„Banken verursachen viel größere Schäden“


Jedes dieser Bilder erzählt eine Geschichte. Nur welche? Wir haben nachgefragt. Diesmal: Alec Empire (Atari Teenage Riot)

1. Mai 1999

Atari Teenage Riot spielten auf der traditionellen 1.-Mai-Demo in Berlin – und zeigten sich von dem harten Polizeieinsatz unbeeindruckt. Sie hörten erst auf, als sie auf der Bühne festgenommen wurden.

Viele denken, wenn sie diese Bilder sehen: Das ist ja typisch – 1. Mai, voll die Riots und Atari Teenage Riot mittendrin. Was aber gerne vergessen wird: In dem Jahr war die 1.-Mai-Demo eine Friedensdemonstration gegen den Nato-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien. Das war der erste Auslandseinsatz der Bundeswehr, und es war uns sehr wichtig, ein Statement dagegen abzugeben. Die Polizei ging mit ziemlicher Brutalität vor. Deren Strategie war, mitten rein in die Leute zu stürmen und loszuknüppeln. Wir bekamen zwar alle eine Anzeige, die wurden dann aber fallengelassen, weil wir keinen festen Wohnsitz in Deutschland hatten.

Karlheinz Stockhausen

Der „NME“ stellte einmal die These auf, Atari Teenage Riot hätten mehr mit dem Werk des modernen Komponisten zu tun als mit Industrial-Acts wie Nine Inch Nails.

Ich fand das unheimlich spannend, als ich 13 war oder so. Nicht nur Stockhausen, sondern alles, was aus Geräuschen bestand und auf die herkömmlichen Strukturen in der Komposition verzichtete. Die enge Verbindung, die zwischen Hip-Hop-Beats und moderner Musik und dem, was Leute wie Stockhausen machten, bestand, konnte man schon erahnen. Musique Concréte war auch ein großes Thema für mich. Das muss auch die Zeit gewesen sein, in der es die ersten Sampler gab. Die konnte ich mir als Teenager aber natürlich nicht leisten.

Rage Against The Machine

Mit den Crossover-Heroen tourten Atari Teenage Riot in den 90er-Jahren. Später arbeitete Alec Empire mit Tom Morello zusammen.

Ich muss sagen, dass die mich eigentlich nie groß interessierten, was auch an der Musik lag. So Gitarrenkram nahm ich einfach nicht wahr. Mike D. (Beastie Boys, auf deren Label Grand Royal ATR damals veröffentlichten – Anm. d. Red.) überredete uns aber, mit denen zu touren, und das änderte mein Urteil. Mir fiel auf, dass gerade in den USA die Verbreitung politischer Botschaften über Musik nötig war und auch funktionierte. Klar könnte man – wie bei Michael Moore – argumentieren: Kann man das nicht besser und differenzierter formulieren? Aber das trifft nicht den Kern. Es geht einfach erst einmal darum, Leute zum Denken zu ermuntern, um ihnen eine Alternative aufzuzeigen. Und das haben Rage Against The Machine geschafft.

Roland TR-909

Das Schlüsselinstrument des Atari-Sounds und gleichzeitig einer der wichtigsten Drumcomputer der Pop-Geschichte.

Wir verwenden immer noch unseren ersten 909, der ist seit 1992 immer mit auf Tour. Wir haben zwar ein spezielles Case für ihn, trotzdem sieht er echt krass aus. Bei irgendeiner Stage Invasion ist ein Schalter abgebrochen. Er hat überall Schrammen, aber er funktioniert noch! Wir würden nie was anderes verwenden. Der Klang ist großartig, er bläst alles weg. Das kriegst du im Computer nicht hin. Und er hat eine recht geringe Speicherkapazität, sodass man sich ganz genau überlegen muss, was man damit macht. Das ist fast eine mathematische Aufgabe. Man muss sich auf die wesentlichen Sachen konzentrieren, und das macht mir unheimlich viel Spaß.

Rostock-Lichtenhagen

Im August 1992 griff ein Mob von Neonazis eine Aufnahmestelle für Asylbewerber gewalttätig an. Und fast 2.000 Anwohner applaudierten ihnen.

Es fühlte sich sehr komisch an, als sich Deutschland wiedervereinigte, als plötzlich Flaggen geschwenkt wurden. Wir verstanden das nicht, weil wir uns nicht als Deutsche fühlten, sondern eher europäisch dachten. Uns war klar, dass es zu solchen Vorfällen kommen würde. Mit Rostock-Lichtenhagen war es dann plötzlich keine theoretische Diskussion mehr. Nationalstolz führt zu solchen Dingen. Nationalstolz führt zum Ausschluss anderer und zu Rasissmus – bewusst oder unbewusst. Rassismus ist eine Sackgasse.

Film „Chaostage“

Für den Film „Chaostage – We Are Punks“ von Tarek Ehlail übernahm Alec Empire die komplette Score-Arbeit.

Das war ein spannendes Projekt. Ich wurde bestimmt deshalb gefragt, weil der Regisseur jemanden brauchte, der sowohl was von Punk als auch von Filmmusik versteht. Da gibt’s nicht so viele. Klar, das ist auch ein bisschen meine Vergangenheit im Deutschpunk. Der Sache fühle ich mich verbunden. Viele aus der alten Szene tauchten in dem Film auch auf. Und die meisten Leute und Bands sind einfach sehr lustig. Die Chaostage mochte ich immer sehr gerne. Als Statement gegen die Spießigkeit. Und wenn dann „Bild“ wetterte, sollte man eines nicht vergessen: Banken verursachen einen größeren Schaden als irgendwelche Punks, die in der Fußgängerzone randalieren.

Acid House

Zunächst spielte Alec Empire in einer Punkband, die „Die Kinder“ hieß. Anschließend interessierte er sich für Hip-Hop, um dann Ende der 80er-Jahre in der House- und Techno-Szene Berlins zu landen.

Das war toll. Noch vor der Wende war ich viel im Osten Berlins unterwegs. Westberlin war recht überschaubar. Man kannte sich in der House- und Technoszene, weil viele vorher auch Punk und Wave gehört hatten. Die Musik war anders als in England, eine ganze Spur schräger. Mehr Noise, mehr Industrial. Im Tresor und bei den Technozid-Raves hab ich das erste Mal gespielt. Mit Techno hab ich zum ersten Mal richtig Geld verdient, das ging damals einfach, es gab das Internet noch nicht und somit einen guten Markt für White Labels. Als meine Eltern mitbekamen, was man da für Summen bekam, hörten sie sehr schnell auf zu sagen, ich solle was Ordentliches lernen. Letztendlich war mir vieles aber dann zu kurz gedacht, als etwa Coverversionen von „Somewhere Over The Rainbow“ veröffentlicht wurden. Das war ja genau das, was man ursprünglich nicht mehr machen wollte.

Alec und carl

Das ikonografisch spannendste Bild der Frühzeit: Der 2001 an den Folgen seines Drogenkonsums verstorbene Carl Crack (links) und Alec Empire irgendwo, mitten in England. Fans hatten das Logo der Band an eine Clubwand gekritzelt.

Das Foto entstand eher durch einen Zufall während unserer ersten England-Tour. Wir gaben Interviews außerhalb des Clubs und sahen da dann unser Logo. Damals war es schon so, dass viele aus der Punk- als auch aus der Techno-Szene auf eine Band wie uns gewartet hatten. Wir formulierten etwas, das noch nicht formuliert war. Die rechtsextreme National Front wurde damals immer stärker. Rasissmus war ein großes Thema. Und Techno schwieg dazu. Es herrschte ein Gefühl der Ohnmacht. Viele hatten auch keinen Bock auf Slogans, weil es die ja in den 70er- und bis in die 80er-Jahre hinreichend gegeben hatte. Aber wir waren jünger. Gerade mal Anfang 20. Deshalb war es uns wichtig, endlich etwas zu sagen.