Band on the run – Mit den Rainbirds auf Tour


Einen Einstand wie die Rainbirds hat schon lange keine deutsche Band mehr gegeben. Doch mit Erfolg kam auch der Ertolgsdruck. Wie die Gruppe um Kathanna Franck mit dem Leben im Rampenlicht fertig wird, wollten wir an Ort und Stelle erfahren. Rolf Lenz begleitete die Rambirds einige Tage auf Tour und erlebte, allen Zwängen zum Trotz, keinen hysterischen Rock ’n‘ Roll-Zirkus, sondern einen beschaulichen Familienausflug.

Steil dir vor, du fährst von einem Konzert nach Hause: im Auto, zu zweit, ihr seid beide nicht angeschnallt, und ein-zwei-drei-vier Bierchen waren’s wohl auch. Vor einer roten Ampel rollt langsam ein Wagen neben euch und hält auf gleicher Höhe an. Weiße Kotflügel, grüne Türen – die Freunde und Helfer; der Abend wird teuer. Der Polizist auf der Beifahrerseite kurbelt sein Fenster runter und streckt den Kopf in den Regen: “ Wart ihr bei dem Rainbirds-Konzen? Wie war’s? Scheiße, da wäre ich auch gern hingegangen …“

Alle mögen die Rainbirds: 14jährige Schülerinnen und 24jährige Metzgergesellen, 34jährige Versicherungskauffrauen und 44jährige Universitäts-Dozenten – und Streifenpolizisten in Bielefeld. Nach einer Mini-Tour, Ende letzten Jahres, waren Deutschlands erfolgreichste Newcomer jetzt zum erstenmal richtig unterwegs: mehr als anderthalb Monate, 30 Konzerte, ausverkauft.

Bremen, 16.45 Uhr, nach und nach trudelt die Band in der Hotelhalle ein. Wer fehlt? Katharina „Katja“ Franck – Sängerin, Gitarristin, Komponistin, Texterin – ohne die geht nun wirklich nichts. „Sach ma Bescheid“, meint Bassist Beckmann

in bester „Werner“-Manier. Tour-Begleiter Dirk greift zum Rezeptions-Telefon, wählt Katjas Zimmernummer und sagt: „Bescheid“. Dreieinhalb Minuten später wuchtet sie zwei Gitarrenkoffer und eine große Tasche aus dem Lift: „Entschuldigung, ich mußte mich noch einsingen.“

Im umgebauten VW-Transporter (sieben rückenfreundliche Schalensitze und ein großes Gepäck-Abteil) geht’s ins Kino „Modernes“, zum Soundcheck. Und zum Futterfassen. Die Rainbirds reisen mit eigenem Koch, das ist erstens einfacher und zweitens billiger als jedesmal vor dem Konzert noch Essen zu gehen. Außerdem kocht Thomas vorzüglich: der Geographie-Student hat mit seiner Freundin eine kleine Firma für Tour-Verpflegung und bringt alles selber mit: Herd, Geschirr, Besteck.

Zuerst kommt die Extrawurst: gedünstete Karotten und mit Käse überbackene Selleries. Seit Katja mal einen makrobiotischen Freund hatte, ißt sie vegetarisch. Die anderen stürzen sich auf Rouladen mit Spätzle – und kaum ist das vertilgt, steht auch schon Mixer Martin in der Garderoben-Tür und drängt zur Bühne.

Die einzelnen Instrumente sind schon vorgecheckt, jetzt braucht er noch die Stimme und den Gesamt-Sound. Katja intoniert solo die zweite Strophe von „The Bird UpTherels Really You“, und wie bei den meisten Sängerinnen hat ihre Sprech- mit ihrer Gesangsstimme nicht viel zu tun. Das krächzende Stimmchen, das vor einer Stunde den Backstage-Raum zum „Nichtraucherzimmer“ erklärt hat, füllt jetzt das leergeräumte Kino bis in die letzte Mauerritze – Gänsehauttreibend.

Martin läßt die Rainbirds eine „komplizierte“ Nummer spielen (..Blueprint“), eine mit akustischer Gitarre („Fireworks“), Beckmann trainiert von-den-Boxen-springen („damit ich mich nicht wieder so au) die Fresse lege wie neulich“), letzte Feinheiten, dann gehört die Bühne den Licht-Männern.

„Die Tour ist 50 Prozent Spaß und 50 Prozent Arbeit“, findet Gitarrist Rodrigo und korrigiert sich dann:

„Nee, 60:40 für den Spaß. Das Warten vor dem Auftritt, das ist Arbeit. „

Im Bühnenaufgang drücken die vier die Fäuste aneinander

In einer Stunde ist „Showtime“: Katja schminkt sich, Wolfgang Glum trommelt auf einer Übungs-Gummiplatte, Beckmann spielt „Stairway To Heaven“ auf der Gitarre, und Rod erzählt sich mit der Crew legendäre Bühnen-Pannen (nicht ahnend, daß er gleich selber eine erleben wird).

Kurz vor halb neun treten alle unruhig auf der Stelle. Stau vor der Toilette, wo sich dummerweise auch das Waschbecken befindet, in dem gerade der erste Schwung Geschirr gespült wird. Die Band kennt das Problem: „Immer dasselbe.“ – „Bei mir meistens Durchfall.“ – „Stinker!“ – „Wenn man gleich spült, stinkt’s nicht so…“

20.30 Uhr. Im Bühnen-Aufgang drücken die vier – jeder mit jedem – kurz die Fäuste aneinander. „Energie“, meint Wolfgang lakonisch zu der Sportmannschafts-mäßigen Geste. „Damit wir vor dem Auftritt nochmal kurz zusammen sind.“ Dann geht’s ab.

Gleich nach den ersten Tönen verzieht Rodrigo entsetzt das Gesicht – die Gitarre ist grausam verstimmt!

{„Ich wollte echt schon von der Bühne gehen.“) Er schafft es, den Fehler innerhalb der nächsten Takte zu beheben, und die folgenden 95 Minuten verlaufen reibungslos.

Bremen ist hin und weg von den Rainbirds. „Schöne Stimme“, ruft ein kleines Mädchen in eine leise Stelle hinein – Katharina unterbricht erstaunt, lacht und bedankt sich artig. Beckmann bekommt Sonderapplaus, als er für „7 Compartments“ zum Akkordeon greift: und bei „Boy On The Beach“ singt das Publikum die Zeile „Crying, crying teardrops drop“ mit. das hat’s noch nie gegeben. „Unglaublich“, meint Katja ehrlich überrascht ins Mikro. „Da fällt mir gar nichts ein …“

Ihre Natürlichkeit ist entwaffnend. Überhaupt hat man während des gesamten Auftritts nicht den Eindruck eines Rock-Konzertes, sondern eher den eines großen Schulfestes mit einem Auftritt der Schul-Band. Das Publikum fordert nicht, es genießt. Von Anfang an herrscht keine Wir-wollen-was-sehen-fürs-Geld-Spannung, sondern ein schwer erklärbares Gefühl der Vertrautheit zwischen Saal und Bühne.

„I couid be you and you could be me…“, singt Katja als erst Zugabe und nennt damit den Hauptgrund, warum die Rainbirds live einfach ankommen müssen. Die Band sieht aus wie ihr Publikum – und spielt Musik, die vorher noch keiner gespielt hat.

Die Rainbirds klingen „anders“ (Peter, 18), „perfekt“ (Tanja, 22), „englisch“ (Alex, 26), „abwechslungsreich“ (Joachim, 24) und „gar nicht wie eine junge, deutsche Band“ (Harald, 29), Ihre Fans kommen aus allen Lagern, hören ansonsten alles von Dire Straits über Cocker und Grönemeyer bis Independent. Oder nur Klassik. „Für vier Leute haben sie einen ziemlich vollen Sound“, findet Michael (33), und Gabi (15) verdreht nur die Augen und schwärmt von „der Stimme“.

Katharina Franck wird Heerscharen junger Mädchen dazu animieren, Gitarrespielen zu lernen und das Singen anzufangen. Gemeinsam mit Beckmann steht sie auch optisch im Mittelpunkt des Interesses: Sie ist der Kopf, er die Beine. Wer nicht rumknutscht, bewundernd/verknallt in Katjas Gesicht starrt oder die Augen verträumt geschlossen hat, schaut Beckmanns Kurz-Sprints und Boxen-Sprüngen zu, dem einzigen SAoH‘-Elemem der Rainbirds.

Im Plattenladen lauft natürlich das Rainbirds-Album

Am nächsten Tag, auf der Busfahrt nach Wilhelmshaven. hört die Band einen Cassetten-Mitschnitt des Bremer Konzerts. Viel zu korrigieren haben sie nicht, nur daß das Publikum aus Wolfgangs zartem Triangel-Rhythmus bei „It’s Allright“ (B-Seite der „Blueprint“-Maxi) durch Mitklatschen einen Cha-Cha zu machen versucht, finden sie unmöglich.

In Wilhelmshaven ist noch Zeit bis zum Soundcheck im „Pumpwerk“: man schlendert anderthalb Stunden durch die Fußgängerzone – „wir müssen nochmal Fisch essen, morgen verlassen wir die Küsten-Region.“

Krabbenbrötchen in der „Nordsee“, Schweißbänder für Beckmann kaufen und in Plattenläden stöbern (wo die Rainbirds bereits von jeder zweiten Wand lächeln, in einem Geschäft läuft sogar gerade das Album). Draußen drücken sich verstohlen drei Mädchen die Nasen an der Schaufensterscheibe platt, trauen sich aber nicht, die Band anzusprechen. Auf offener Straße erkannt werden die Rainbirds bisher hauptsächlich in Großstädten, „aber es passiert nur sehen, daß die Leute dann auch zu uns herkommen. „

Rodrigo kauft sich zwei Cassetten, „Happy Mexican Trumpet“ (Fehler:

„Das ist ja nicht mal mexikanisch!“) und ein Country-Best-Of „Die Nummern hab ich zwar schon, aber alle auf verschiedenen Platten“), während Wolfgang für stolze zweifuffzich ein „Nena“-Buch vom Wühltisch ersteht. „Ich glaube, das ist mein erstes Pop Musik-Buch überhaupt“, meint er. “ Guckt euch bloß mal die Fotos an. „

Katharina findet eins von Anton Corbijn, der auch das ME-Titelbild fotografiert hat: Beckmann wirft einen kurzen Blick darauf: „Da war Anton wohl besoffen. „

Das „Pumpwerk“ entpuppt sich als Zwitter aus Jugendzentrum und Disco – nur halb so groß wie das Kino in Bremen, dafür hat die Garderobe die Ausmaße einer Drei-Zimmer-Wohnung. Endlich kann sich Eddie mit seinen Instrumenten mal so richtig ausbreiten. Eddie ist als Backliner mit den Rainbirds unterwegs und verantwortlich für 1 Schlagzeug, 1 Keyboard, 1 Akkordeon, 2 Bässe und 7 Gitarren.

Katja spielt eine wunderschöne Rickenbacker und eine halbakustische Ibanez, Rodrigo benutzt sämtliche klassischen Deutschrock-Gitarren: Gibson Les Paul (die goldene), Gibson SG. Fender Stratocaster.

Mit ihnen zu arbeiten, findet Eddie fast so angenehm wie ihnen zuzuhören, denn „die nenen einen nicht gleich, wenn man mal an einem Abend nicht dazu kommt, sämtliche Saiten zu wechseln. Die Band ist fleißig, sehr diszipliniert – pflegeleicht. „

Tourbegleiter Dirk nickt zustimmend: „Absolut streßfrei.“ So wirkt auch das gesamte Teamwork der Crew – familiär und zuverlässig.

Im „Pumpwerk“ brechen die Rainbirds zwar den Zuschauer-Hausrekord, der Auftritt macht ihnen trotzdem nicht denselben Spaß wie der in Bremen. „Am Anfang dachte ich. ich würde vor dem Lehrer-Kollegium meiner alten Schule stehen“, meint Katja kopfschüttelnd.

Beckmann ist allerdings mit Gummibärchen beworfen worden, puhlt sie sich aus dem Profil seiner Halbschuhe und überlegt, was er demnächst zurückschmeißt.

Nach dem Auftritt dauert es jedesmal mindestens eine halbe Stunde,

bis sich die Spannung der Band wieder gelegt hat – Katja trinkt einen Pfefferminztee. Rod und Wolfgang dämpfen die Landung mit einer Flasche Rotwein.

Nach dem Frühstück wird erst einmal die Presse studiert

Später im Hotel Jagt“ die Crew noch bis in den Morgen, während sich die Band, einer nach dem anderen, schon relativ zeitig aufs Ohr legt. Nach dem Frühstück ist Presseschau – in der „Bravo“ sind ein Poster und der Text von „Blueprint“, plus deutsche Übersetzung. Am Poster gibt’s einiges auszusetzen, die Übersetzung: naja. Katja könnte sie ja selber machen. „Nee. ich schreib die Texte ja absichtlich auf Englisch. Sowas stört mich auch gar nicht so sehr; viel mehr ärgert’s mich, wenn Leute falsch aus meinen Texten zitieren.“

Auch der „Stern“ hat zugeschlagen, Titel: „Göre mit Röhre“, mit einem unscharfen Foto, Marke armes, kleines Mädchen in kalier. Kreuzberger Altbauwohnung. So pummelig und bläßlich schaut Katharina Franck in Wahrheit nicht aus, auch wenn sie auf Mode und Make-up nicht viel gibt. Geschminkt wird nur für die Bühne, und ihre altmodische Jeans-Jacke tauscht sie auch nur für die Auftritte gegen ein Wildleder-Modell mit Fransen.

Wie ernst die Rainbirds die Mode nehmen, erklärt Beckmann vor ihrem Bielefelder Konzert. Er stellt einen kleinen Koffer auf den Garderobentisch und meint: „Heute wird gerockt, heute gibt’s Vollbedienung. Ich hab‘ im Bus ein Bon Jovi-Interview gelesen. Alles, was ich brauche, ist in diesem Koffer: …“ eine Jeans mit Nietengürtel und zerrissenen Knien. Die Witzbolde, die ihm später im Konzert „Beckmann, deine Hose ist kaputt!“ zurufen, beschmeißt er mit Vitamin-Bonbons.

Bielefeld führt sich auf wie beim Arminia-Heimspiel: „Wir sind doch hier nicht auf dem Fußballplatz“, ruft Katharina mit Fingern in den Ohren von der Bühne, als während der Zugaben sogar Druckluft-Tröten zum Einsatz kommen. Klar, daß bei der Zeile „Look here. I took off all my clothes“ wieder Ja los. sofort!“-Ruf laut werden, die die Sängerin wie immer mit charmantem, aber etwas mitleidigem Lächeln quittiert.

Die Rainbirds lassen ihr Publikum nie lange auf Zugaben warten (Katharina: „Dazu bin ich dann viel zu nervös“.) Zum Schluß gibt’s „Walk On By“. Katjas Einleitung: „Später mal… wenn ihr uns nicht mehr leiden könnt (Zwischenruf: „Niemals!“) und wenn ihr uns dann auf der Straße begegnet und unsere Tränen seht… dann geht vorbei! Walk On By!“