Attacke Azteka: Western in Guerrero – II


"Mann Airen, du lässt einen echt nicht schlafen.", meint die Negra. "Die ganze Nacht hast du im Schlaf geredet."

Um halb sechs geht in der Küche das Licht an. Mosquitos schwirren weg, das Meer von Acapulco nebenan. Unsere Gastgeberfamilie macht sich fertig, Kakaogeruch, warmes Brot, erste Tortillas. Als ich Isidros Stimme höre, steige ich auch aus dem Bett. „Mann Airen, du lässt einen echt nicht schlafen.“, meint die Negra. „Die ganze Nacht hast du im Schlaf geredet.“

Ich dusch mich in einem düsteren Beton-Kabuff, rasier mich vor einem winzigen Spiegel in Brusthöhe, dann lädt Isidro wieder seine sieben Nähmaschinen in mein Auto. Im Morgengrauen starten wir los Richtung San Francisco. Die ersten Kilometer führen uns an den reichen Suburbs Acapulcos vorbei. Schnulzensänger und Drogenkönigehaben ihre Anwesen am Rande des Ocean-Highways errichtet. Dann wird es ruhiger, einsamer, ärmlicher. Minutenlang fahren wir durch die staubige Kurvenlandschaft, paar Kakteen hier, ein Strauch da, ein vergilbtes Schild, eine verrostete Hütte, dann kommen wieder kleine Dörfer. Wildschweinfamilien tümmeln sich am Straßenrand, rostbraune Indios vertrödeln ihre ereignislosen Tage in namenlosen Käffern, drei Tacos für zehn Pesos. Palmenhaine an Flussmündungen, riesige Brücken im Niemandsland und alle paar Kilometer ein handgemaltes Schild: „Kalte Kokosnüsse“.

Gegen elf kommen wir in San Francisco an. Isidro stellt sein Auto unter den einzigen schattenspendenden Baum, ich meins direkt daneben in die pralle Sonne: „So, hier in Copala bleiben wir jetzt erst mal ein paar Tage.“, meint er. Noch hundert Kilometer bis Ometepec, unserem Zielort.

Wir schauen hoch zu ein paar Verwandten der Negra. San Francisco oben am Hang: Ein archaisches altes Mexiko blendet plötzlich auf. Wir setzen uns zu einer Familie, die in einer Lehmhütte in den Bergen lebt, wahrscheinlich wie die Azteken seit ein paar hundert Jahren. Auf einem Boden aus festgetretener Erde stehen Liegestühle und Korbsessel, wir setzen uns, Hühner spazieren durchs Blickfeld, ein zwölfköpfiger Welpenwurf tollt über den Hof, Babies mit lehmverschmierten Windeln tapsen vorüber, auf dem roten Boden liegen ein paar Kalksteine im Kreis um ein Feuer, darauf ein Comal, auf dem dicke Maistortillas gebacken werden. Bunte Vögel fliegen vorbei, der reife Papayabaum in der Ecke. Eine uralte, welke, hochgewachsene Indianerin beugt sich auf den Boden und verteilt Bohnenbrei unter den Welpen, wie damals, immer, zu unbeschreiblichen Zeiten. Ein klarer Geruch von Echtheit, ein seltenes Gefühl von Direktheit. Wie der Wind so sanft durch die Sierra weht… Die Hitze, die Armut, die Natürlichkeit – hier in diesem kleinen mexikanischen Küstendorf verbindet sich alles zu einer seltenen Erfahrung von Mexiko, so wie es ist und war.

Der nächste Hof. Ein metallischer Knall im Busch. Dann stehen wir im Gestrüpp und Isidro stellt mir die Dorfjugend vor. Ein junger Kerl zeigt mir sein Gewehr und meint: „Wir sind grad am Schießen. Holen Mangos herunter.“ -„Mit ´nem Luftgewehr?“
Er hält mir eine spitze, schmale Patrone vor die Nase: „Nein, scharfe Munition.“
Wieder unten an der Landstraße. Isidro schleppt seine sieben Nähmaschinen aus meinem Auto. Dann holt er aus seinem Dodge einen Vogelkäfig mit Rey, dem Papagei. Das struppige Vieh kann nur ein Wort: „Puto“, Schwuchtel. Die Voliere landet an einem Holzbalken vor dem Laden der Chata, dann geh ich nochmal unhygienisch im Hintergarten scheißen, dann holt Isidro seinen alten Kumpel Vaca ran, „die Kuh“:
„Hier, Airen, das ist die Vaca.“ Vaca ist ein Baumwollfeldnigger um die siebzig, harte Narben im Gesicht. Jetzt kommt er im weißen Unterhemd und mit ausgeleierten Leinenhosen auf uns zu. Er sieht aus wie eine runtergekommene, abgearbeitete Version von Morgan Freeman, real-life, real-time, jetzt hier vor uns auf den ausgetrockneten Boden Guerreros spuckend.
„Vielleicht zeigst du später dem Deutschen deine Kokoshaine, reiten wir nachher mit den Pferden rüber, was meinst du?“, fragt Isidro.
„Klar Mann!“, sagt die Vaca, „Machen wir ein Krokodil kalt für ihn! Mit den bloßen Händen!“
Irgendwie reden hier alle wirres Zeug. Ganz andere Welt, anderer Rhythmus, andere Logik.
„Na dann, lasst uns nach Copala checken?“, frage ich. „Oder?“

***

Isidro auf den Beifahrer, die Vaca hinten. Ein 6-Pac-Corona für die zehn Kilometer ins nächste Dorf, Copala.
Unter der Veranda eines behelfsmäßigen Vorgartens saufen wir die nächsten Coronas. Faltige Ladies servieren und wir verstehen: Okay, Copala ist tot: Auf nach „La Marquelia“.
La Marquelia, eine zur Stadt ausgewachsene Raststätte. Das Meer nearby, Puffs, Shops, Schnell-Imbisse. Ein paar Kilometer durch den Dschungel, und wir finden „El Vaquero“, den Cowboy, eine billige Trucker-Absteige, wo wir die nächsten Coronas ziehen.

Isidro: „Wieviel hast du mittlerweile?“
La Vaca: „Fünf.“
Isidro: „Hast du nicht letztens José Luis den Kopf mit einer Machete abgehackt?“
La Vaca: „Klar.“
Ich: „Warum?“
La Vaca: „Weil mir sein scheiss Gesicht nicht gefallen hat! HAAAAHAHAHAHA!“

Und dann lachen wir alle drei ziemlich mittagsbreit in die Sonne von La Marquelia. Ist ja auch alles nur halb so schlimm. Also ehrlich. Von mir aus kann er den geköpft haben, scheiss ich jetzt auch drauf, nochmal zwei Tecate mit Salz und Zitrone für uns alle bitte! Und hey, Isidro: Kommt El Chano nicht nächstes Wochenende aus dem Knast? Isidro weiß von nichts, auf einmal, aber ich merk nichts, und lade weiter ein.

Wir fahren an den nächsten Strand. La Bocana, zwei Kilometer durch die Palmenwüste und schon bist du am Meer. Die dunklen Kokosblätter hängen tief, es wird Nachmittag, und plötzlich sitzen wir in einem Meeresfrüchte-Restaurant am Strand und bestellen pulpo enamorado, verliebten Tintenfisch. Der Pazifik rauscht langsam und ungefährlich an den sanften Sandstrand von La Bocana. Wenn ich mich nach rechts drehe und die besoffene Sicht auf scharf stelle, sehe ich Wale in der Bucht hüpfen. Wenn. Aber jetzt erst mal Meeresfrüchte für alle. La Vaca bestellt den Cocktail: Austern, Muscheln, Tintenfisch und Krebs mit Chili. „Vuelve a la vida“ heisst das Zeug, „Wieder zum Leben erwachen“, das beste Katerfrühstück des Nordpazifik.
Der nächste Strand. Paar Kilometer weiter im Maverick durch die Wüsten- und Aloe-Landschaft. Auf dem Weg eine Flasche 100-Años-Tequila. Wieder Meer, wieder breit. Mit Vollspeed entgegenkommenden Autos auf der anderen Spur entgegenrasen. Wie die alle aus dem Gesichtsfeld spritzen. Noch irgendwie 3000 Pesos in La Marquelia abheben.

***

Es ist Mitternacht auf einmal, und düster und kühl. Ich komme auf dem Parkplatz in San Francisco, direkt vor dem Bananenladen dery Chata zu mir. Alle Autotüren sind offen. Ich stolpere raus. Isidro liegt direkt vor mir auf einem Pappkarton im Vorgarten der Vaca. „Alter, wo sind meine 3.000 Pesos hin?“, komme ich zu mir.
„Kann ich dir gerade auch nicht sagen.“. Ich wanke wieder zurück zu meinem Auto. „Und die Kamera?“, suche ich die Rücksitze ab.

„Okay, du bist gerade so richtig fies abgezogen worden“, komme ich langsam klar. „Alles weg.“
Irgendwo im Fußraum liegen noch ein paar Coronas. Dann wirds langsam: Das war Isidro. Wer war denn sonst in der Karre? Wer ist denn sonst ein notorischer Dieb? Mitternacht in San Francisco. Keinen Pfennig mehr auf Tasche. Ein bettelarmes Dorf rundherum. Isidro kam mir eh schon immer irgendwie komisch vor mit seinen Sympathiebekundungen. Die Sterne funkeln, und so immernochdicht sogar in 3D. Ich hau den Schlüssel rein und würg den Rückwärtsgang. Früh um eins und rechts rum und los nach Acapulco und Gas! Über die Bodenwellen kann man auch einfach drüber rasen, merke ich bald. In einer Kurve fliege ich fast raus, streife die Büsche, fang mich wieder, dann penne ich in einem Kaff kurz vor Acapulco auf einem Seitenstreifen. Noch ein Bier, Überdichtheit, alles egal. Früh um vier fällt eine Corona-Flasche in mein Blickfeld, weg damit, weiter nach Acapulco, wieder los, mit Mundgeruch sei´s drum, dann nochmal Maut, dann bin ich schon wieder auf diesem ewigen Highway Richtung Hauptstadt. Soll er doch seine Nähmaschinen selber von Hand nach Ometepec schleppen, der Wichser. Gegen Mittag bin ich wieder in Cuernavaca, klopfe an meinem Haus, schlepp mich rein, stottere das Nötigste und lass mich nur drei Tage nach meiner Abfahrt auf mein Queensize-Bett fallen. Und lerne: Trau einfach niemandem! Niemandem! Nicht in Mexiko. Nichtmal der Familie. Fuck Isidro.

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