Bonnie Raitt


Kritiker lieben sie, Musiker schwärmen von Ihr, Prinee hätte sie liebend gerne produziert. Doch irgendwie scheint das Schicksal die amerikanische Sängerin nicht zu lieben. ME/Sounds-Mltarbeiter Jörg Feyer erzählte sie, warum sie trotzdem nicht unterzukriegen ist.

Katzen, so weiß der Volksmund, haben neun Leben. Bonnie Raitt ist ganz gewiß keine Katze, doch liegt ebenso sicher mehr als bloße Koketterie in NINE LIVES, dem Titel ihres vorletzten Albums. Alkoholprobleme, Beziehungsscherben, eine Ungewisse Karriere – wenn die 39jährige Sängerin und Gitarristin heute die Tücken der letzten Jahre Revue passieren läßt, klingt das manchmal entwaffnend offen („Da war Angst, Zurückweisung, Schmerz. Ich war geistig, körperlich und emotionel! völlig erschöpft“), manchmal aber auch wie der Auszug aus einem psychiatrischen Handbuch: „Du mußt dir die Zeit nehmen, um festzustellen, wo du eigentlich stehst. Wenn eine persönliche Beziehung nicht funktioniert – hör auf damit! Wenn deine Plattenfirma nichts für dich tut – sitz nicht rum und klage, sondern verändere die Situation.“

Ironischerweise wurde Bonnie ausgerechnet ihr erster und bisher einziger Hit fast zum Verhängnis: 1977 kletterte sie mit einer Neuauflage des Del Shannon-Klassikers „Runaway“ die US-Charts hoch, woraufhin die damalige Plattenfirma Warner Brothers – ein lukratives CBS-Angebot im Nacken – ihren Vertrag besser dotiert erneuerte. Doch weder THE GLOW (1979) noch GREEN LIGHT (1982), beide nach Bonnies Meinung „nicht stark genug promotet“, konnten die kommerziellen Erwartungen erfüllen. Zusammen mit Van Morrison oder Arlo Guthrie wurde Raitt kurz darauf gefeuert.

Als sie die Hiobsbotschaft erfuhr, waren die Masterbänder für ein neues Album (Arbeitstitel: TONGUE & GROOVE) gerade überspielt worden. Vergeblich versuchte Warner das Material an eine andere Firma teuer zu verkaufen. Der Kompromiß erscheint erst drei Jahre später als NINE LIVES – vier TONGUE & GROOVE-Songs, fünf neue Titel, dazu noch der Titelsong aus dem Film „Extremeties“. Vertragslos lebt Bonnie – nie eine Songschreiberin, die auf kontinuierlich fließende Tantiemen setzen kann – von ihren Ersparnissen, tingelt im Duo mit ihrem langjährigen Begleiter Johnny Lee Schell, spielt Benefiz-Gigs gegen Contra-Hilfe und für Anti-Apartheid-Gruppen. Schließlich schaltet sich ein kleiner – O-Ton Raitt – „workaholic“ aus Minneapolis ein: Prince ist „einfach ein Fan“ von Bonnie und will sie für sein Paisley Park-Label. Drei Songs, die er für sie geschrieben hatte und gemeinsam aufgenommen werden, „waren zwar nah an meinem Stil dran, aber noch nicht das Optimale“. Eine Fortsetzung der Kooperation scheitert vorerst am unglücklichen Tuning: Prince ist schon bald nur noch mit seiner letzten Europa-Tour beschäftigt – Bonnie „konnte einfach nicht länger warten.“

Sie unterschreibt bei Capitol, wo jetzt – eine hübsche Ironie – wieder einige Leute für Bonnie arbeiten, die sie schon bei Warner betreuten. Don Was,der ihr „Comeback“ NICK OF TIME produziert, lernt sie bei der gemeinsamen Arbeit an Hal Willners Disney-Projekt STAY AWAKE kennen. Beide finden schnell eine gemeinsame Wellenlänge. Don, so sagt Bonnie jetzt, habe ihr geholfen, „meine Persönlichkeik besser auszubalancieren“.

Als „schöne Entschädigung“ für den ausbleibenden Hit-Erfolg bezeichnet sie den immensen Repekt, der ihr in Musikerkreisen entgegengebracht wird. Wenn sie ins Studio geht, muß Bonnie die Kollegen nicht lange bitten. So spielt etwa Herbie Hancock das Piano auf „I Ain’t Gonna Let You Break My Heart Again“ – ein Song, den David Lasley schon vor 11 Jahren für sie geschrieben hatte. „Ich dachte nie, daß ich ihn eines Tages wirklich singen könnte, weil er dich emotional total bloßstellt. Wenn mich die Leute deswegen für einen Jazz-Act‘ halten -mir egal. Ich bin lange genug hin und hergeschubst worden. Heute verlasse ich mich auf meine Instinkte und kümmere mich nicht darum, ob ein Song ,Airplay‘ kriegen könnte oder nicht.“

Selbst wenn NICK OF TIME kommerziell eingehen sollte – große Zukunftssorgen macht sich Bonnie Raitt heute nicht mehr. „Ich empfinde es geradezu als Vorteil, daß ich keine Sex-Göttin bin. Das erlaubt mir nämlich, in Würde zu altern. Ich muß nicht mit meinem Aussehen hausieren gehen und Aufmerksamkeik erregen – ich kann ganz allein mit meiner Gitarre überleben. Gott sei Dank …“