Das ging so schnell.“ Stipe, spätestens seit Thom Yorke erfahren im freundschaftlichen Coaching strauchelnder Jung-Genies, hat ein wenig seine Fittiche um Oberst gebreitet. Und glättet die Wogen, etwa, wenn besorgte Spekulationen über dessen mitunter sichtbar großzügigen Alkoholkonsum angestellt werden. „Wenn du viel auftrittst, ist dein Adrenalin so hoch, dass besonders Rotwein hilft, weil er beruhigt“, sagte Stipe letzthin dem ME. „Wenn du Conor oder andere Künstler mitderWeinflasche auf die Bühne torkeln siehst, ist das schon in Ordnung. Ich bin Conors Freund und ich mache mir auch keine Sorgen.“

Zum Sorgenmachen gibt es außerdem ganz frisch ganz anderen Anlass. Noch im Oktober war der politisch bewegte Oberst- der sich etwa auch aktiv gegen die gleichschalterischen Bestrebungen des Mediengiganten Clear Channel engagiert – zusammen mit Stipe auf der „Vote For Change“-Tour unterwegs. Zwei Wochen nach dem katastrophalen Wahlausgang, ist er immer noch tief aufgewühlt. „Zuerst war ich einfach geschockt. Das ging dann über in Verzweiflung und richtige physische Übelkeit. Ich meine: In was für einem Land werden wir leben, wenn das alles vorbei ist? Wenn ich an die Kinder meines Bruders denke. Oder Mike Mogis, derhatim Frühlingein Baby bekommen. Es ist ja nicht nur das, was in den nächsten vier Jahren passieren wird, sondern darüber hinaus. Neue Richter am Supreme Court, Verfassungsänderungen. Wenn solche Sachen mal passiert sind, dauern sie sehr lange zu reparieren. Und dann die Weltpolitik… Das ist alles überwältigend und erschreckend. Und die Versuchung ist groß, unter einen Stein zu kriechen und aufzugeben. „Das ist sie in der Tat. „Aber das ist es ja, was sie wollen. Dass sich die Opposition in Luft auflöst. Wir müssen jetzt noch lauter und smarter werden und klar machen, dass wir das alles nicht tolerieren werden.“

Ein Freund deutlicher Worte ist Oberst ja. „A vote for Bush ist like shitting in your own bed“, verkündete er bei „Vote For Change“. Stimmtes, dass bei den Shortlist Awards von MTV USA im Herbst 2003 ein „Fan“ auf die Bühne sprangund Conor auf die Füße spuckte, weil er einen Song „owgun-toting, line-snorringpresident“ widmete? Oberst lächelt. „Ich weiß es nicht bestimmt. Aber die Security war so hart bei der Veranstaltung … Ich könnte mir vorstellen, dass MTV da jemandem postiert hatte. Oder jemanden durchließ. Damit das Programm aufregender wird.“ Derlei Konfrontationen stehen am Abend im Atomic Cafe nicht zur Verhandlung. Und viel aufregender als der Auftritt, den Conor Oberst da solo mit seiner Gitarre hinlegt, kann das Programm auch nicht werden. Nur einmal, nach den ersten Songs, muss er Dampf ablassen. Er hält seine Bierflasche hoch und grummelt: „Don’t drink too much, so you can play well“, habe ihm einer auf seinem Weg zur Bühne zugeraunt. Der falsche Spruch zum falschen Mann am falschen Tag. „Don’t open your mouth unless you want a dick shoved in!“, speit Oberst dem Vorwitzigen jetzt humorlos hinterher. Ein aus dem Dichtermund grotesk krass wirkender Diss, für den er später von Gute-Laune-Cousin McElroy, der sich vor den Zugaben das Mikro schnappte, liebevoll-ironische Props bekommt („Did you hear that? Dick in the mouth? That was fuckin‘ tough!“) Dann nimmt er einen Schluck. Und stürzt sich zum zweiten Mal an diesem Tag in „At The Bottom Of Everything“, dass sich Nackenhärchen aufrichten. Da ist sie wieder, die alte Leier…

www.saddle-creek.com; www.team-love.com 4