Themeninterview

AnnenMayKantereit über Inszenierung: „Unser Image ist ein Segen“


Sie sind die unscheinbaren Kids aus der Nachbarschaft. Hinter dieser Inszenierung steckt aber viel Arbeit. Ein Themeninterview mit AnnenMayKantereit.

„Den kenn ich doch, das ist Henning! Wir haben zusammen im Fußballverein gespielt“, sagte ein alter Freund während des Auftritts von AnnenMayKantereit beim Appletree Garden Festival 2014 zu unserer Redakteurin. Und beschrieb damit, was die Kölner Jungs bis heute ausmacht: Sie sind die unscheinbaren Kids aus der Nachbarschaft. Niedlich und normal. Ebenso geben sie sich im Netz: als einfache Musiker mit Klampfe, Klavier und Harmonika. Hinter dieser Inszenierung steckt aber viel Arbeit.

Mal ehrlich, seid ihr wirklich so natürlich und nahbar?

Henning: Wir wollen wir selbst sein und lassen uns keine Rollen aufdrängen. Deshalb heißen wir auch AnnenMayKantereit: weil wir das sind. Um das zu betonen, müssen wir aber manchmal etwas inszenieren – obwohl wir eigentlich nicht die Absicht dazu haben. Wir leben in einer marktwirtschaftlichen Welt. Was unterscheidet uns von anderen Produkten? Genau, wir sind noch wir selbst. Und das muss man den Leuten auch klarmachen. Wenn man mit uns redet, redet man wirklich mit Chrissi oder Malte und nicht mit den coolen Typen aus der Band. Wir inszenieren, dass wir uns nicht inszenieren.

Und macht es deshalb eben doch.

Severin: Wir sind uns bewusst, wie wir nach außen wirken. Und das ist sehr schön, weil das ganz natürlich aus uns gewachsen ist. Natürlich lenkt man gewisse Sachen in genau diese Richtung und weiß, was einem gut tut: zum Beispiel unseren Instagram-Account mit wertigen Fotos zu füllen. Das ist keine Berechnung. Es fühlt sich einfach gut an, zu wissen, dass das ehrlich rüberkommt, wenn wir schöne Fotos hochladen, die unsere besten Freunde geschossen haben.

Viele dieser Bilder sehen wie Schnappschüsse aus. Trotzdem muss jemand die Fotos auswählen, sich an den Computer setzen, sie hochladen und betexten. Am Ende wirken die Motive also nur scheinbar spontan.

Malte: Es kommt vor, dass wir nach einem Konzert am Laptop von unserem Fotografen Martin stehen und uns überlegen, welches Bild cool ist. Wir diskutieren darüber und nehmen bewusst keins, bei dem wir mit Bierflaschen und einem dicken Joint zu sehen sind.

Aber warum denn nicht? Das seid ja trotzdem ihr.

Henning: Natürlich inszenieren wir uns auch in der Form, dass wir bestimmte Sachen ausblenden. Weil ich nicht möchte, dass manche Dinge in unserer Bandwirklichkeit eine Rolle spielen und wir uns daraus PR-Vorteile verschaffen. Vielleicht rauche ich ganz gern mal eine dicke Wumme, aber ich bin nicht der Typ, der dabei sagt: „Schaut mal her, was ich hier Geiles mache!“ Selbst wenn uns ein Foto davon 10 000 Likes bringen würde, kehre ich das nicht nach außen.

Christopher: Vor allem muss man sich damit auseinandersetzen, dass so ein Foto auch falsch aufgefasst werden kann. Ich will ja auch nicht als großer Rockgitarrist wahrgenommen werden. Deshalb muss man sich immer die Frage stellen, wie man die eigene Natürlichkeit am besten verpackt. Unsere Inszenierung ist sehr nah dran an dem, wie wir wirklich sind. Man inszeniert sich ja immer, sobald man in die Öffentlichkeit geht.

Malte: Wir wollten letztens unser altes Facebook-Profilbild austauschen, weil wir ein neues brauchten. Das Neue sollte natürlich schön sein, aber dafür konnte Martin schlecht allein in den Wald gehen. Wir mussten also dabei sein, wollten aber nicht für ein Foto posieren. Im Endeffekt haben wir uns dann für ein Bild entschieden, das dafür eigentlich gar nicht gedacht war. Es entstand in der Mittagspause, als wir Pizza gegessen haben.

Henning: Wir ziehen nicht absichtlich „Samba“-Turnschuhe von „Adidas“ an, damit wir down to earth wirken, sondern weil wir die vor fünf Jahren im „Schuhhaus Werner“ gekauft haben und die immer noch am Start sind. Und weil wir die gerne tragen. Wenn ich mir ein neues Paar Schuhe kaufe, denke ich mir: In den Dingern werde ich bestimmt kein Foto für Instagram machen – nach dem Motto: Henning’s got brand new shoes.

Weil du Angst hast, dass das komisch wirken könnte?

Henning: Nein, weil wir das nicht inszenieren wollen.

Severin: Wir wollen die neuen Schuhe nicht hervorheben.

Aber er hat ja nun mal neue Schuhe. Das entspricht nur der Wirklichkeit und zeigt euch, wie ihr wirklich seid: So war Hennings Tag. Er hat sich neue Schuhe gekauft.

Severin: Es ist so: Unser Image ist einerseits ein Segen, denn viele finden unsere Bilder sehr ansprechend und glauben, uns gut zu kennen. Andererseits muss man aufpassen. Du stehst vor ganz vielen Leuten, die dich zu kennen vermuten, weil du auf den Bandfotos so ehrlich rüberkommst. Irgendwo muss man eine Grenze ziehen und bei manchen Sachen sagen: Ich will nicht, dass das jetzt rauskommt. Zum Beispiel mit ’ner dicken Wumme fotografiert werden. Anders ist es bei Bilderbuch. Der Name ist da Programm: Das sind Typen, die auf der Bühne geil angezogen sind und ruhig mal ein Foto im Jacuzzi mit Sektflaschen machen können. Aber man hat nicht das Gefühl, dass die wirklich so drauf sind. Das sind coole Typen, Freunde von uns, aber die sind nicht wirklich so.

Bei Bilderbuch weiß man aber, dass sie sich privat von ihrer Kunst unterscheiden. Das ist bei euch anders. Ihr wirkt immer gleich.

Malte: Tatsächlich, wir müssen auch so gut wie nie Kompromisse eingehen, weil bei uns alles so deckungsgleich ist.

Könnt ihr euch denn vor stellen, für ein Fashion-Shooting bestimmte Sachen anziehen zu müssen?

Malte: Auf keinen Fall.

Henning: Obwohl, Chrissi im Anzug?

Severin: Wir haben doch gleich noch das Boss-Shooting!

Henning: Im Ernst, wir haben es schon so oft abgelehnt, wenn wir hätten geschminkt werden sollen. Vor zwei Jahren hat uns mal eine Klamottenmarke ein Angebot gemacht. Da ging es darum, dass wir uns bei denen Sachen aussuchen und sie dann im Alltag tragen sollten. Man hätte uns darin auch fotografiert, die Bilder wären aber erst später veröffentlicht worden. Wir haben sofort gesagt, dass uns das zu krass ist. Diese Marke haben früher nur die Leute getragen, deren Eltern BWL studiert haben. Ich möchte solche Sachen einfach nicht anziehen. Und damit war die Geschichte beendet.

Malte: Wir wurden übrigens auch schon von einem E-Zigarettenhersteller angefragt.

Henning: Genau. Natürlich rauchen wir – nicht alle und auch nicht immer. Aber trotzdem achten wir sehr darauf, dass wir nicht mit Zigaretten zu sehen sind. Weil wir das nicht mögen, nicht gut finden. Es gibt ja auch Leute, die rauchen auf der Bühne. Das machen wir nicht.

Weil ihr euren jungen Fans gute Vorbilder sein wollt?

Henning: Ja, deswegen, aber auch, weil ich Musiker nicht cool finde, die auf der Bühne rauchen. Ich halte das für dummes Gepose. Jesper Munk ist zum Beispiel einer, der auf der Bühne immer besonders cool ist. Ich finde das nicht geil, wenn jemand so sein will: Solche Typen haben dann immer eine Sonnenbrille auf, ziehen sie ab, und genau im Break, wenn sie gerade nichts auf ihrer Gitarre spielen müssen, werfen sie die Brille ins Publikum. Wenn sie sich dann noch eine Zigarette anmachen … Nein, da finde ich die Vorstellung schöner, wenn man uns für unser Uncoolsein mag.

Ihr forciert dieses Image.

Henning: Natürlich muss man das inszenieren und zeigen: Hey, wir sind wirklich diese uncoolen Jungs. Denn wir machen Musik und müssen deshalb bereit sein, unsere Persönlichkeiten zu zeigen. Aber einen bestimmten Teil davon muss man auch außen vor lassen – aus Selbstschutz, unserem Projekt zuliebe und zum Schutz derer, die unsere Musik hören. Ich selbst habe früher Platten von Künstlern gehört, die sich krass dicht gemacht haben. The Doors zum Beispiel. Da dachte ich immer, das sei cool. Und habe lange gebraucht, um zu begreifen, dass Saufen und LSD-Nehmen doch nicht so doll ist. Klar, das kann man schon machen, ist aber nicht geil. Deshalb: keine Zigaretten auf unseren Fotos. Denn das wirkt so, als wären wir Poser und dient anderen als falsche Inspirationsquelle. Wir können unsere Social-Media- Statistiken einsehen, und ich muss sagen: Man sollte auf passen, was man den Leuten zeigt, wenn man knapp sechs Millionen Klicks von 12- bis 14-Jährigen generiert.