Break On Through To The Other Side


In seinem Buch „Fuck Forever- Der Tod des Indie Rock" eröffnet MUSIKEXPRESS-Redakteur Albert Koch einen Diskurs über das Verhältnis von Independent-Kultur und Mainstream.

Wie independent ist eine Indie-Kultur, deren Exponenten dieselben Bedürfnisse haben wie die der Mainstream-Kultur? Rockstar sein, reich und berühmt werden, Groupies flachlegen, Drogen nehmen. Wie independent sind die Anhänger der Indie-Kultur, wenn sie einem Mode- und Geschmacks-Diktat folgen, um sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen, die sich selbst zum Mainstream entwickelt hat? Wie independent sind die Indie-Kids, wenn der Sänger wichtiger wird als der Song. Was ist der Unterschied zwischen dem Starkult um Tokio Hotel und dem um Mando Diao? Indie ist keine Geisteshaltung mehr, die von der künstlerischen und kreativen Unabhängigkeit ausgeht, sondern ein MaTketingkonzept, das sehr gerne von den großen Plattenfirmen aufgegriffen wird. Mit dem Punk hat 1977 alles begonnen. Das großartige, idiotische, infantile Spiel der Abgrenzung von den Anderen. Aber auch die Transformation von „innovativer“ Musik in „ganz normalen Rock“ und von „ganz normalem Rock“, der als „innovativ“ wahrgenommen wird – aufgrund des Zeitkontextes, in den er eingebettet ist, und in Bezug zu der Musik, als deren Reaktion er aufgefasst wird. Jedes Untergrund-Phänomen wird im Lauf der Zeit zu einem Mainstream-Phänomen. „Fuck Forever- Der Tod des Indie Rock“ handelt von einem „Trend“ und davon, wie er zerstört wird-von Plattenfirmen und Trittbrettfahrern, die plötzlich alle indie sein und schon immer gewesen sein wollen. Es folgen Auszüge aus drei Kapiteln.

Indie versus Major „Ihear, euerybody thatyou knowisrnore releuant than everybody that I knotu“

„Losing My Edge‘, LCD Soundsystem Wir befinden uns Mitte der 8oer-Jahre. Wer dazugehören will, hört nur Platten, die auf Indielabels veröffentlicht werden. Wer dazugehören will, lehnt die Major-Plattenfirmen, „die Industrie“, ab, weil „die bei der Industrie“ den Bands vorschreiben, welche Musik sie zu machen haben. Und das ist ja wohl alles andere als indie. Immer mehr Menschen hören Mitte der 8oer-Jarire Indiemusik, die aber noch nicht

so heißt, weil indie in den mittleren 8oer-Jahren kein „Genre“ bezeichnet, sondern lediglich die Herkunft der Musik. Die Frage, die sich die Leute stellen, die dazugehören wollen, lautet: Werden die Platten, die ich höre, von einem kleinen Label vertrieben oder von einem multinationalen Unterhaltungsgroßkonzern? Zu den vielen Menschen, die Indiemusik hören, zählen mittlerweile auch die „Artist & Repertoire-Manager“ bei den großen Plattenfirmen. Das sind Menschen, die schon von Berufs wegen nicht nur Musik, sondern auch das Gras wachsen hören. Sie wissen schon heute, was der „Trend“ von morgen ist. Nein, viel besser: Sie setzen heute den Trend von morgen. Langsam beginnen die A&R-Manager, den kleinen Labels die in der Indieszene bereits etablierten Bands wegzukaufen. Als 1986 das AlbumCANDY APPLE grey der Post-Hardcore-HeldenHüskerDübei Warner Brothers Records veröffentlicht wird, geht ein Aufschrei durch lndieland. Warner dient zu jener Zeit als Sinn- und Hassbild für großkapitalistische Machenschaften in der Unterhaltungsindustrie. Wer richtig indie ist, schreit: „Verrat!“ Und tatsächlich klingt CANDY APPLE GREY eine Spur „kommerzieller“ und ausgefeilter als das Album davor, NEW day rising, das bei SST, dem amerikanischen Indielabel der 80er, erschienen war. Da muss wohl einer von Warner bei den Aufnahmen daneben gestanden und Hüsker Du erzählt haben, welche Musik sie zu machen haben. In Wahrheit ist candy apple grey das beste Album der Band aus Minneapolis. Wäre es bei SST erschienen, dürften das auch die Indiefaschisten behaupten.

Heute, 20 Jahre später, wird der Begriff „indie“ für jede Art von Rockmusik gebraucht, die nicht von Bon Jovi gemacht wird, die also nicht dem „alten“ Mainstream, der Opa-Musik zuzurechnen ist. Egal, ob die Indiemusik bei einem Indielabel oder bei einem Majorlabel veröffentlicht wird. Die Bedeutungsverschiebung des Terminus macht die Definition nicht unbedingt leichter. Mit ziemlicher Sicherheit würde man eine Band wie die Yeah Yeah Yeahs als Indie bezeichnen, obwohl ihre Platten beim „Branchenriesen“ Universal veröffentlicht werden. Mit ziemlicher Sicherheit hätte man Britney Spears im Jahr 1999 nicht als Indiesängerin bezeichnet, obwohl ihr Debütalbum … BABY ONE MORE TI ME beim Indielabel Jive veröffentlicht und vom Indievertrieb Rough Trade in die Läden gestellt wurde. Das zeigt rückblickend, wie absurd die Diskussion „Indie versus Major“ schon in den 80er Jahren gewesen sein muss. Nur hat das damals keiner bemerkt. Noch absurder wird es, wenn man in der Diskussion kleine territoriale Eigenheiten berücksichtigt. Die CDs der Strokes werden weltweit von der Mutter aller Indielabels vertrieben: Rough Trade. Nur in Deutschland nicht. Da ist der Major Sony BMG zuständig. Sind The Strokes in England und den USA eine Indieband, aber in Deutschland nicht? Selbst die härtesten Indiefaschisten haben in den 9oern erkannt, dass eine derartige Diskussion absurd ist und dass mittlerweile auch die Indiebands ihre Platten auf Major-Labels veröffentlichen, dass ein Album wie GOO von Sonic Youth nicht dadurch schlechter wird, weil es von Universal vertrieben wird. Ab den goern wurde der Begriff „Indie“ zut Bezeichnung eines Genres, eines Schemgenres freilich. Die Drone-Gebirge einer Band wie Godspeed! You Black Emperor, die ihre Platten auf einem Indielabel veröffentlicht, zählen genauso zum „Indie-Rock“ wie der Powerpop der Kaiser Chiefs, bei denen es sich rein technisch gesehen um eine „Major-Band“ handelt. Vielleicht sollte man zur Unterscheidung die Termini „Mainstream“ und „Underground“ bemühen. Aber das haut auch nicht hin. Wie mainstream oder wie Underground ist eine Band wie die Arctic Monkeys, deren Konzerte in mittelgroßen Hallen schon Monate vorher ausverkauft sind?

Der alte Affe Abgrenzung „My guitar uantst OR ill your Mamo. My guitar ujantstoburn your Dad“

„My Guitar Wants To Kill Your Mama , Frank Zappa & The Mothers Of lnvention Jedes Spiel hat seine Regeln. Wer sich nicht an die Regeln halten will, sollte das Spiel nicht mitspielen. Bevor man an einem Spiel teilnimmt, sollte man überprüfen , ob man mit den Regeln einverstanden ist. Selbst wenn man ein Fußballspiel im Fernsehen ansieht, sollte man überprüfen, ob man mit den Regeln einverstanden ist. Sonst könnte es vorkommen, dass ein dem Gruppenzwang erlegener Zuschauer, der nicht mit den Regeln einverstanden ist, „in der Clique“ mit dämlichen Kommentaren ankommt wie: „Da laufen doch nur 22. Verrückte 90 Minuten lang hinter einem Ball her.“ Das ist die wichtigste Regel beim Fußball: 22 Verrückte laufen 90 Minuten hinter einem Ball her. Wenn es dir nicht passt, sieh dir was anderes an. „Wer wird Millionär?“ zum Beispiel. Auch der Indie-Röck hat seine Regeln. Infantile, pubertäre, idiotische Regeln. Die wichtigste Regel ist die Abgrenzung von den Anderen. Über die Abgrenzung definiert man sich als „cool“, „hip“, „weit vorne“. Man kann das Abgrenzungsspiel infantil, pubertär und idiotisch finden und nicht dabei mitmachen. Weil es objektiv betrachtet auch infantil, pubertär und idiotisch ist- genauso infantil, pubertär und idiotisch, wie wenn 22 Verrückte 90 Minuten lang hinter einem Ball herlaufen. Wer richtig indie ist, lässt sich aber mit seiner ganzen Energie auf dieses Spiel gegen die Anderen ein.

Die Anderen, von denen man sich abgrenzen will, können zum Beispiel die Mainstream-Spießer sein. Sie sind allerdings ein zu leichtes Opfer für Abgrenzungsattacken. Wahrscheinlich weiß selbst ein Pur-Hörer, dass es cooler ist, Arctic Monkeys zu hören als Pur. Interessant wird es, wenn die Anderen, von denen man sich abgrenzen will, zum eigenen Stamm gehören. Sich von den lndie-Rock-Spießern abzugrenzen, ist eine sehr subtile Variante des AbgTenzungsspiels. Zum Beispiel kannst du das, was die Indiespießer ablehnen, gerade deshalb gut finden, weil sie es ablehnen. Das kannst du dir aber nur erlauben, wenn deine Meinung so viel Gewicht hat, dass die Indiespießer ins Grübeln kommen, nachdem du deine Meinung geäußert hast. Du musst eine anerkannte Autoritätsperson in Sachen Musik sein, die als cool gilt. Ein Musiker, ein DJ oder wenigstens ein Musikjournalist. Wenn deine Meinung sehr viel Gewicht hat, kannst du das Selbstbewusstsein der Indiespießer stark erschüttern, indem du eine Konsens-Band, über die sich die Indiespießer gerade als cool definieren (zum Beispiel… The Trail Of Dead und Bright Eyes) von ganzem Herzen öffentlich ablehnst. Die Indiespießer kommen dann ins Grübeln darüber, ob es vielleicht doch uncool sein könnte,… Trail Of Dead und Bright Eyes zu hören. Wenn deine Meinung allerdings kein Gewicht hat, wenn du also kein Musiker, kein DJ und kein Musikjournalist bist, dann darfst du keinesfalls versuchen, dich von den Indiespießern abzugrenzen. Denn dann hast du verloren. Dann giltst du als uncool.

Das Abgrenzungsspiel begann schon in den 5oern, als mit dem Rock’n’Roll erstmals so etwas wie eine Jugendkultur entstand. Die Jugendlichen grenzten sich durch ihr Aussehen und durch die Musik, die sie hörten, von den Erwachsenen ab. Elvis Presley statt Hazy Osterwald Sextett. So blieb das bis Ende der/oer, bis auf ein paar Ausnahmen (Mods gegen Rocker in den öoern, Rocker gegen Hippies in den 7oern). Das Hauptabgrenzungsziel der Jugendlichen blieben die Erwachsenen. Dann kam der Punk und mit ihm die Erkenntnis, dass jede Generation irgendwann einmal in die „Früher war alles besser“-Falle tappen würde. Von da an war das Hauptziel der Abgrenzung die Jugendlichen, die anders waren, weil sie keinen Punk hörten, denn Punk war heute, und früher war alles besser.

Indie ist der neue Mainstream „Stop to pretend, stop pretending. Itseems this game is simply neuerending „The Modern Age“,The Strokes Anfang der ooer-Jahre war vieles noch einfacher. Da gab es Indie, und es gab den Mainstream. Die Modepüppchen in ihren H&M-Outfits, die gerne Prada tragen würden, aber trotzdem H&.M tragen, weil sie sich Prada nicht leisten können, bewegten ihre magersuchtgefährdeten Körperbei Betriebsfeiern zurMusikvon Kylie Minogue, Destiny’s Child und Madonna, gerade so, als wollten sie alle unsere Vorurteile von sich bestätigen. Wir konnten dann nach Hause gehen, uns noch ein Bier aufmachen, eine Indieplatte auflegen, zum Beispiel „The Modern Age“ von The Strokes, und uns in unserem Sessel zurücklehnen in der Gewissheit, dass wir mit unserem exklusiven Musikgeschmack etwas Besseres waren als diese Mainstream -Spießer und dass die das sowieso nie kapieren würden.

Im Jahr 2001, nachdem das Debüt der Strokes erschienen war, wurde alles anders. Dann hatten die das auch kapiert. Die Strokes „retteten“ nicht nur den Indie-Rock aus „der Krise“, sie haben auch style und sehen verhältnismäßig gut aus. Ihr style – Röhrenjeans, Chucks, T-Shirts, Hemden und Sakkos – war zwar der regelmäßig wiederaufbereitete Rock’n’Roll-Style, aber sie haben wenigstens style. Dass die frohe Kunde einer stylishen Indie-Rock-Band aus New York die Runde machte, war in erster Linie das Verdienst der Musikseiten in den Mainstream-Printmedien, was wiederum das Verdienst der Presseabteilung der Snokes-Plattenfirma war, die eine Horde von Journalisten zwei Tage lang auf eine Reise nach Schweden schickte, auf der sie u.a. die Gelegenheit hatten, die Strokes zu interviewen.

Mittlerweile berichteten die Musik- und Pop-Seiten in den großen Publikumszeitschriften, den Frauen- und den „Lifestyle“-Magazinen nicht mehr über die Opa-Musik von Phil Collins und Tina Turner, sondern auch über Indie. Das lag daran, dass die Inhalte dieser Musik- und Pop-Seiten größtenteils von freien Musikjournalisten geliefert wurden, also von Autoren, die per Definition wissen mussten, was heiß war. Ein freier Musikjournalist lebt von den Abnehmern seiner Texte. Je mehr Texte er verkaufen kann, desto mehr Geld kann er damit verdienen. Je mehr Texte er verkaufen kann, die auf einem einzigen Termin basieren (zum Beispiel ein Interview mit den Strokes), desto weniger Arbeit hat er damit. Der freie Journalist führt ein halbstündiges Interview mit den Strokes und schreibt die Anzahl von Texten, die sich mit der Anzahl seiner garantierten Abnehmer deckt. Inhaltlich unterscheiden sich die Texte kaum, formal nur geringfügig durch ein paar unterschiedliche Formulierungen. Vorher hat der freie Journalist den Ressortchefs der Frauen- und Lifestyle-Magazine versichert, dass The Strokes in diesem Monat der heiße Scheiß sind, die unbedingt zum Aufmacherthema der Musikseite der nächsten Ausgabe gemacht werden müssen. Die Ressortchefs vertrauen auf die Aussage des freien Journalisten. Sie müssen darauf vertrauen, weil sie selber keine Ahnung von Musik haben. Wenn dann in drei unterschiedlichen Mainstream-Printmedien – einem Nachrichtenmagazin, einer Frauenzeitschrift und einem Lifestyle-Magazin – die alle zu Hause im Zeitungsständer des H&M-Modepüppchens liegen, ein und dieselbe Band als der „heiße Scheiß“ angekündigt wird, dann muss da ja was dran sein. Immer mehr Modepüppchen in H&.M- Outfits erfahren also auf diese Art, dass es eine Musik jenseits von Kylie Minogue gibt, sie erzählen das ihren Freunden, und innerhalb kurzer Zeit wird Indiemusik und Indiemode zu einem neuen „Trend“. Indie ist der neue Schick.

Die Zielgruppenerweiterung zu den Mode-Indiespießern wurde in den Jahren 2005 und 2006 so offensichtlich wie nie zuvor. Dass dabei stärker außermusikalische Gründe eine Rolle spielen als noch in den 9oer-Jahren, führt Indie auf die archaische Dreieinigkeit von Sex &. Drugs & Rock’n’Roll zurück: 15-jährige Mädchen müssen sich nicht mehr länger mit „unechten“ Bands wie Tokio Hotel aufhalten, sondern können ihre Wünsche und Sehnsüchte auf „richtige“ und „authentische“ Menschen wie Adam Green und Carl Barät projizieren. Hilfreich war dabei auch die selten dämliche TV-Soap-Opera „OC California“. Sie verband auf perfide Weise ihre Schöne-junge-Menschen-Botschaft mit einem Indie-Soundtrack, der überhaupt nicht zum darin dargestellten schwarz-weißen Weltbild passte. „Fuck Forever -Der Tod des Indie-Rock“ von Albert Koch, Hannibal Verlag, ca. 250 Seiten, 17,90 €. Ein Abgesang auf die Independent-Kultur. Inkl. Interviews mit Adam Green, DJ Chris De Luca (Ex-Funkstörung), Mayo Thompson (The Red Krayola) und der ehemaligen „Fast Forward“-Moderatorin Charlotte Röche. »>

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