BLUE ÖYSTER CULT


Heavy-Rock aus der Hölle

Blue Öyster Cult bestehen seit sieben Jahren, produzierten schon sechs Alben, einen Hit und eine Menge Wirbel in Zeitungen und Rundfunkstationen. Nur bei uns auf dem europäischen Kontinent sind sie noch relativ unbekannt. Aber das soll nun anders werden: Im Mai läuft die erste große deutsche Tournee der blauen Auster. Zwei Mitglieder der Band waren schon vorab hier und sorgten für mehrdeutige Tatsachen…

Die Tischrunde war bunt gemischt: Zwei Radioleute aus der BRD. einer aus – England, ein Filmkritiker, ein Nachwuchstalent samt Fotograf sowie ich selbst; dazwischen die Blue Öyster Cults Donald Roeser und Allen Lanier mit ihrer Allround-Dame Sandy Pearlman. Doch wer Klischee ade dachte, Musiker mit Songtiteln wie „Nosferatu“, „Hot Rails To Hell“ oder „Harvester Of Eyes“ müßten zwangsläufig den Tisch zerschlagen und für Blut und Horror sorgen, sah sich enttäuscht. Das blutige Filetsteak bestellte der Filmkritiker.

Doch Stilleben beiseite: mit Blue Öyster Cult landet nach langer Zeit mal wieder eine amerikanische Heavy Band an unseren Gestaden, die man wirklich ernstnehmen darf und von der man weder Kiss’sche Kosmetikwerbung noch aeroverschmitzte Jaggerimitationen zu erwarten hat. Kurz, BÖC haben was zu bieten. Was allerdings, das scheinen die Musiker selbst nicht recht einordnen zu können. Sind sie nun eine Kultband mit scharfem Rock und mäßigen Umsätzen oder eine Heavy-Pop-Band mit Aussichten auf Gold? Der vorjährige BÖC-Hit „Don’t Fear The Reaper“ wirft ungewollte Schatten: Don’t fear the Vermarktung!

Verbeugungstour Your Knees“ konnte man sogar Heavy-Fans aus dem Zimmer jagen, weil die musikalische Anarchie dieser Platten Kiss und Konsorten als brave Milchbubis erscheinen ließ.

Daß Blue Öyster Cult mal eine gute Band werden würden, war anfangs nicht gerade erkennbar. Zunächst fand sich 1967 mit Allen Lanier (keyb), Donald Roeser (g, voc). Albert Bouchard (dr), Les Bronstein (voc, g) und Andrew Winter (bg) ein Quintett zusammen, daß in und um New York für lokale Furore sorgte und unter dem Namen Soft White Underbelly eine LP für Elektra Records aufnahm. Doch selbst der damals sehr progressiven Firma Elektra schien die Platte zu progressiv: Sie blieb ebenso unveröffentlicht wie jenes zweite Machwerk, das die Band als The Stalk Forrest Group einspielte, nunmehr bereits in der späteren BÖC-Besetzung für Les Bronstein übernahm Eric Bloom Gesang und Gitarre, für Andrew Winter zupfte nun Joe Bouchard, Albert’s Bruder, den Baß.

Als die Band dann Anfang 1971 einen Vertrag bei Columbia/CBS unterschrieb, hatte sie kurz zuvor ihren Namen in Blue Öyster Cult geändert; Anregung dafür war ein Gedicht der ehemaligen Journalistin Sandy Pearlman gewesen, die sich fortan als Managerin, Produzentin, Texterin und PR-Dame zugleich engagierte. Zeitweilig sangen BÖC auch Texte von Richard Meltzer, seines Zeichens Rock-Literat und -Journalist. Jedenfalls, die beiden ersten Alben der Band, „Blue Öyster Cult“ und „Tyranny And Mutation“, klangen zwar reichlich wild, aber wenig aufregend. Doch es zeigte sich nebenher auch, daß BÖC weniger an eine senkrecht startende und ähnlich schnell wieder absteigende Karriere dachten, sondern mit Konzept und Planung auf längere Sicht arbeiteten.

Horror-Image

Das Pfeil- und Bogen-Image eines Ted Nugent etwa zieht sofort oder gar nicht. BÖC’s subtile Horror-Aura jedoch benötigte Zeit, und man darf ausgefuchsten Leuten wie Sandy Pearlman oder Allen Lanier, der offenbar einiges auf dem Kasten hat, durchaus unterstellen, daß sie die Zukunftsplanung von Anfang an intensiv betrieben haben. Mitunter jedoch erlitt BÖC’s stetig aufgebautes Image kräftige Dämpfer: Etwa, als ein geschätzter deutscher Rockschreiber der Band anläßlich ihres dritten Albums „Secret Treaties“ neben musikalischen Banalitäten auch noch faschistoide Selbstdarstellung vorwarf. Gewiß, da war im Song „ME-262“ von Göring, Hitler und der im April ’45 herrschenden Dunkelheit über Westfalen die Rede, doch die abgebildeten toten Schäferhunde sowie das dem antiken griechischen Zeichen für Chaos nachempfundene Logo der Band reichen wohl kaum, BÖC in die neonazistische Ecke zu drängen.

Die Band legte jedenfalls mit ihrer vierten LP „On Your Feet Or On Your Knees“ ernsthaft los. Mit bislang höchstens bei MC 5 oder Iggy & The Stooges gehörter Brutalität wurden vier Plattenseiten lang Gitarren und Orgel traktiert, wurde Steppenwolf mit „Born To Be Wild“ und den Yardbirds mit „Maserati GT (I Ain’t Got You)“ Reverenz erwiesen, faßte die Band im Song „Career Of Evil“ quasi ihr Image zusammen. Hier hieß es nämlich locker aufgezählt: „I’d like to pick your brain, capture you, inject you, leave you kneelin‘ in the rain… I’d like to do it to your daughter on a dirty road…“

BÖC also als Inkarnation des Bösen, das sich nicht offen, sondern hintenrum im Schafspelz anschleicht und daher besonders gefährlich erscheint. Aber auch als Band, die nicht mit Rauchbomben oder Ampullen künstlichen Blutes Schrecken verbreitet, sondern sich mit messerscharfen Texten über die Nackenwirbel ins Trommelfell windet, festhakt, ausbreitet.

Anläßlich der LP „Agents Of Fortune“ offenbarten BÖC dann einen leichten Schwenk: Zu den bis dahin bekannten Qualitäten fügten die Glücksagenten plötzlich mehrstimmige Vokalsätze, teilweise gar ausgesprochen melodische Songs hinzu, zum Glück jedoch mit dem alten Dampf. Ergebnis war der eingangs erwähnte Hit „Don’t Fear The Reaper“ – womit wir wieder in der Gegenwart wären.

R U Ready 2 Rock?

Dem neuen, möglicherweise leicht abgerundeten Image der BÖCs entspricht auch die aktuelle LP „Spectres“ (die ursprünglich den brutaleren Titel „The Big Hurt“ tragen sollte). Hier singen die blauen Austern Inhaltsangaben von F.W. Murnau’s Dracula – Adaption „Nosferatu“ sowie von Inoshiro Honda’s Monster – Klassiker „Godzilla“. Beißende Songs wie „The Revenge Of Vera Gemini“ vom vorigen Album wo Patti Smith mitschnurrte sucht man zwar vergebens, dafür aber haben BÖC ihr musikalisches Spektrum nomen est omen erweitert, ohne wesentlich an Dampf zu verlieren. Nebenbei halten Songs wie „Golden Age Of Leather“ oder „Death Valley Nights“, was die Titel versprechen. Warten wir ab und sehen wir zu, was BÖC auf ihrer BRD-Tour im Mai zu bieten haben, wenn sie uns mit dem verballhornten Songtitel fragen: „R U Ready 2 Rock?“.