Aidas Popkolumne: Das Hören der anderen – Welcome to Bulgaria!
Aida war 5 Tage in Sofia & hat viel über die Musikszenen des Balkans gelernt. Und fragt sich: Warum hören wir nicht genauer hin?
Wann habt ihr das letzte Mal eine Band aus Sarajevo gehört? Aus Nicosia? Aus Sofia? Aus Bukarest? Ich sage es euch ehrlich: Ist schon eine Weile her bei mir. Umso neugieriger war ich, als ich von Musikkonferenz SoAlive nach Sofia eingeladen wurde: „The gateway to the Balkan’s music industry“ nennen sie sich und wollen Musikjournalist*innen aus aller Welt, die internationale Musikindustrie und alle anderen, die irgendwie zu diesem Kosmos gehören, von den Musikszenen auf dem Balkan überzeugen.
Und das hat guten Grund: Musik aus der südosteuropäischen Halbinsel spielt in unseren Hörgewohnheiten kaum eine Rolle. Das liegt, so argumentierte eine der Festivalgründerinnen, die Musikerin Ruth Koleva, auch an diskriminierenden Vorannahmen über den Balkan im Allgemeinen und Bulgarien im Besonderen. Wer denkt da schon an Popkultur, wenn geraunt wird, dass „mazedonische Teenager“ schuldig seien an der Wahl von Trump, oder in Filmen wie „Wolfs“ aus dem letzten Jahr Menschen aus dem Balkan, aus Albanien, Kroatien, Slowenien oder Bosnien, eigentlich nur als identitätslose Bösewichte zu sehen sind?
Bands aus Balkanstaaten, so Koleva, treten selten auf den großen Showcase-Festivals wie dem Reeperbahn Festival in Hamburg oder dem Great Escape in Brighton auf. Warum das wichtig ist? Weil auf denen oft entschieden wird, wer in den nächsten Jahren eine Chance bekommt mit Auftritten auf Festivals, bei Touren bekannterer Musiker als Support oder auf Aufmerksamkeit. Was diese Showcase-Festivals erreichen können, hat sich seit der Dominanz der Algorithmen natürlich verändert, aber als the next big thing gehandelt zu werden, schadet nie, auch wenn’s in Zeiten von KI-Partnerschaften zwischen Majorlabels und Streamingplattformen natürlich immer weniger bedeutet.
Ein paar Balkanstaaten haben’s etwas besser: Kroatien ist mit seinen Elektrofestivals zumindest eine Destination für Feierwütige aus aller Welt, und Künstler*innen aus Griechenland und in den letzten Jahren insbesondere aus der Türkei (die durch ihren europäischen Teil zum Balkan gehört) haben es geschafft, zu den Ohren von Menschen aus aller Welt zu dringen.
Dabei ist es in einer immer komplizierteren Welt immer wichtiger, breit und divers zu hören – so wie auch Literatur dabei helfen kann, andere Kulturen kennen und verstehen zu lernen, kann auch Musik dabei helfen. Ein großartiges Beispiel ist da zum Beispiel die Renaissance von Anadolu Rock aus der Türkei in den letzten Jahren und neo-anatolische Musik: Wie viel habe ich über die Region gelernt durch Gaye Su Akyol, die Politik und Queerness in der Türkei in ihren Songs thematisiert, durch die türkisch-niederländische Band Altin Gün oder das britisch-türkische Duo Kit Sebastian, durch die Hamburgerin Derya Yıldırım, die mit und ohne ihre internationale Band Grup Şimşek alte türkische Kinderlieder neu interpretiert, oder politische Debatten musikalisch fasst. In Bulgarien haute mich der Saz-Spieler und Sänger Ali Doğan Gönültaş um, der die musikalischen Traditionen marginalisierter Communities aus der Türkei in neue Songs für sein Trio fasst – und damit das gelangweilte Publikum der Festivaleröffnung tatsächlich in jedem Sinn vom Hocker riss.
Aber es muss ja auch nicht immer der ganz große Wurf sein, oft bleibt durch Pop aus anderen Ecken der Welt auch einfach die Erkenntnis übrig, dass Coming of Age überall gleich melancholisch, weird und emotional ist. Ob man nun in Berlin sitzt, Sheffield oder eben einem bulgarischen Dorf, wie die wunderbar sympathische Post-Punk/Shoegaze-Band Tlen oder wie sie eigentlich geschrieben werden: ТЛЕН. Oder die verträumten Alone at Parties aus Cluj-Napoca in Rumänien, in deren weichen Sound man sich hineinlegen möchte wie in eine Federdecke.
Kritisch wird’s nur, wenn vor lauter Orientierung am internationalen Sound der Stunde gar nichts eigenes mehr übrig bleibt. „Wir klingen wie die nächste Phoebe Bridgers! Nirvana! Olivia Rodrigo“ werben sie für sich, wie es ihnen von irgendwelchen Managern eingetrichtert wurde, in der Hoffnung, so irgendwie wahrgenommen zu werden. Das Problem nur: Phoebe Bridgers und Olivia Rodrigo gibt es schon. Und wie so oft bei Bands, die so für sich werben, meint man dann fast schon Cover ihrer Vorbilder zu hören, und die einstudierten Rock- und Popstarposen sehen aus wie genau das: Posen.
Wesentlich cooler waren da lauter bulgarische Teenager, die an jedem Festivalabend in einer Venue ihren eigenen Mini-Showcase organisierten – ohne Rockstarposen, dafür mit der gleichermaßen gelangweilten wie aufgeregten Attitude, wie man sie nur zwischen fünfzehn und zwanzig auf dem Gesicht tragen kann, und rohen, ungeschönten Songs, die in erster Linie nach sie selber klangen.
Die Welt klingt vielfältiger, als es uns Spotify und KI-Musik weis machen will. Und es lohnt sich, hinzuhören – schon allein, damit man am Ende nicht klingt wie ein Friedrich Merz und seiner Angst vor allem, was unbekannt wirkt.



