Alles Banane


Mit der Sound Foundation fördert Volkswagen die Popmusik. In Wolfsburg ehrt das Unternehmen den Kultkünstler Andy Warhol.

IN MYTHOS GIBT SICH DIE Ehre: Die Ikone der Pop-art. Der schweigsame Exzentriker mit der silbrig-weißen Perücke. Andy Warhol Superstar. Auch elf Jahre nach seinem Tod – er wäre in diesem Jahr siebzig geworden – bietet der als Andreijku Warhola in Pittsburgh geborene Sohn slowenischer Einwanderer den Stoff, aus dem Legenden sind.

Bis zum 10. Januar noch versucht eine aufsehenerregende Ausstellung, der Legende Warhol nachzuspüren. Und das nicht etwa in New York, London oder Paris. Nein, derzeit huldigt man in Wolfsburg dem Jahrhundertkünstler Warhol. In jener niedersächsischen Stadt nordöstlich von Braunschweig also, die ihren hohen Bekanntheitsgrad eher ihrer weltbekannten Automobilindustrie und weniger ihrer Brillanz in den Reihen internationaler Kunsthochburgen zu verdanken hat. Doch nun hat sich das Kunstmuseum Wolfsburg unter der Leitung von Gijs van Tuyl des Phänomens Warhol angenommen – und macht auf internationaler Ebene von sich reden. Im Anschluß an die Premiere in Wolfsburg wird die Ausstellung noch in Wien, Brüssel, Bilbao, Porto und New York zu sehen sein. Nachdem Volkswagen mit seiner Sound Foundation bereits Maßstäbe im Bereich des Musiksponsoring setzt, ist die Warhol-Werkschau in Wolfsburg ein weiterer Grund für die Autobauer aus Niedersachsen, ein wenig stolz zu sein. Immerhin ist „Andy Warhol – A Factory“ in Zusammenarbeit mit dem renommierten New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum und dessen Kurator Germano Celant zustande gekommen. Trotzdem pflegt Förderer Volkswagen vornehmes Understatement. So bringt Volkswagen-Markenvorstand Dr. Klaus Kocks das Art-Engagement in der Heimat seines Konzerns auf eine ebenso griffige wie schlichte Formel: „Fabrikkunst in einer Fabrikstadt.“ Dabei ist „Andy Warhol – A Factory“ in Wirklichkeit weit mehr.

Im Mittelpunkt der Retrospektive steht neben den ebenso geliebten wie umstrittenen Warhol-Werken der Künstler selbst, seine Stilisierung zum Superstar und – untrennbar mit dem Namen Warhol verbunden – die „Factory“. So nannte der Künstler seine drei silbern gestrichenen und mit Alufolie ausgeschlagenen, 400 Quadratmeter großen Wohn- und Arbeitsstätten, in denen er zwischen 1963 und 1974 nacheinander residierte und wo er zu jeder Tagesund Nachtzeit seine Jünger um sich scharte. Hier, im Zentrum New Yorks, wucherte die kreative Keimzelle der Popkultur. Die „Factory“ war Atelier und Filmstudio zugleich. Hier traf sich der New Yorker Underground, lebten Schauspieler, Transvestiten und andere Exzentriker ihre Form des schillernden Pop-Mythos. Warhols Musen, die „Superstars“ Ultra Violet, Baby Jane Holzer oder Candy Darling, gaben echten Superstars wie Mick Jagger und David Bowie die Klinke in die Hand. Für Lou Reed und seine Kultband The Velvet Underground war die „Silver

Factory“ ihr Proberaum, in dem sie rund um die Uhr die Verstärker bis zum Anschlag aufreißen konnten. Die „Factory“ war Inbegriff von Avantgarde, Glamour, wilden Parties und Drogenexzessen. In diesem kreativen Chaos stieß der ehemalige Werbegraphiker Warhol die Kunst von ihrem elitären Thron, indem er sie bis zur Unkenntlichkeit mit dem Kommerz vereinigte. Getreu seinem Motto „Alles ist schön“ und „Ich mag langweilige Dinge“ erhob Warhol beliebige Güter der Konsumgesellschaft – Allerweltsgegenstände wie Suppendosen, Dollarnoten und Colaflaschen – zu hehrer Kunst. Er entweihte das Portrait, indem er seine ausufernden, weltberühmten Hochglanzdrucke prominenter Gesichter (von Marilyn Monroe über Jackie Onassis und Elvis bis hin zu Mao Tse Tung) in Serie fertigen ließ. Zusammen mit seinen Mitarbeitern ließ er die „Factory“ Mode, Werbung, Fotos, Videos, über 70 experimentelle Filme, Musik und unzählige Siebdrucke mit der Repetition immer gleicher Motive in verschiedenen Farben und Größen produzieren.

„Siebdrucktenor statt Originalgenie und literarischem Salon“, nennt Volkswagen-Markenvorstand Dr. Klaus Kocks diese Vorgehensweise, die in Wolfsburg nachverfolgt werden kann. In der rund 800 Exponate umfassenden Ausstellung wird erstmals ein Einblick in die Produktionsweise der „Factory“ mit ihrem schier unerschöpflichen kreativen Output gegeben. Doch nicht Warhols berühmte Serienbilder stehen im Mittelpunkt, sondern die Rituale, die zu deren Entstehung führten. In diesem Zusammenhang steht „Andy Warhol – A Factory“ auch nicht so sehr für Warhols „Factory“ als solche, sondern nimmt Bezug auf die Art der seriellen, oft fließbandartigen Produktion. In der von Gaetano Pesce geschaffenen Atmosphäre der Wolfsburger Ausstellung findet sich der Besucher zwischen Polaroidfotos aus „Factory“-Zeiten, Archivmaterialien, Warhols Selbstportraits, Plakaten, Skizzen und Plattenhüllen wieder (Warhol schuf u.a. das Cover des Rolling Stones-Albums “ Love You Live“ und die legendäre Bananenhülle von Velvet Underground & Nico). Per Kopfhörer kann man Statements von Warhol und Soundinstallationen von Velvet Underground lauschen. In einer Video-Lounge werden Dokumentarfilme über Warhol und die „Factory“ sowie dort entstandene Experimentalfilme gezeigt. Ein Teil des Pop-Mythos‘ Warhol feiert so vor den Augen des Betrachters seine Wiederauferstehung. „Die Ausstellung will einen 360-Grad-Warhol präsentieren, mit allen Aspekten seines künstlerischen Schaffens“, so Kurator Germano Celant. Dazu gehört auch, daß der Ausstellungsbesucher – wohl ganz im Sinne des Künstlers Warhol – am Ende via Bildschirm an Andys Beerdigung in der St. Patrick’s Cathedral in New York teilnehmen kann. Wer Warhol bis heute nachtrauert, und davon dürfte es nicht wenige geben, dem sei die Wolfsburger Werkschau wärmstens empfohlen.