Boom Box


Die Hip-Hop-Kolumne

Wer braucht eigentlich noch Alben? Die Antwort ist so einfach wie verstörend: Rap-Fans. Just unter jenen, die am eifrigsten saugen, zippen und sharen, hat sich eine pathologische Sehnsucht nach dem traditionellen Format breitgemacht wie die Facebook-Sucht im Großraumbüro. Album-Alben müssen her, gerne Sequels, möglichst jahrelang verschoben, vor allem aber produziert von ausnahmslos allen Majoren der Saison bzw. ausnahmslos von einem einzigen 90er-Veteranen. Besonders schlau spielte zuletzt Raekwon auf dieser Klaviatur der Erwartungen, der zwischenzeitlich arg abgemeldete Statthalter des Wu-Tang Clan in Brooklyn. Nach diversen kommerziellen Desastern kündigte er vor einigen Jahren aus einer Bierlaune heraus einen direkten Nachfolger seines tatsächlich klassischen Erstlings Only Built 4 Cuban Linx an, der Blaupause aller Ticker-Rap-Epen der Neuzeit. Sein tägliches Brot verdiente er sich weiterhin auf endlosen Ochsentouren durch die treue neue Welt. Zwischendurch warf er Bloggern Kleinstinformationen wie Brotkrumen hin: das Internet, von Kollegen verteufelt als Wurzel allen Übels, nutzte er als digitale Warmlaufpiste für die Vinyl-gewordene Rückkehr des original Kleinkriminellen-Königs. Erzkonservativ in Form und Inhalt war Cuban Linx II dennoch die mindestens zweitbeste Hip-Hop-LP des Jahres 2009: Samplesoul von Pete Rock, RZA und J Dilla. Dichte Narrative aus den düsteren Gassen des Rotten Apple. Die lieb gewonnenen Filmskits. Dazwischen dezente Updates für das 21. Jahrhundert und immer wieder überdurchschnittlich motivierte Gastparts von den Kusengs. Kritik und Fans gingen kollektiv Bananen, besonders die Chemie mit den Sportskameraden Method Man und Ghostface Killah hatte es dem lange darbenden Volk angetan. Rufe nach einem gemeinsamen, genau, Album der zwei lustigen Drei wurden laut. Dies ist nun erschienen, nach gerade einmal sechs Monaten und so offiziell das dieser Tage geht: mit Universal, Videokampagne, Sammlercover und Segen vom Chef. Toll ist „Wu-Massacre“ trotzdem nicht. Unter den 38 MB finden sich Samplesoul von Mathematics, Emile und Scram Jones, die lieb gewonnenen Filmskits sowie überdurchschnittlich motivierte Gastparts der Kusengs. Aber eben auch jede Menge Part 2s, Part 2.5s und andere halbgare Freestyle-Skizzen – in seligen Zeiten hätte man solch einen Schnellschuss auf Limited-Bonus-Picture-8″ gepresst und sich arg gefreut. Heute regelt das die Häkchenfunktion. Immerhin. Oder wie heißt es auf dem von RZA zerhäckselten Jacko-Fatz „Our Dreams“: „No matter how hard the times may seem, don’t give up our dreams.“