Aidas Kommentar: Sean Combs teilweise freigesprochen – Diddy do it? Jein

Die Geschworenen haben Combs in drei von fünf Anklagepunkten freigesprochen. Was heißt das fürs Verfahren?


Und jetzt ging es doch ganz schnell: Gestern morgen deutscher Zeit hieß es noch, die Geschworenenjury solle sich nochmal zurückziehen und beraten, ein paar Stunden später hatten sie am New Yorker Gericht ihr Urteil über Sean Combs aka Puff Daddy aka P. Diddy aka Brother Love gefällt. Zwei Mal schuldig, drei mal unschuldig. Und damit geht eine der größten Gerichtsverhandlungen der popkulturellen Gegenwart ihrem vorläufigen Ende zu: Nicht mit einem Freispruch, aber dennoch mit Grund zur Freude für den 55-Jährigen. Warum? In den drei schwerwiegendsten Anklagepunkten wurde er freigesprochen.

Die Jury sah ihn als unschuldig an in den Punkten:

  • „Sex trafficking“ von Cassie Ventura, also Transport und Nötigung zu sexuellen Handlungen
  • „Sex trafficking“ des anonymen Opfers „Jane“
  • Bildung einer kriminellen Vereinigung

Eindeutig schuldig wurde er in den zwei weniger schwer wiegenden Anklagepunkten befunden, Transport zur Beteiligung an Prostitution in den Fällen bezogen auf Cassie und „Jane“. Diese beiden Anklagepunkte waren eindeutig nachzuweisen: Diddy hat die Reise für die Prostituierten, mit denen Cassie und „Jane“ während den „Freak Offs“ Sex haben sollten, organisiert beziehungsweise organisieren lassen. Dafür könnte er immer noch für bis zu 20 Jahre ins Gefängnis wandern, wenn der Richter das genaue Strafmaß festsetzt, da jeder dieser Fälle mit maximal 10 Jahren Haft bestraft werden könnte.

Diddys Reaktion

Könnte – aber das muss nicht passieren. Wäre Combs allerdings in den drei anderen Anklagepunkten von den Geschworenen nicht freigesprochen werden, dann wäre ihm eine lebenslange Haft so gut wie sicher gewesen. Das weiß auch der ehemalige Musikmogul und hat sich deswegen wohl für die Freisprüche bei der Jury bedankt, ist laut Beobachtern auf die Knie gefallen, hat applaudiert. Auch seine Familie und Supporter*innen sollen in Jubel ausgebrochen sein, sein Anwalt Marc Agnifilo sagte laut „New York Times“, dass Combs „von der Jury sein Leben zurückgegeben“ worden sei.

Noch in der Gefängniszelle

Frei ist Combs aber immer noch nicht, die Fans, die vor dem Gerichtsgebäude mit „Free Puff“-Shirts ausharren, müssen sich noch gedulden: Richter Arun Subramanian beorderte ihn bis zu seinem Schuldspruch zurück in seine Gefängniszelle in Brooklyn. Wann der gesprochen werden soll, ist noch unklar. Diddys Anwälte hatten zuvor das Gericht gebeten, ihn freizulassen, sodass er die Zeit mit seiner Familie verbringen könnte. Das haben aber Cassie Venturas Anwälte angefochten, da sie seine Freilassung als Gefahr für die Opfer, die im Prozess ausgesagt haben, und Zeug*innen ansehen.

Die Zivilklagen

Auch stehen noch potentielle Zivilklagen an: eine Anwaltskanzlei in Texas behauptet, über 100 Frauen und Männer zu vertreten, die gegen Combs vorgehen wollen, eine andere anonyme Frau strebt ein Verfahren aufgrund von Gruppenvergewaltigung an. Alles nur Publicity heißt es dazu seitens der Verteidigung.

Wie kam es zu diesen Freisprüchen?

In den USA muss sich eine Geschworenenjury, also zwölf juristische Laien, normale Bürger, die einen Querschnitt der Community des jeweiligen Ortes repräsentieren, für einen Schuldspruch einig sein. Und das waren sie sich bei dem recht komplizierten Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung nicht, was aber auch schon im Vorfeld von Beobachter*innen als ein Risiko angesehen wurde, dass die Staatsanwaltschaft eingegangen ist. Bei dem Begriff „kriminelle Vereinigung“ denkt man an organisierte Kriminalität, an mafiöse Strukturen, vielleicht an Terrorgruppen – aber nicht an sehr, sehr, sehr reiche Personen, die ihre Angestellten dazu zwingen können, Dinge zu tun, die rechtlich in der Grauzone oder darüber hinaus stattfinden.

Und auch der Vorwurf des „sex traffickings“, also Menschenhandels und Nötigung war eben nicht so eindeutig, so wie „MeToo“-Fälle eben oft uneindeutig sind. Die Aussagen von Cassie und „Jane“ waren bestürzend – aber sie haben eben immer wieder Diddys Nähe gesucht, als Partner, als potentieller Förderer. Sie haben ihm auch Nachrichten geschrieben, in denen sie behaupteten, die „Freak Offs“, „Hotel Nights“, „Wild King Nights“, oder wie auch immer diese Orgien genannt wurden, genossen zu haben, vielleicht, weil sie es manchmal wirklich auch gut fanden – oder weil sie ihrem Partner gefallen wollten.

Darauf hat sich Combs‘ Verteidigung während der achtwöchigen Verhandlung und in einem wohl sehr sarkastischen Schlussplädoyer fokussiert: Ja, er ist gewalttätig gegenüber seinen Partnerinnen gewesen, und ja, seine sexuellen Vorlieben seien unkonventionell – aber was in den Hotelzimmern passierte, sei einvernehmlich abgelaufen und Kinks seien eben nicht kriminell.

Im Herzen der Debatte um „MeToo“

Damit wäre man direkt schon im Herzen der Debatte um „MeToo“: Was ist Einvernehmlichkeit, wenn Macht in einer Beziehung ungleich verteilt ist? Was ist Einvernehmlichkeit unter Drogen? Was ist Einvernehmlichkeit wenn Gewalt und die Angst, Gewalt zu erfahren, eine Rolle spielen? Und wo verläuft die Grenze zwischen einem ungewöhnlichen Kink und Ausbeutung und Gewalt?

Darüber wird auch weiterhin debattiert werden – Organisationen, die sich gegen sexualisierte Gewalt einsetzen, haben sich sofort gegen dieses Urteil ausgesprochen. Und auch die Social-Media-Debatte läuft schon heiß, mit Kommentaren zwischen „Free Puff“ und „Cassie ist eine Lügnerin“ bis hin zu völligem Entsetzen, wie Diddy hat freigesprochen werden können.

Die ganzen Verschwörungserzählungen, die im Vorfeld des Verfahrens über TikTok, Instagram und andere Medien viral gingen, wird das Urteil wahrscheinlich kaum eindämmen. Influencer*innen, die behaupten, dass auch Beyoncé, Jay-Z, Ashton Kutcher, Justin Bieber oder auch ziemlich abwegige Personen wie Designer Rick Owens und seine Partnerin, in Diddys Sexpartys auf die eine oder andere Weise involviert gewesen sein sollen, werden sich wohl eher wenig von juristischen Spitzfindigkeiten beirren lassen. Dabei wäre es genau jetzt wichtig, so komplizierte Fragen wie eben die nach Einvernehmlichkeit oder nach den Machtstrukturen, die sagenhaft reiche Menschen um sich herum schaffen, gesellschaftlich zu klären. Aber sie werden wohl nie so viral gehen, wie ein Video mit wilden Behauptungen zu Beyoncé.

Das letzte Wort zur Causa Diddy ist jedenfalls noch nicht gesprochen – schon allein deswegen nicht, weil 50 Cents angekündigte Doku noch auf sich warten lässt. Aber die Entscheidung der Jury fühlt sich schon an wie ein vorläufiger Sieg für Combs.