Beastie Boys: Dealing with Mr. D.


Ganz schön clever. Statt die verdiente Kohle gleich wieder unters Volk zu bringen, stecken die Beastie Boys ihr Geld ins eigene Geschäft. Unter der Regie von Mastermind Mike D sind die Jungunternehmer aus USA inzwischen Herren eines kleinen Imperiums.

ATWATER VILLAGE IM OSTEN VON LOS ANGELES. Wer sich auf den Glendale Boulevard verirrt, der sucht entweder eine mexikanische Autowerkstatt oder den „Forest Lawn Memorial Park“, einen Friedhof von der Größe einer deutschen Kleinstadt. Dabei hat diese verschlafene Ecke von L.A. ganz andere Attraktionen zu bieten – zum Beispiel Grand Royal, seit neun Jahren Hauptquartier und Heimstatt des Schallplattenlabels der Beastie Boys. Das ungewöhnliche Unternehmen verbirgt sich hinter der unscheinbaren Fassade eines alten Lagerhauses. Hier, wo tonnenweise CDs und Poster lagern, arbeitet ein rundes Dutzend von Mitarbeitern in Vertrieb und Marketing, an der Koordination von Tourneen oder an der Erstellung der hauseigenen Postille. Unterm Strich erinnert das Ganze an die Zollstation aus „Men In Black“- nur ohne Aliens. Auf einer Empore befindet sich das Büro von Natalie Carlson, einer dynamische Endzwanzigerin, bei der alle Fäden des Unternehmens zusammenlaufen. „Die Arbeit für Grand Royal ist ein 24-Stunden-Job.Trotzdem täte ich nichts lieber. Schließlich folgen wir alle einer Vision: die Musik der Zukunft zu produzieren.“ Natalie ist die rechte Hand von Beastie Boy Mike Diamond alias Mike D. Während sie eine E-mail nach der anderen empfängt, Telefonate führt, Verträge unterzeichnet und den Stab gehörig auf Trab hält, räkelt sich der schläfrige Chef im ersten Stock auf einer Ledercouch und diktiert seiner Sekretärin ein Memo. Die junge Frau stellt neben einer überdimensionalen Stereoanlage die einzige Ausstattung eines Raumes dar, der nur wenig von einem Büro hat. Selbst das bei Plattenfirmen sonst übliche Türschild „Mike D.- President“ fehlt. „Ich hatte mal ein richtiges Office“, grinst der 31jährige Jungunternehmer, „aber das hab’ich irgendwann aufgegeben. Hey, wir leben in den 90ern, und mein Büro ist die Welt.“ Von der Welt im allgemeinen und der der Beastie Boys im besonderen handelt denn auch das „Grand Royal Magazin“, das gleich nebenan entsteht. Gegenüber befindet sich eine Skateboard-Rampe sowie jener Übungsraum, in dem die ’95er Hardcore-EP „Aglio E Olio“ entstand. Alles unter einem Dach. „Grand Royal ist etwas ganz Besonderes“, sinniert Mr. D.“Wir schmeißen die besten Parties, haben die größte Plattensammlung und auch die coolsten Büros. Außerdem sind wir das einzige Label mit einem eigenen Basketball Court – und wir haben Abstellräume voller Drogen“. Schallendes Gelächter.

Anfangs war Grand Royal nur eine fixe Idee. Doch dann bekamen die Beasties ein Demo von Luscious Jackson. Mike war so begeistert, daß er entschied, die Musik selbst zu veröffentlichen. Das Ergebnis: die EP „In Search Of Many“.

Seit den bescheidenen Anfängen mit Luscious Jackson hat sich Grand Royal prächtig entwickelt. Mike D. bilanziert: „Wir können zufrieden sein. Irgendwie hat alles funktioniert und über die Jahre sogar ein wenig Geld abgeworfen. Aber das ist definitiv nicht der Grund, warum wir unser Geschäft betreiben. Natürlich nicht! Wer würde dabei denn auch ans Geidverdienen denken. Wo doch schon ein Grand Royal-Produkt, von dem 2000 Stück über die Ladentische gehen, bereits als Verkaufserfolg gilt. Trotzdem: Ohne Capitol-Chef Gary Gersh wären die Beasties mit ihrem Projekt wahrscheinlich schon im Frühstadium gescheitert. Doch Gersh, der das Potential des Labels erkannte, verschaffte ihnen einen günstigen Vertriebsdeal. Und weil Mike eigentlich kaum in der Firma anwesend ist, hat er für jeden Teilbereich kompetente Kräfte engagiert: Natalie für das Label, Adam Silverman und Ely für die Lifestyle-Kollektion X-Large sowie Jamie Fraser und Eric Gladstone für die Zeitschrift von Grand Royal. Der Chef selbst, also Mike D., fungiert lediglich als guter Geist:“lch würde mich ungern als Workaholic bezeichnen, denn solche Leute haben keine innere Balance. Ich dagegen liebe, was ich tue. Denn nichts ist schöner, als mit tollen Bands und guten Freunden abzuhängen, seine Ideen mit kreativen Leuten zu verwirklichen und so viel Spaß wie möglich dabei zu haben,“ meint Mike. Was Grand Royal betrifft, treten die übrigen Beastie Boys kaum in Erscheinung. Sie schauen höchstens mal vorbei, um Bekannte zu treffen, ein paar Ideen abzuliefern oder um sich mit G.R.-Produkten einzudecken. Für mehr haben die betriebsamen Boys auch gar keine Zeit. Adam Yauch widmet sich ganz der Milarepa-Organisation , die sich für die Belange Tibets einsetzt. Derweil versucht Adam Horowitz sich als Schauspieler oder jammt mit befreundeten Bands. Warum auch nicht. Schließlich ist Grand Royal längst ein Selbstläufer. Mehr noch: „Ehrlich gesagt, sind wir gar nicht so weit davon entfernt, ein Major-Label zu werden“, räumt Natalie Carlson ein. „Ich meine, wir wachsen mit unseren Acts. Und viele davon sind kurz davor, das nächste Level zu erreichen. Diesen Schritt werden wir mit ihnen machen, denn wir haben keine Angst vor dem Erfolg.“ Tatsächlich kann sich das aktuelle Repertoire von Grand Royal hören lassen. Avantgardetöne, Singer/Songwriter, Hardcore-Techno , Punk – beinah alles ist im Angebot. „Viele Leute glauben, Grand Royal sei das HipHop-Label der Beastie Boys, dabei könnte unser Spektrum kaum größer sein“, meint denn auch Natalie Carlson. Der Firmenkatalog von Grand Royal umfaßt momentan rund 50 Titel. „Wir sind eine Art Familienunternehmen, in dem jeder jeden kennt“, betont Natalie nicht ohne Stolz und meint damit die Acts Ben Lee, Buffalo Daughter, Moistboyz, Kostars, Butter 08, Noise Addict, Hurricane, DFL, Bis, Luscious Jackson, Liquid Liquid und BS 2000. „Kommerzielle Gesichtspunkte spielen bei unseren Veröffentlichungen keine Rolle“, betont Mike D. und scheint das sogar selbst zu glauben. „Statt dessen bemühen wir uns, den jeweiligen Acts faire Konditionen zu bieten und sie entsprechend zu fördern. Und wenn eine Band wie Luscious Jackson auf diese Weise goldene Schallplatten einspielt, dann erfüllt mich das mit Stolz.“ Auf den Tonträgerbereich bezogen, ist die Firmenphilosophie des Mike D. denkbar einfach: „Es gibt keine Regeln. Wenn ich auf etwas abfahre, dann will ich es auch veröffentlichen“ – was denn auch zu einem Deal führte zwischen Grand Royal und Digital Hardcore Recordings, dem Label von Alec Empire und Atari Teenage Riot. „Deren Material ist mit das Coolste, was ich je gehört habe. Ich liebe dieses Zeug,“ freut Mike D. sich rückblickend über den Vertragsabschluß.

1998 soll das entscheidende Jahr in der noch jungen Labelgeschichte von Grand Royal werden. Erstens, weil dann ein neues Beastie Boys-Album ansteht, und zweitens, weil Mikes Firma mit einer wahren Flut von Veröffentlichungen an den Start geht. Alles erste Ware natürlich. Mehr aber möchten Mike und Natalie nicht verraten. Außer vielleicht, daß man weiter wachsen will. „Wir haben jetzt fünf Jahre überstanden und im Grunde nichts anderes getan als Musik zu veröffentlichen, die wir mögen. Jetzt ist es an der Zeit, den nächsten Schritt zu tun und universell zu arbeiten. Wir wollen uns auf andere Märkte konzentrieren und neue Vertriebswege ausfindig machen. Mal sehen, ob das gelingt.“ Ganz der junge Geschäftsmann, wagt Mike D. mit Blick auf seine kommenden Projekte noch keine übertrieben optimistische Prognose. Zuversichtlich ist er trotzdem – und darf es auch sein. Denn bislang sieht es noch so aus, als ob Grand Royal für den Beastie Boy zum Royal Flash werden könnte. Natalie Carlson jedenfalls definiert mit Blick auf die Präsenz von Grand Royal-Produkten im Schallplattenhandel ehrgeizige Ziele.-„Wir wollen ganz einfach überall präsent sein. Und schon 1998 könnten wir dieses Ziel erreichen.“

Mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren, die über ein Netz von X-large-Läden vertrieben wird, ist das „Grand Royal Magazine“ weniger eine handelsübliche Zeitschrift, sondern viel eher das definitive Medium zwischen einer Band und ihren Fans. Das Magazin der Beastie Boys faßt alles zusammen, was in ihrer Welt von Bedeutung ist. Daß es in dieser Welt knallbunt zugeht, kann keinen verwundern, der die Platten der Amerikaner kennt. Das „Grand Royal Magazine“ wartet mit Geschichten über Kojak ebenso auf wie mit Stories über ausrangierte Teen-Stars. Exotisches Essen wird genauso aufgetischt wie Beiträge über mexikanische Wrestler, Wu-Tang-Wear oder Mike Watts Knieoperation. Daneben gibt es noch Interviews mit Ted Nugent, Money Mark.Thurston Moore oder Lee Scratchy Perry-für die Redakteure eine ebenso erfüllende wie nervenaufreibende Aufgabe, seufzt Jamie, der zuweilen auch im Büro nächtigt. Momentan sitzt er mal wieder inmitten eines Chaos, das jeder Beschreibung spottet. Der Fußboden ist übersät mit Faxen, Notizen, Fotos und Manuskripten, der Bildschirm ist heißgelaufen, und sein Benutzer steht kurz vor dem Kollaps. „Eigentlich wollten wir mit der neuen Nummer heute fertig werden – was ich momentan aber noch stark bezweifle“. Computerausdrucke der geplanten 116 Seiten liegen immerhin schon vor. Darunter die Geschichte des Afro-Look, ein Interview mit Supergrass, ein Tibet-Special und – White Trash pur – ein Feature über sprechende Weihnachtsbäume. Dazu die omnipräsente Natalie: „Das Magazin spiegelt im Grunde nur wider, was die Leute von uns erwarten. Viele halten uns für verrückt. Und genau diesem Bild werden wir gerecht.“ Einzig an Kontinuität mangelt es dem Blatt der Beastie Boys derzeit noch. Seit seiner Gründung im Jahr 1994 erscheinen per anno gerade mal ein bis zwei Ausgaben. Die Gründe sind vielschichtig Überlastung, Unvermögen oder auch schlicht eine Verweigerungshaltung gegenüber medienüblichen Marktmechanismen. Trotzdem genießt die erste Ausgabe des hippen Magazins schon heute Kultstatus. Unter der Regie von Szene-Guru Bob Mack entstand ein so umfangreiches Heft, daß die Versand- und Produktionskosten die Einnahmen um ein Vielfaches überstiegen. Inzwischen ist man beim „Grand Royal Magazine“ zwar schlauer, nicht jedoch weniger idealistisch geworden:“Wer hier arbeitet, tut es nicht fürs Geld, sondern weil er eine Vision hat“, klärt uns Jamie, der ächzende Redakteur, auf und macht sich wieder an die Arbeit. Eine Vokabel, die auch seinem Boss Mike D. bestens geläufig ist. Arbeiten müsse er, ja, und der Grund dafür liege auf der Hand: „Ich bin keine Ikone der Popkultur. Wenn ich wirklich Einfluß auf den Geschmack der Massen haben sollte, dann fände ich das das cool. Aber es ist nichts, was ich mit Absicht betreiben würde. Schließlich leben die Beastie Boys in ihrer ganz eigenen Welt. Wir haben einen eigenwilligen Humor und ebensoeigenwillige Vorlieben. Von daher ist es schon eine merkwürdige Vorstellung, daß es überhaupt ein Publikum dafür gibt. Keine Frage – Mike D. stapelt gern tief. Schließlich bringt er zusammen mit Adam Silverman und seinem Partner namens Ely seit knapp sechs Jahren alles unters Volk, was einen bestimmten Lifestyle signalisieren soll: Aschenbecher, Feuerzeuge und Brillen, T-Shirts, Jacken und Hüte, Cassetten, Langspielplatten und CDs. Und die Kasse klingelt kräftig. T-Shirts und Kappen liegen bei 35, Pullis und Sweater bei 70 Mark. Dafür allerdings ist eine gewisse Exklusivität gewährleistet. Denn die Beastie-Fashion ist nur in X-Large-Läden oder via Mailorder erhältlich. T-Shirts und andere Casual-Klamotten gehören zum Standardangebot von Mike D. und seinen Mannen. Darüber hinaus arbeitet man am Ausbau einer erwachseneren Linie: „Wir machen die Sachen auch für uns selbst“, erklärt Mike D., „schon allein deswegen würde ich unseren Kunden nie etwas anbieten, was ich nicht auch selbst tragen würde.“ Kein Wunder also, daß die X-Large-Kollektion im Laufe der Zeit reifer geworden sind: „Ich kann in meinem Alter doch nicht mehr in weiten Hosen rumlaufen,“ meint Chefdesigner Mike D. und blickt versonnen an sich herab. Inwieweit hilft ihm bei der Zusammenstellung seiner Garderobe eigentlich ein gewisser Jacques Lechitte, jener Schneider also, den viele X-Large-Klamotten als „world famous designer“ ausweisen. Mike D.s Oberbekleidungsexperte Ely kann sich vor Lachen kaum halten.“Den kennt doch kein Mensch. Aber Du weißt ja, wir haben einen ausgefallenen Humor.“Ein wahres Wort. Ebensowahr übrigens wie die Tatsache, daß die textilen Transaktionen der Beastie Boys schon jetzt ein einträglicher Geschäftszweig sind. Neben Läden in Amerika führen auch immer mehr Shops außerhalb der USA das, was den drei Boys mit dem ganz und gar nicht verbiesterten Lebensstil gut gefällt, in Tokio und Köln ebenso wie in Osaka und Sydney. „Es ist nicht so, daß wir uns planmäßig ausbreiten“, stapelt Mike D. in gewohnter Weise tief, „wir suchen nur neue Absatzmärkte, weil in den USA derzeit nicht viel passiert.“ Das X-Large-Prinzip ist denkbar einfach: Mode und Musik unter einem Dach. So findet sich in jedem Laden auch eine Abteilung, in der man Platten kaufen kann.

Klingt alles klasse und ist es auch. Bloß, wo bleibt bei den diversen Unternehmungen der Beastie Boys jener Geschäftszweig, der ihnen ihre zahlreichen anderen Aktivitäten überhaupt erst ermöglichte? Kurz, wo bleibt die Musik?“Wir stecken gerade mitten im kreativen Prozeß“, berichtet Mike D.,“was aber genausogut bedeuten kann, daß wir erst am Anfang stehen oder bereits aufs Ende der Arbeiten zusteuern. Bei uns läßt sich das nie so genau sagen.“ Mike D., der Meister der Unverbindlichkeit, mag sich auch diesmal nicht festlegen. Fakt ist allerdings, daß mit der neuen Platte der Beastie Boys, der insgesamt fünften Album-Veröffentlichung des zumindest in musikalischer Hinsicht reichlich verrückten New Yorker Trios Yauch, Horowitz und Diamond, demnächst zu rechnen ist. Bleibt die Frage: Warum erst jetzt? „Wir haben so lange getourt und uns mit allem möglichen Kram beschäftigt, daß es einfach nicht früher geklappt hat“, bringt Mike D. mit deutlichem Bedauern in der Stimme hervor, um bei dieser Gelegenheit auch noch schnell auf eine Eigenheit seiner Band hinzuweisen: „Wir können nicht an ein Album herangehen, ehe wir nicht wirklich dazu bereit sind. Eine Menge anderer Bands gehen ins Studio, weil sie den Druck verspüren, einer erfolgreichen Platte schnellstens einen Nachfolger hinterherschieben zu müssen. Und dann wundern sie sich, wenn die Aufnahmen enttäuschend verlaufen. So was könnte uns nicht passieren.“

Was den Beastie Boys aber sehr wohl passieren könnte ist, daß sich auch ihr kommendes Album zum Superseller mausert. Trotzdem:Vor den Erfolg haben die Götter auch im Falle des cleveren US-Trios den Schweiß gesetzt. So basiert ein reguläres Album der Beastie Boys auf endlosen Jams, die sich durchaus schon mal über mehrere Monate erstrecken können. Aus diesen Improvisationen wählen Yauch, Horowitz und Diamond schließlich die besten Passagen aus und entwerfen das jeweilige Songgerüst. Wie das Resultat dieser Vorgehensweise auf der kommenden Platte klingen wird, mag Mike D. noch nicht verraten. Nur so viel: „Es wird sich deutlich von dem unterscheiden, was man von uns kennt.“