Bush – Sixteen Stone


Daß britische Musiker in der ersten Hälfte der 90er Jahre jenseits des großen Teichs – von wenigen Ausnahmen wie den Cranberries (und die sind per Definition ja eigentlich aus Irland) mal abgesehen kaum Fuß fassen konnten, ist leidlich bekannt. Ebenfalls bekannt ist, daß der große Run auf die Grunge-Hauptstadt Seattle mittlerweile niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Um so erstaunlicher, daß vor diesem doppelten Hintergrund jetzt plötzlich wieder was im Busch ist. Denn die neueste Grungerock-Hoffnung kommt ausgerechnet aus – London, England. Vor zwei Jahren tingelte das Quartett Bush noch durch die Clubs der britischen Metropole. Doch dort waren eher Pop-Matadoren à la Suede, Blur oder Echobelly angesagt. Grunge? – Das war doch eher was für die US-Kids. Fast logisch also, daß sich ein amerikanisches Label die Euro-Grunger schnappte. Und -Wunder gibt es immer wieder das US-Publikum nahm die Briten mit offenen Armen auf. Das Debütalbum SIXTEEN STONE schoß ohne großen Anlauf bis in die Top 20 der Billboard-Charts.

Über diesen Umweg kehrt Bush nun als Phoenix aus der Asche in die europäische Heimat zurück. Das Motto „Nur wo USA draufsteht, ist auch USA drin“ setzt die Band indes völlig außer Kraft. Denn – da mag die Plattenfirma noch so viel über „britische Provenienz“ abfaseln – Bush klingen selbst fürs geübte Ohr absolut authentisch amerikanisch. Drehund Angelpunkt der Gruppe ist der charismatische Sänger und Gitarrist Gavin Rossdale, der als jugendliche Eddie Vedder-Version nicht nur zum Teenager-Schwarm taugt, sondern auch die Bush-Songs mit seiner rauhen, dreckigen Stimme fest im Griff hat. Auf Momente mangelnder Leidenschaft wartet man bei Rossdale vergeblich: Seine Stimme surft professionell auf den knallharten Soundwellen der Gitarren. Nach bester Nirvana-Manier verzichten die elf Tracks des Debüts trotz aller Härte nie auf Melodik. Auf den ersten Blick kommen sie zwar im neuzeitlichen Grunge-Outfit daher, beim zweiten Hinhören wird die tiefe Verwurzelung im traditionellen Rock offenbar. Sanfte Einstiege lullen ein, originelle Tempowechsel überraschen, plötzliche brachiale Ausbrüche schrecken auf und jeder Song strebt konsequent einem musikalischen Höhepunkt entgegen. Auch die Zeichen der Zeit haben Bush erkannt. Verkündeten die Leaving Trains anno 1987 noch „Violent sex is the only kind of sex that makes sense to me“ (‚Violent Sex‘), so dreht Rossdale den Spieß um und schleudert den jugendlichen Gewalt-Jüngern der 90er ein lapidares „There’s no sex in your violence“ (‚Everything Zen‘) entgegen. Weise Worte! Mit viel Humor und einer gesunden Portion Wut nimmt die Band auch den gelangweilten, hedonistischen Teil der Generation-X-Vertreter auf die Schippe: Textauszüge wie „I shave with Gillette/and l’m patting my back“ (‚Testosterone‘) bringt – frei nach dem Motto „Neulich im Szenecafe“ – die Verachtung der Kreativ-Slacker für den selbstverliebten Yuppie mit Handy am Nebentisch auf den Punkt und trifft den Zeitgeist-Nerv wie der Bohrer das Zahnfleisch. Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Neu oder gar innovativ ist der Sound von Bush ganz sicher nicht. Er zeigt eher einen Generationswechsel an, der den Fluß der Zeit auf den Kopf stellt: Einst schöpften Bands wie Soundgarden, die Melvins oder Nirvana aus den reichhaltigen Pfründen des Rock und fanden einen eigenen Stil – für den die Musikpresse das Schlagwort „Grunge“ erfand. Was Bush jetzt erfolgreich praktizieren, klingt wie die Rückbesinnung des Grunge auf den Rock. Umwege scheinen tatsächlich eine Spezialität des Quartetts zu sein…