Boom Tschak


Die Electro-Kolumne von Albert Koch

Autechre20

Die Neunzigerjahre waren ein gutes Jahrzehnt für elektronische Musik. Durch die Ausbildung von diversen Subspezies wurden die Grenzen von klassischen Genres verwischt. Ab der Mitte des Jahrzehnts war die Elektronik von einer Anything-goes-Haltung geprägt und am Ende waren Techno und Artverwandtes draußen aus der Nische. Als maßgebliche Innovatoren nennen die Pophistoriker das Duo Autechre, 1987 von Rob Brown und Sean Booth in Rochdale bei Manchester gegründet . Die beiden Tracks der „Cavity Job“-EP aus dem Jahr 1991, einem Release Autechres vor ihrem Dauerengagement bei Warp Records, sind noch stark im klassischen Techno und Electro verwurzelt. Im Verlauf der Jahre wurde die Musik Autechres immer abstrakter und verfrickelter und unabhängig von tradierten Strukturen. Was für jede Musik gilt, die sich nicht selbst genug ist, zeichnet auch die von Autechre aus: Sie will erst intellektuell verarbeitet werden, bevor sie den Bauch erreicht.

Warp Records feiert jetzt das 20-jährige Jubiläum der ersten Autechre-Aufnahmen mit einer 5-CD-Box, die die ersten elf Jahre des Duos anhand ihrer EPs dokumentiert. 47 Tracks, die meisten davon waren jahrelang nicht mehr erhältlich, die wenigsten davon sind auf den begleitenden LPs zu finden. EPs 1991-2002 ist nicht nur ein weiteres gelungenes Beispiel für die Historisierungsbemühungen der elektronischen Musik, es ist auch Beleg für die Flexibilität der Hörgewohnheiten im Lauf der Jahrzehnte. In „Flutter“, einem Track von der 1994er „Anti EP“, sehnsüchtelt eine niedliche Synthiemelodie zu gebrochenen Beats. 17 Jahre später ist kaum zu glauben, dass ein Track wie dieser für ungeübte Menschen, deren Hände das Wort Techno mutmaßlich mit Doppel-„k“ geschrieben haben, eine Herausforderung dargestellt haben musste. Rhythmen und Soundpatterns, die damals als atonal und schwer konsumierbar wahrgenommen wurden, fließen heute wie selbstverständlich in die Produktionen zeitgenössischer elektronischer Musiker ein.

Manche dieser Tracks sind bis zu 20 Jahre alt. In ihrer Radikalität verweigern sie sich allerdings einer zeitlichen Einordnung. Das belegt, dass viele der Zeitgenossen Autechres ihren Möglichkeiten hinterherhinkten. Das Werk von Autechre wird wahrscheinlich niemals „Kultstatus“ im Sinne einer trashigen Gegen-den-Strich-Rezeption erhalten, wie das so üblich ist bei der Musik vorangegangener Jahrzehnte. Auch das zeichnet Innovatoren aus, das macht sie zeitlos.

Autechre

EPs 1991-2002 (5 CDs)

Warp/Rough Trade