Kolumne

Aidas Kolumne: Politischer Diskurs als Popentertainment?

Zwischen Carpenter-Diskurs und Wilson-Nachrufen sieht Aida Videos von Zerstörung in Teheran & Tel Aviv – und fühlt sich nur noch taub.


Es ist eine dieser Wochen, in der es wirklich nicht an Themen mangelt: Sabrina Carpenters neues Plattencover und der Diskurs darum (Ist das jetzt feministisch und sexpositiv oder wirft es uns um 1000 Jahre zurück? Discuss!), die Tode von Sly Stone und Brian Wilson (Was wäre Pop ohne Sly & the Family Stone oder die die Beach Boys? Und kommt musikalische Genialität immer mit dem Preis, dass man dafür irgendwann seinen Verstand aufgeben muss, wie im Leben von Wilson?).

Aber auch die Brutalität der Razzien der Einwanderungsbehörde und die Proteste dagegen in Los Angeles, Trumps’ Militärparade und die unglaublich bunten und lustigen Proteste dagegen im Rahmen des „No Kings Day“ in so ziemlich jeder Stadt und jedem Städtchen der USA, die SPD, ihr Manifest und der (naive?) Traum von Kaffeekränzchen mit Putin, und so weiter und so fort.

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Aber ich sag’s euch ehrlich: Ich fühle mich taub. Am Freitag ist der lange schwelende Konflikt zwischen Iran und Israel eskaliert, Drohnen, Explosionen und Bomben regneten auf Teheran und militärische Ziele, der Iran antwortete mit Angriffen auf Tel Aviv und umliegende Regionen. Am Anfang traf es im Iran erst einmal ranghohe Militärs und Regimebosse, mittlerweile gibt es auch sehr, sehr viele zivile Opfer. Und auch in Israel starben Zivilist:innen, Häuserblöcke wurden zerstört. Ich erkenne auf Videos aus Teheran Häuser, in denen Familienmitglieder lebten. Nachbarschaften, in denen ich, als ich noch einreisen konnte, von Lokal zu Lokal tingelte, in Parks und Bazaars abhing. Meine Eltern erzählen von Freunden, die eigentlich in Deutschland leben und im Iran nur ein paar Tage Familie besuchen wollten, die schwer erkrankt ist. Jetzt hängen sie fest, in einem Kriegsgebiet. Während wir mit Cousinen und Cousins telefonieren, können wir hören, wie Bomben in der Nachbarschaft einschlagen. Gleichzeitig schreibe ich mit Freund:innen in Israel, die völlig fertig sind mit ihren Nerven, die gerade so gut wie jede Nacht in Schutzräumen verbringen, deren Kinder nur noch heulen. So viel Trauma – wofür?

Ich kenne niemanden aus dem Iran oder mit Verbindungen ins Land, der nicht von Menschen erzählt, die sich freuen, dass Regimeschergen Ziel der israelischen Angriffe waren. Aber genauso kenne ich niemanden, der oder die Freude über die Zerstörung empfindet und glaubt, dass Angriffe von außen den Menschen im Land irgendwie dabei helfen würden, einen Regierungswechsel anzuzetteln. Nicht, dass es diese Leute nicht gibt – in der arg zerstrittenen iranischen Diaspora und Oppositionsbewegung gibt es eine Menge auch entgegengesetzter und teilweise komplett absurder politischer Ausrichtungen – aber ernst genommen werden sie nicht.

Außer im Internet, denn im Internet findet sich für jede halbgare, noch so abstruse Meinung auch ein Publikum. Spätestens seit dem 7. Oktober und allem, was danach kam, nahm der Diskurs im Internet immer wildere Züge an. Immer öfter hatte ich das Gefühl, dass der politisierte Social-Media-Diskurs nur noch als eine Art Entertainment und popkulturelles Distinktionsmerkmal dient, bei dem man sich moralisch über einen imaginierten Gegner erheben kann. „Mein Team ist moralisch reiner als deins!“ quasi. Was auf der Strecke blieb? Fakten und Humanismus. Kein Wunder, wissen wir doch alle, wie die Algorithmen funktionieren: Immer extremer müssen die Positionen werden, damit sie überhaupt sichtbar bleiben in diesem unendlichen Ozean von beknackten Takes.

Und so ist es auch jetzt: Ich lese „politische Analysen“ von Menschen, deren Expertise darin liegt, maximal viel Aufmerksamkeit auf Instagram, Tiktok, Bluesky, X oder LinkedIn zu generieren. Sie sind ahnungslos und ihre vermeintlichen Analysen nicht einmal halbgar – das ist aber komplett egal, weil’s klickt. Weil Leute geknackt haben, wie sie den Algo zum Laufen bringen. Und damit den Diskurs bestimmen. For better, aber meistens for worse. Much, much worse.

Ich sitze da und versuche irgendwie zusammenzubringen, dass ein paar Tausend Kilometer weiter Freund:innen und Familienmitglieder in Teheran und Tel Aviv, und Angst um ihr Leben haben, während ich hier mein normales Leben lebe und mich um Sachen wie meine Versicherung kümmern muss oder meine Wohnung geputzt werden will. Ist das noch kognitive Dissonanz oder schon Hypernormalisierung?

Vor fast zehn Jahren, 2016, erschien die Dokureihe „HyperNormalisation“ des britischen Filmemachers Adam Curtis. Der Titel stammt von einem Konzept des Anthropologen Alexei Yurchak: Er beschreibt einen Zustand in der späten Sowjetunion, in dem alle wussten, dass das aktuelle System zerbricht. Aber niemand konnte sich eine Alternative vorstellen, also hat man weiter so getan, als wäre alles ganz normal und voll in Ordnung. Dieser Tage ist der Begriff wieder in aller Munde: Angefangen von einem Instagramvideo der Anthropologin Rahaf Harfoush bis hin zu einem Artikel bei den Kolleg:innen des „Guardian“, den ich gerade obsessiv meinen Freund:innen schicke.

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Alles fühlt sich an, als ob es zerbrechen würde – und gleichzeitig planen wir das nächste Meeting und müssen in den Supermarkt. Zwischen Kochrezept und Hochzeitsvideo von halbvergessenen Schulfreund:innen kommt auf Tiktok noch ein verzweifelter Spendenappell von Zivilist:innen in Gaza, danach eine „politische Analyse“ von einer Influencerin, die vor ein paar Monaten noch vor allem Skincaretipps gab. Ein Swipe weiter tanzt ein Mensch im Dinokostüm auf einer Anti-Trump-Demo, zwei Swipes weiter feiert jemand die Verhaftungen von Migrant:innen, drei Swipes weiter spricht jemand über die heute schon realen Auswirkungen der Klimakatastrophe auf die brandenburgische Landwirtschaft, und vier Swipes weiter ist ein Video vom neuen Landwirtschaftsminister zu sehen, der behauptet, dass man den Klimawandel am besten aufhalten könne, wenn man Waldbesitzern erlaubt, alles zu tun was sie wollen.

Der Disconnect zwischen dem, was wir auf unseren Screens sehen und wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, und dem Gefühl, dass aber das Leben ganz normal weiterläuft, der tut uns nicht wirklich gut. Gibt es einen Weg da raus? Ich weiß es nicht.