Arcade Fire, Berlin, Columbiahalle


Erbauung! Nach langen Monaten des Wartens kommt Berlin in den Genuss des Gospel according to Arcade Fire.

Wie Bullaugen haben die fünf kreisrunden Bildschirme gerade noch unschuldig weiß ins wartende Publikum geglotzt. Und dann auf drei: Erbauung! Amerikanische Fernsehprediger in blauen Kutten fegen über die Leinwände, rufen eifernd ihr Heilsverspechen in die Menge, während die zehnköpfige Band unter tosendem Jubel die Bühne betritt – die Predigt übernimmt jetzt Arcade Fire. Man hat das gar nicht so mitbekommen, aber das Kollektiv aus Montreal scheint im Laufe des Jahres und seit dem zweiten Album Neon bible zu einer regelrechten Konsensband geworden zu sein. Gerade noch im Indie-Club, jetzt auf der großen Showbühne. Die Columbiahalle ist proppevoll, ausverkauft, seit Wochen. Viele warten schon seit Monaten auf diesen Abend, schließlich hätten die Kanadier schon im Frühjahr in Berlin spielen sollen, mussten dann aber wegen der Atemwegserkrankung von Win Butler absagen. Vom Mittelstufen-Mädchen in Indie-Uniform bis zum dezent angegrauten Ehepaar scheint jetzt alles dem Ruf gefolgt, was sich für Musik interessiert. Und es ist keins dieser Wir-hören-diese-coole-Indieband-sind-aber-zu-cool-um-zu-zeigen-dass-wir-das-cool-finden-Konzerte. Vom keuchend-stampfenden Opener „Black Mirror“ an wird getanzt, gerufen, gesungen, gesprungen, vereinzelt gar geschunkelt.

Irgendwo zwischen Existenzialisten-Shanty und Zigeunermusik, Religionskritik und Mission, Sensibilität und enthemmt herausgeschriener Wut gelingt es Win Butler, Regine Chassagne und den ihren, eine Lücke in der Seele zu füllen, und das hat dann tatsächlich ein nachgerade religiöses Moment. Die Bandmitglieder verdoppeln sich auf den Bildschirmen, die Orgelpfeifen spiegeln sich riesig in Blutrot und Grün hinter den Musikern, die aufgeschlagene Neonbibel vom Albumcover flackert in der Lightshow. Viel besser passen Arcade Fire in die Dunkelheit einer Konzerthalle als in die Festival-Nachmittagssonne, wo man sie im Sommer zuletzt sah. Ihre Wucht braucht das Düstere. Die pathetische Kraft von Songs wie „Rebellion (Lies)“ und „Neighborhood #2“ ist es dann auch, die die Columbiahalle bis in die letzte Reihe elektrisiert. Ansonsten, das merkt man bei so einem ausgedehnten Set, bleibt ein Arcade-Fire-Song ein Arcade-Fire-Song. Die Strukturen ähneln sich, die treibenden Chöre tauchen immer wieder auf. Doch es geht auch nicht um stilistische Vielfalt: Das Gefiedel, Getrommel, Geschrei, die fiebrige Dringlichkeit dieser Band setzt Emotionen frei, hat kathartisches, therapeutisches Potenzial. Ängste werden weggetanzt – und küssten sich da hinten nicht zwei Matrosen? Willkommen in der Kirche des 21. Jahrhunderts. »>www.arcadefire.com