Popkolumne, Folge 73

Ode an Hengameh und Gwen Stefanis Ex-Mann: Volkmanns Popwoche im Überblick


In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Paula Irmschler die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler*in, welche Platte, welches Gedicht lohnt sich (nicht)? Wie egal sollte einem außerdem und dem Sommer zum Trotze das Thema Beachbody sein? In der neuen Folge zur KW 27/2020 geht es außerdem um die Familie Thalbach, Bücher und den Anti-Pin-Up-Boy des Raps. Kämmt euch die Haare über die Glatze, öffnet die Herzen und dazu noch ein altes Yes-Torty... Die neue Popwoche kommt über euch!

LOGBUCH KALENDERWOCHE 27/2020

 JAOK, jetzt ist es auch noch Sommer geworden und ich möchte trotz der allgemeinen Seuchenkulisse das Freibad besuchen. An einem sonnigen Tag kaufe ich online ein Ticket dafür, anders geht es nicht. Das nächstmögliche ist für überübermorgen. Na, gut! Als es soweit ist, sieht der Himmel fies aus. Gehe trotzdem hin. Will mich nicht als Loser fühlen (Tickets not refundable). Friere auf einer feuchten Wiese, es beginnt zu regnen. So sehen Sieger aus!

GEDICHT DER WOCHE: ODE AN HENGAMEH

Einst entlarvte sie kulturelle Aneignung auf der Fusion /
Die Szene war not amused und argwöhnte, was willst Du denn?

Es folgte „Mein Horoskop ist wichtiger als Deutschland“, bumm! /
Die Linke dreht sich entsetzt im Grab bzw. Bioladen um

„All Cops are berufsunfähig“ – der jüngste Text noch nicht sehr alt /
Und zwar ein Kommentar auf strukturelle Polizeigewalt

Taz wirkt verpeilt, Seehofer droht, man selbst sieht klarer /
Leute, bleibt ruhig, das ist das Werk von Hengameh Yaghoobifarah

DAS KLEINSTE INTERVIEW DER WOCHE: MELODIE MICHELBERGER

Melodie Michelberger ist schon lange eine bunte Stil-Ikone aus Hamburg, die man mittlerweile sogar auf Magazin-Covern sehen kann. Body Positivity ist eins ihrer vielen Themen, dazu veröffentlicht sie nächstes Frühjahr ein Buch bei Rowohlt. 2020 heißt man als Stil-Ikone übrigens Influencerin. Na, da kann Melodie ja nichts dafür! Ich freue mich jedenfalls sehr, sie als Gast im kleinsten Interview der Woche zu haben.

Wie verlief die bisherige Zeit unter Corona für Dich?

MELODIE MICHELBERGER: Eigentlich schreibe ich seit ein paar Monaten ein Buch über unrealistische Körpernormen und den Schlankheitswahn unserer Gesellschaft. Betonung auf eigentlich. Denn während einer solchen Ausnahmesituation täglich konzentriert in die Tasten zu hauen, während mir am Esszimmertisch mein Sohn gegenüber sitzt und über seinen Matheaufgaben verzweifelt, war kaum möglich. Auch finanziell war es eine rasante Talfahrt. Viele Mode- und Beauty-Marken, mit denen ich zusammen arbeite, haben ihre Social-Media-Aktivitäten während des Lockdowns auf Eis gelegt, manche haben sogar ihre Online-Shops vorübergehend geschlossen. Vieles wurde direkt ins nächste Jahr verschoben. Finanziell eine ziemliche Katastrophe. Trotzdem schaue ich optimistisch in die Zukunft. Vor ein paar Jahren rutschte ich während eines Burnouts in ähnliche finanzielle Unsicherheiten. Aus dieser Zeit habe ich eine ziemlich unerschütterliche Zuversicht mitgenommen, dass es alles irgendwie gut werden wird.

Du erwähnst Deinen Sohn, wie gut oder auch nicht lief für Euch das große Thema Homeschooling?

MELODIE MICHELBERGER: Laut meinem Sohn (12) bin ich die nervigste Lehrerin, die man sich überhaupt vorstellen kann. Was wahrscheinlich daran liegt, dass ich ganz am Anfang der Homeschooling-Zeit extra eine App heruntergeladen hatte, die alle 45 Minuten das Pausenklingeln der Schule imitiert. Schnell wieder gelöscht… Ich glaube, Eltern eignen sich generell nicht unbedingt dazu, ihre eigenen Kinder zu unterrichten. Die ersten paar Wochen war ich noch mit Elan und Freude dabei, auch weil ich meinem Sohn das Gefühl geben wollte, dass wir alles unter Kontrolle haben. Allerdings wurde das Arbeitspensum immer mehr. Auf allen möglichen Kanälen flogen mir die Nachrichten seiner Lehrer*innen um die Ohren. Täglich mussten in allen Fächern (auch in Religion, Musik, Kunst) unzählige Arbeitsblätter ausgedruckt und bearbeitet und die Inhalte via YouTube-Videos selbst hergeleitet werden. Mein Sohn hat die Lernzeit bei YouTube eher dafür genützt, sämtliche „Let’s Play“-Videos seiner liebsten YouTuber anzugucken. Immerhin weiß ich jetzt, wie die Menschen im antiken Rom auf die Toilette gingen und wie schlecht es um die Digitalisierung in deutschen Schulen steht.

Du beschäftigst Dich viel mit „Body Positivity“. Hast Du das Gefühl, es tut sich gesellschaftlich was beim Thema Körpernormen?

MELODIE MICHELBERGER: Ja, in meiner Instagram-Blase habe ich tatsächlich oft den Eindruck, dass Körpervielfalt erwünscht und gefeiert wird, allerdings erinnern mich Hater und Trolls täglich daran, dass dicke Körper wie meiner unerwünscht sind und wir von echtem gesellschaftlichen Wandel noch meilenweit entfernt sind. Auch in Mainstream-Medien, Werbung und Kunst werden immer noch fast ausschließlich Frauen gezeigt, die dem normierten Schönheitsideal entsprechen, in den Vereinigten Staaten oder auch in Großbritannien sieht es da schon ganz anderes aus. Mir fällt außer Lizzo auch kein*e Künstler*in, Schauspieler*in oder Sänger*in ein, die mehrgewichtig und erfolgreich ist.

BUCH DER WOCHE: „Schloss aus Hand“

Unter dem Alias „I Love Trash“ hat eine Autorin auf Twitter ein Panoptikum kunstvoller Miniaturen aufgestellt. Okay, das tun dort viele, aber wenn man es plötzlich als Buch vorliegen sieht, ist man sofort bereit, es ernster zu nehmen. So geht es zumindest mir. Social Media auf Papier, plötzlich wirkt alles poetischer… Außerdem fallen die Bewertungen und digitalen Diskussionen auf diese Weise weg. Doch das Buch-Prinzip macht nicht trotzdem Spaß, sondern gerade deshalb. Das Kurzweilige von Humor-Twitter in einer Art Reclamheft unterm Apfelbaum lesen. Das ist doch mal ein hübscher Cocktail.
(Edition Klara via Hanseplatte).

„Wieder paar Kastanien
auf Kleiderkreisel verkauft
ich liebe Herbst“
(aus „Schloss aus Hand“)

IRMSCHLER DER WOCHE: THALBACH SUPERBUSEN

Während man selbst noch unter Tränen und im Regen im Schwimmbad liegt, hat die Pacemakerin Paula Irmschler schon wieder das nächste Feuerwerk abgebrannt. Jüngster Coup: Anna Thalbach hat ihren Erfolgsroman „Superbusen“ als Hörbuch eingelesen. Wow, davon wird sich weder die Konkurrenz noch das Patriarchat erholen. Don’t miss this.

Upside down you’re turnin‘ me

CLIP DER WOCHE: VANDALISMUS

„Das schönste Kompliment war immer erst Beleidigung / Anti ist noch immer die beste Verteidigung“

Ich bin immer wieder auf widerständige Künstler*innen gestoßen, die hinter dieser Pose bloß brave Kapitalisten darstellten – und die für eine Anfrage zum Interview in der örtlichen Stadtzeitung einen Korb Welpen ertränkt hätten. Der Düsseldorfer Rapper Degenhardt gehört – ähnlich wie beispielsweise die Punkband Pisse – nicht dazu. Die Verweigerung ist echt und der Name immer noch geändert: Degenhardt heißt immer noch Vandalismus. Why not, wenn er noch so gute Songs schreibt wie diesen hier. Im September kommt das Album („Gloria & Schwefel“), jetzt erstmal das hier. Stockfinsterer Rap voller Zorn und Schmerz. Da ritzt sich mein inneres Kind.

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MEME DER WOCHE

GUILTY OR PLEASURE (90S-EDITION, PT.9): BUSH

HERKUNFT: London
DISKOGRAPHIE: 8 Studio-Alben
ERFOLGE: Sechsfach Platin in den USA für das Debüt-Album „Sixteen Stone“. In den Billboard Charts überdauert es sein Erscheinungsjahr 1994 lange. Es verbleibt über hundert Wochen in jener Bestenliste!

TRIVIA: Vielleicht die nachhaltigere Erinnerung als die an Bushs Musik? Sänger Gavin Rossdale heiratet 2002 Gwen Stefani, sie bekommen drei Söhne und sind für People-Magazine wie die InTouch in den Nuller Jahren ein gern abgedrucktes Power-Couple. Nach knapp 13 Jahren Ehe allerdings folgt 2015 die Scheidung.

PRO
Bush lieferten griffigen Post-Grunge. Die Band aus England zitierten sich einen Wolf und schufen Songs, die ästhetisch mit der Hochzeit von einst mithalten konnten. Auf ihrem Hit „Glycerine“ basiert sogar ein ganz großer Simpsons-Moment: Homers 90er-Jahre-Grunge-Band in einer Folge der neunzehnten Staffel nennt sich Sadgasm und deren Stück „Margerine“ ist angelehnt an den Hit von Bush.

CONTRA
Die Kraft und die Verstörung des Grunge-Genres endete spätestens mit dem Tode Cobains 1994, in jenem Jahr erschien das Debüt von Bush. Diese Band war bereits als Zombie geboren und diente dem Mainstream lediglich dafür, jenen globalen Sound der Neunziger um noch ein paar verkaufsintensive Momente zu erleichtern. Schwermütige Nabelschau-Mucke ohne jeglichen Genius.

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Mehr über Grunge erfahrt Ihr in Folge 4 unseren Podcasts „NEVER FORGET – der 90er-Podcast“, ab 6. Juli überall dort zu hören, wo es Podcasts und die bisherigen Folgen gibt.

Kriechen auf dem letzten Zahn, aber unendlich dankbar: Paulas Popwoche im Überblick

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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