Chet Baker


Er sah gut aus, er machte coole Musik und er ist tot. Ein Film über den Trompeter Chet Baker bereitet den Weg für die Wiederentdeckung einer kaputten Jazz-Legende.

Ein Foto war es – nicht die Musik – das dem Regisseur Bruce Weber zuerst aufgefallen war. Als 16jähriger entdeckte er ein Platten-Cover, auf dem ein junger Mann im T-Shirt abgebildet war. Cool wie James Dean habe er gewirkt und seine Trompete habe er gehalten wie eine Zigarre, erinnert sich Weber. „Chet Baker Sings and Plays with Bud Shank und Russ Freeman“ war der Titel der Platte, einer der Songs hieß „Let’s Get Lost“.

Ein Foto ist es, das Bruce Weber viele Jahre später auf die Idee bringt, das Leben von Chet Baker zu dokumentieren. Diesmal ist Weber selbst der Fotograf. Er bereitet für das New Yorker Whitney Museum eine Ausstellung seiner Modefotos vor und überredet Baker, den er kurz zuvor live erlebt hat, zu einer Porträtsession. Das Foto, das dabei entsteht, zeigt ein Gesicht, in dem nichts an James Dean erinnert. Tiefe Furchen überall, eingefallene Lippen. Der 57jährige Baker, die Augen geschlossen, die Trompete neben sich auf das Kopfkissen gebettet, ist ein Zeugnis des Verfalls. Zum nächsten Fototermin bringt Weber den Kameramann Jeff Preiss mit, der mit einer Bolex auf 16 mm Schwarzweiß einige Meter dreht.

Weber und Preiss begleiten Baker auf Tournee nach Europa. Sie besuchen eine seiner drei Frauen, drei seiner vier Kinder, alte und neue Freundinnen. Sie lassen Musiker berichten. Sie filmen Fotos ab, die William Claxton in den 50ern von dem jungen Jazz-Helden gemacht hat, der mit Charlie Parker und Gerry Mulligan spielte. Sie treiben Ausschnitte italienischer B-Filme mit Baker auf und finden junge Lookalikes von Baker. Weber und Preiss graben nach der Geschichte eines Mannes, der seit 30 Jahren an der Nadel hängt und der trotzdem fast jeden Abend auf der Bühne steht.

Ein paar Wochen nach Ende der Dreharbeiten, am Freitag, dem 13. Mai 1988, stürzt Chet Baker aus dem Fenster seines Zimmers im zweiten Stock des Prins-Hendrik-Hotels in Amsterdam und stirbt. Neben seinem Bett wird eine kleine Menge Heroin gefunden, in seinem Blut keines. Die Zimmertür war von innen abgesperrt, die Polizei schließt gewaltsamen Tod aus.

„Let’s Get Lost“, der zweistündige Film von Bruce Weber, erhält durch den Tod Chet Bakers einen Stellenwert, der undenkbar gewesen wäre, wäre Baker noch am Leben. Der von Chet Baker eingespielte Soundtrack ist eine seiner letzten Aufnahmen (die letzte ist eine zwei Wochen vor seinem Tod entstandene NDR-Produktion). „Let’s Get Lost“ gesellen zu haben und Chet Baker zu mögen, wird – das ist anzunehmen – zum Kinostart im Herbst schick werden. Das gilt erst recht für den Juni, wenn der Film auf dem Münchner Filmfest präsentiert wird. Der Modefotograf Bruce Weber hat also einen Film gemacht, der zunächst sehr modisch erscheint. Man würde allerdings Weber wie Baker unrecht tun, wollte man „Let’s Get Lost“ auf Spiel-mir-das-Lied-vom-toten-Mann a la Roy Orbison beschränken.

Als Bruce Weber seinen Film beginnt, ist Chet Baker alles andere als hip. Beim ersten Fototermin in Bakers Appartement in New Yorks 125. Straße leiht sich Baker erst mal Webers Limousine, läßt sich zu seinem Dealer chauffieren und setzt sich einen Schuß. Während der ersten Wochen erzählt Weber, habe er ständig daran gedacht, den Süchtigen zu retten: „Aber dann wurde mir klar, daß das das Letzte war, was er wollte.“ Gegen Ende des Films hört man, wie Weber verspricht, Methadon zu besorgen.

Gerettet zu werden ist nur eines der Dinge, von denen Chet Baker nichts wissen will. Familie hat er aus seinem Leben gestrichen, ebenso Freunde und Kollegen. Darüber verliert er kaum ein Wort vor der Kamera. Nach Abstürzen, verursacht durch Heroin oder begleitende Umstände (Dealer schlugen Baker 1968 in San Francisco alle Zähne aus), nach dem Verlust großer Popularität, nach Wochen und Monaten in Halt und Nervenheilanstalten (darunter die in Haar bei München) zieht sich Baker auf ein schmutziges kleines On-The-Road-Dasein zurück. 200.000 Dollar verdiente er damit 1987, schätzt sein Konzertveranstalter Wim Wigt. Da blieb Geld für einen neuen Alfa Giulia, den Baker immer wieder gen Amsterdam steuerte.

„Let’s Get Lost“ ist ein Film, der von keinem bestellt wurde. Nicht von einer Plattenfirma, nicht vom Musiker, nicht von einem Fernsehsender und nicht vom Zeitgeist. Es ist der Film eines Fotografen, der an Bildern interessiert ist, auch an denen, die sich andere von einem Menschen machen, der sie immer wieder enttäuscht. Es ist auch der Film eines Fans, der über eine Million Dollar investierte und sich mit ehrlicher Neugier seinem Thema näherte.