Kritik

„Billie Eilish: The World’s a Little Blurry” bei Apple TV+: In dieser Doku ist nicht nur die Welt unscharf


So nah und doch so fern: Die neue Doku „Billie Eilish: The World’s a Little Blurry” auf Apple TV+ begleitet den Megastar bis zur Explosion. Selten gab die Teenagerin derart intime Details aus ihrem Leben preis. Aber sollten wir wirklich danach gieren?

„Billie Eilish: The World’s a Little Blurry” schafft es, die Zuschauer*innen innerhalb der monumentalen Spielzeit von zweieinhalb Stunden durch ein Wechselbad der Gefühle zu schicken. Einerseits ist der Film „eine radikal ehrliche Doku über einen Teenager, der zur Ikone wird”, wie Kritiker David Ehrlich für „Indiewire“ schreibt. Andererseits ist der Film Teil der Entertainment-Maschinerie – und auch des Problems, indem er die Schattenseiten des Ruhms nur vermeintlich kritisch betrachtet und sich so letztlich mit der ungesunden Legendenbildung innerhalb der Musikindustrie gemein macht. Ist die neue Doku auf Apple TV+ also nicht viel mehr als ein ziemlich teurer Werbespot mit Überlänge? Fans von Billie Eilish werden auf jeden Fall auf ihre Kosten kommen. Wer jedoch auf eine wirkliche Beobachtung aus ist, sollte sich anderswo umsehen – oder muss einiges an Eigenleistung aufbringen.

Hier geht es zum Trailer:

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„The World’s a Little Blurry” beginnt am Anfang des Entstehungsprozesses von Billie Eilishs Debütalbum WHEN WE ALL FALL ASLEEP, WHERE DO WE GO?, bewegt sich entlang der Produktion, begleitet Eilish zu Musikvideodrehs und auf Festivals bis hin zu den Grammys 2020, bei denen der damals erst 18-jährige Megastar mit der fertigen Platte im Gepäck einfach (fast) alle Awards abräumte. Gespickt ist der Film mit zahlreichen intimen Aufnahmen, die Eilish im Umgang mit ihrer Familie und auch Fetzen ihrer bisher praktisch unbekannten Beziehung zu Rapper Brandon „7: AMP” Adams zeigen.

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Ent- oder Verzauberung?

Regisseur R.J. Cutler versucht Eilish darüber trotz ihres monumentalen Erfolgs mit allen Mitteln zu erden. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut. Wenn die heute 19-Jährige über ihren Kampf gegen Depressionen spricht („Um ehrlich zu sein, ich hätte nicht gedacht, dass ich so alt werde“), sich wie eine Schneekönigin über die bestandene Führerscheinprüfung freut oder sich am Valentinstag einsam fühlt, dann sehen wir eine stinknormale Teenagerin mit etwas exzentrischem Modegeschmack.

Doch wenn sie darüber spricht, dass sie die gleichen Probleme wie ihre Fans hat und die ganze Zeit über mit glitzerndem Diadem – ob nun mit Diamanten oder nur Plastik besetzt, ist egal – in der Einstellung zu sehen ist, dann ist das durchaus ein Verweis darauf, dass Billie Eilish letztlich doch in einer den meisten unbekannten Welt lebt und leben muss.

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Dass die Doku aus dem Zwiespalt zwischen großartigem Einblick und Befeuern dieser Maschinerie nicht herauskommt, ist bedauerlich. R.J. Cutler gelingt es trotz allem nicht, sich maßgeblich von verwandten Produktionen, wie „Miss Americana” über Taylor Swift, der eindeutig näher an der Werbung als im Doku-Genre zu verorten ist, abzugrenzen. Sein Film ist von Nebelschwaden umgeben. Unklar bleibt, ob er etwas entzaubern oder die Zuschauer*innen verzaubern soll. Die einzig wirklich kritischen Worte im Film stammen von Eilishs Bruder und Produzenten Finneas O’Connell, der seiner Schwester und zumindest indirekt auch der Industrie Kontra gibt.

Hautnah dabei

Bei aller Kritik an der Form ist „The World’s a Little Blurry” jedoch eine dieser faszinierenden Dokus, die wir nur verdammt selten zu sehen bekommen. Denn die Kamera schaut nicht aus der Gegenwart bei der vergangenen Explosion eines Stars zu, sondern sie ist hautnah beim Anzünden der Lunte mit dabei. Weil wir mittlerweile alle Smartphones in der Tasche haben und somit potenziell in einer permanenten (Teil-)Öffentlichkeit leben, können wir als Publikum nämlich daran teilhaben, wie die 2015 erst 13-jährige Billie Eilish ihren Song „Ocean Eyes” zum ersten Mal im Radio hört.

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Doch aufgrund seiner Fehler ist „The World’s a Little Blurry” eben auch ein Film, der nicht mal ebenso nebenbei wegkonsumiert werden sollte. Er verlangt von seinem Publikum – ob nun bewusst oder nicht – genau die kritische Begleitung, die er selbst so vernachlässigt. Dass Billie Eilish auch nur ein Mensch ist, steht nicht zur Debatte. Aber es sind ihre Fans und der Fleischwolf der Entertainment-Industrie, der sie auf ein wesentlich höheres Podest hebt. Unterm Strich verpasst es R.J. Cutlers Film, diesen Mechanismus auszuhebeln.

„Billie Eilish: The World’s a Little Blurry“, seit dem 26. Februar 2021 bei Apple TV+ im Stream verfügbar.

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