Camel


Camel wurde bisweilen in eine Reihe gestellt mit Gruppen wie Genesis, Yes oder Floyd. Solange man damit formale und stilistische Parallelen unterstreichen will, mag das auch angehen. Trotzdem hinkt der Vergleich: Peter Bardens Wüstenschiff wirkt im Vergleich zu diesen Bands viel lebendiger, unkomplizierter und kreativer, ist allerdings auch eine ganze Ecke unbekannter. Mit dem fünften Album („Rain Dances“) bewegt sich Camel immer noch ungebrochen im Zenit künstlerischer Ausdrucksfähigkeit. Hoffen wir, daß der sich gerade auch in Deutschland jetzt abzeichnende Erfolgszuwachs die Band nicht auf jene abschüssige Bahn führt, die in eine publikumsferne, langweilige Perfektion führt.

Daß Camel ungebrochen auch die nächsten Jahre überleben könnte, unterstreichen die Auftritte der Gruppe stets aufs neue. Sie sind immer wieder ein einziges charmantes Understatement. Das fängt an bei einem wohltuenden Lautstärkepegel, pflanzt sich fort in äußerst behutsamer Dosierung der Effekte und im ungekünstelten Auftreten der Bandmitglieder, und verdichtet sich in deren augenfälligem Teamgeist. Die mannigfachen Soli sind von nichts weiter entfernt als von individueller Großmannssucht. Es sind vom Publikum und von den übrigen Mitspielern gleichennassen begeistert aufgenommene Glanzlichter in einem kollektiven Feuerwerk, das seine Durchschlagskraft zieht aus der enormen kompositorischen Potenz des Autorengespanns Bardens/ Latimer, aus der einfühlsamen, nuancenreichen Interpretationsfähigkeit aller Musiker und ihrer makellosen handwerklichen Routine.

Warme und sanfte Melodien schweben über Keyboardteppichen

Diese drei Sound-Zutaten garantieren das, was Camel wie wenige andere Rock-Bands perfektioniert hat: ein Höchstmaß an ästhetischer, nachgerade gediegener Hörkultur. Bezaubernd schöne, warme und sanfte Melodien schweben da über futuristischen Keyboardteppichen ohne die gefährliche Grenze zum Kitsch, zur aufdringlichen akustischen Zuckerwatte zu streifen, werden dann mit machtvoll rockigen Einschüben derart gegen den Strich gebürstet, daß im Nu knisternde Spannung aufkommt, entwickeln sich ebenso rasch in intellektuelle (aber selten introvertierte) Spielereien mit vertrackten Tempi und jazzigen Phrasierungen hinüber.

Live findet sich die optische Umsetzung solch ideenfreudiger Spiellaune in Cameis berühmter Lightshow, die mit Filmschnipseln, Dias und Leuchtsymbolen musikalische Stimmungen nachzuzeichnen sucht. Die Gruppe hat allerdings stets darauf geachtet, daß das Augenspektakel nie ein Eigengewicht entwickelte, das den Ohrenschmaus hätte nachhaltig beeinträchtigen können.

Auf den ersten Blick scheint Camel eine relativ junge Gruppe: erst 1975 wurde sie einem breiteren Publikum bekannt, in jenem Jahr, da die britischen Fans sie auch beim Melody-Maker-Poll mit einem „Brightest-Hope“-Prädikat bedachten. Daß dieser Anerkennung über zehn Jahre musikalische Arbeit vorangegangen waren, wissen die wenigsten.

Es begann 1964, mitten im Gründungsfieber der Beat-Ära, als der junge bluesorientierte Organist Peter Bardens mit dem noch genauso unbekannten Drummer Mick Fleetwood erste Gehversuche in einer Band namens Cheynes unternahm. 1965 war Bardens bei der ersten Besetzung von Van Morrisons berühmter Them dabei und wirkte auch auf deren Debütalbum mit („The Angry YoungThem“) Es folgte ein kurzlebiges Intermezzo mit einer ersten eigenen Band (The Looners), dann der Einstieg in die Rhythm & Blues-Schmiede Shotgun Express. Die Gruppe trug ihren Namen zu Recht: in dieser Talentschule lösten drei Musiker ihre Schnellzugfahrkarten zum ganz großen Erfolg: Mick Fleetwood, Peter Green und Rod Steward. Für Peter Bardens allerdings ging es vorerst wie gehabt weiter. Mit seinem Trio Village hielt er sich etwa zwei Jahre auf wenig spektakuläre Weise über Wasser. 1970 versuchte er es mit einer ersten Solo – LP („The Answer „), im Jahr darauf mit einer zweiten („Write My Name In The Dust“). 1972 dann kreuzten sich seine Wege mit denen dreier anderer Musiker, und Camel wurde geboren. Die Lehrjahre waren zuende.

Die neuen Leute hießen Andy Latimer (Gitarre, Flöte), Doug Ferguson (Baß) und Andy Ward (Schlagzeug). Auch sie hatten sich bereits einen gemeinsamen Erfahrungsschatz zusammengespielt, von 1968 bis 1970 im Trio Stange Brew, dessen Name bald auf Brew verkürzt wurde, und später als Backing-Group von Philip Goodhand-Tait. Mit ihm kamen sie 1971 im Elton-John-Vorprogramm auch nach Deutschland und spielten die LP „I Think TU Write A Song“ ein.

Ein Mann vom Schlage eines Clapton

Für den abgebrannten Keyboardmann Bardens (er besaß nicht mal mehr eine Orgel, als er zu Brew stieß) barg die Zufallsbekanntschaft die lang ersehnte Möglichkeit, ein ureigenes Soundkonzept Wirklichkeit werden zu lassen. Er feilte es zusammen mit Co-Autor Andy Latimer aus, dessen kreative Kompetenz später begeisterte Kommentare hervorrief: „Er taugt zum Gitarrenhelden vom Schlag eines Clapton, Beck oder Page“, euphorisierte ein britisches Rockmagazin 1976.

So machte sich Camel vor knapp sechs Jahren mit pausenlosem Üben und pausenlosen Konzerten auf die Knochentour zu Popularität und Anerkennung. Das Quartett, dem ein publikumsträchtiges Image völlig fehlte, errang Beifall von Anfang an durch seine Plattenproduktionen. Die nämlich hielten in der Tat das, was die Promotionsabteilungen der Plattenkonzerne bei Neuerscheinungen generell und ohne Rücksicht auf den Inhalt zu behaupten pflegten: jede LP war wieder ein Stück besser als ihre Vorgängerin. Das 1973er Debütalbum „Camel“ blieb noch weitgehend unbeachtet, obschon es kernige Hörkost ohne Längen bot letzteres ein Markenzeichen aller weiteren LP’s: Camel hat so gut wie nie die nötigen Laufzeiten mit belanglosem Füllstoff geschunden. 1974 kam „Mirage“, nicht zuletzt wegen der Ohrwürmer ,,White Rider“ und „Lady Fantasy“ schon von einer größeren Fan-Gemeinde angenommen, und 1975 der ganz große Wurf: „The Snow Goose“, ein bezaubernd beschauliches Konzept – Instrumental – Album, dem sich ein weithin beachtetes Konzert mit dem London Symphony Orchestra in der Royal Albert Hall anschloß. Die aus einer bestrickend rührseligen Novelle von Paul Gallico entlehnte Nach langen Startschwierigkeiten beginnt für Camel nun offenbar ein Höhenflug:

Unser Foto oben zeigt die erste Besetzung der Band mit Drummer Andy Ward, Organist- und Camel-Kopf Peter Bardens, Bassist Doug Ferguson und Gitarrist Andy Latimer (von links). Das Live-Bild links zeigt Latimer mit dem neuen Bassisten Richard Sinclair Schneegans kam als erstes Gruppenprodukt in die Album-Charts des Königreichs. Der Erfolg provozierte umgehend eine einstweilige Verfügung des Vorlagen-Autors Gallico zur Durchsetzung seiner mißachteten Copyright-Ansprüche.

Auf der so erreichten Stufe einer beachtlichen, aber nicht übermäßig berauschenden Publikumsresonanz blieb Camel vorerst hängen. „Moonmadness“ (1976) schaffte in England wie sein Vorläufer eine Silberne, und auch auf dem Kontinent und in den USA konnten Achtungserfolge errungen werden. Mit dem aktuellen Longplayer „Rain Dances“ (besprochen im ME 12/77) wollten Bardens & Co es dann augenscheinlich wissen: war „Moonmadness“ nach nur dreiwöchiger Planung Hals über Kopf eingespielt worden, so ließ man sich jetzt runde sieben Monate Zeit, feilte an raffinierten Arrangements und exotischer Instrumentierung. Kurz vor den ersten Aufnahmen, im Februar vergangenen Jahres, wurde Gründungsmitglied Doug Ferguson am Baß durch Richard Sinclair ersetzt, „einen der wenigen Rock-Interpreten, diewirklich singen können“ (Melody Maker). Sinclair stammte aus der Canterbury-Gruppe Caravan und verstärkte jene unterschwellige „Grey & Pink“-Atmosphäre, die bei Camel schon immer mit angelegt war. Ursprünglich nur als Studio-Ersatz für Ferguson gedacht, wurde der Aushilfsbassist rasch in die Gruppe integriert.

Noch arbeitet Camel ohne den Druck großer kommerzieller Erfolge

Keine Bindung allerdings ging vorerst Mel Collins ein, Britanniens Sax-Koryphäe (ex King Crimson): er sorgte nur für die Dauer der Platteneinspielung und der Präsentationstournee für einen jazzinspirierten Bläserbackground.

Die anspruchsvollen Regentänze führten die Gruppe schnurstracks in die Hitlisten, wenngleich Camel auch diesmal wieder nicht über mittlere Notierungen in England (und auch Deutschland) hinauskam. Man mag das bedauern, aber es hat auch sein Gutes. Denn ohne den Druck allzu großen kommerziellen Erfolgs kann Camel sich selbst mit Leichtigkeit treu bleiben und das kommende Album Nummer sechs in bewährter Weise stricken: wieder ein Stück besser als der Vorläufer?