Courtney Love: Love Parade


Wundersame Wandlung: Gestern noch die Schlampe vom Dienst, heute eine anerkannte Schauspielerin in Hollywood. Nach den Exzessen der Vergangenheit will Courtney Love nun endlich ein sauberer Popstar sein.

Hole-Manager Brian Celler ist eine harte Nuß. Ein persönliches Gespräch mit Courtney Love, so betont er mit Grabesstimme, könne nur unter der Prämisse stattfinden, daß keinerlei Fragen zu Drogen, Affären, Kurt Cobain oder dem kommenden Album „Celebrity Skin“ gestellt würden. Das will Celler auch gerne schriftlich zugesagt haben. Außerdem, so betont er energisch, werde das Gespräch von einem Mitarbeiter des Managements überwacht. Im „Restaurant am Ende der Pressefreiheit“ schließlich, dem überfüllten „Stir Crazy“ am Santa Monica Boulevard in Los Angeles, wartet schon der angedrohte „Aufpasser“, nicht aber Frau Love.

Der Laden ist laut, heiß und stickig, der Aufpasser sichtlich nervös über das Ausbleiben seines Schützlings. Etwa 40 Minuten und etliche Eiskaffees später hält eine monströse Stretch-Limousine vor dem Portal. Im schwarzen Trägerkleidchen und mit undurchdringlicher Sonnenbrille betritt Courtney den Laden – gefolgt von einem bulligen Bodyguard. Schlagartig verstummen sämtliche Gespräche. Alles starrt auf die geheimnisvolle Blondine und ihre merkwürdigen Begleiter. Der einzige freie Tisch befindet sich in der Mitte des Raums. Das ist dem Sicherheitschef dann doch zu heikel, er veranlaßt den strategischen Rückzug. Glücklicherweise findet sich nebenan ein italienisches Restaurant, das in den frühen Nachmittagsstunden wie ausgestorben wirkt. Courtney steuert zielstrebig an einen entlegenen Tisch, ordert eine Flasche Mineralwasser und mustert den deutschen Journalisten durch dunkle Gläser.“Hi, ich bin Courtney, alles klar?“

Die 32jährige erscheint gesünder und attraktiver als je zuvor. Doch die exzessiven Jahre haben ihren Tribut gefordert, wie sie unumwunden zugibt: „Mein Gehirn funktioniert nicht mehr richtig. Ich kann mich nur noch auf das konzentrieren, was unmittelbar vor mir liegt. Daher zeigt sie sich auch bemüht, das Gespräch auf die aktuelle Veröffentlichung „My Body The Hand Grenade“ zu beschränken – was ihr nur bedingt gelingt. „Ich denke, diese Compilation dokumentiert unsere Anfänge und Wurzeln“, sinniert sie.“Sie verdeutlicht, wie wir als Band gewachsen sind und welche Phasen wir durchlaufen haben. Ich war ein richtiger Punk – einfach unvergleichlich! Leider habe ich mittlerweile vergessen, wie abgefahren ich war.“ „My Body The Hand Grenade“ist Vertragserfüllung, Retrospektive und Schlußstrich zugleich. Es ist Holes offiziell letzte Veröffentlichung auf dem Berliner Indie-Label „City Slang“, gleichzeitig aber auch Werkschau und Rückblick auf die ersten fünf Jahre bewegter Bandgeschichte: auf zwei Alben, sechs Singles, diverse Besetzungswechsel, traumatische Tour-Erlebnisse und den zwischenzeitlichen Umzug nach Seattle. Auf der Strecke geblieben sind Bassistin Jill Emery, die Hole 1992 verließ und heute bei Mazzy Star spielt, sowie Caroline Rue, die mittlerweile in diversen Seattle-Bands trommelt. Lesley Hardy wiederum, die auf der ’93er Single „Beautiful Son“ mitwirkte, war nur wenige Wochen dabei. Ihre Nachfolgerin, Kristen Pfaff, erlag am 16. Juni 1994 einer Überdosis Heroin. Ein typisches Opfer des Rock’n’Roll-Circus? „Wir machten eigentlich immer so etwas wie Performance-Kunst“, räumt Courtney ein, „bei uns gab es keine Kompositionen. Warum? Weil ich ganz einfach in meiner Unfähigkeit gefangen war! Außer meiner Stimme und meinen Worten hatte ich keinerlei Ausrucksmöglichkeiten. Als sich meine Technik dann langsam verbesserte, wurde ich plötzlich populär. Es ist fast so, als ob du im Leben nicht genug Zeit hättest, um deine volle Musikalität zu entwickeln. Ich habe immer noch denselben großartigen Geschmack und dieselben tollen Texte, bin jetzt aber viel ausgereifter. Und ich kann mir ‚Pet Sounds‘,’Sgt. Peppers‘ und ‚Rumours‘ anhören – oder auch ‚Crazy Train‘ von Black Sabbath. Dabei durchschaue ich die Musik: Ich höre, wie die Drums gespielt, welche Basslinien verwendet und welche Keyboards eingesetzt werden. Jetzt habe ich die

Macht, dieses großes Rock´n´Roll-Wissen in meiner eigenen Musik umzusetzen,“ Während Courtney lieber nach vorne blickt und diese CD-Kopplung als radikalen Schlußstrich unter die chaotischen Anfangstage versteht, gerät Hole-Gitarrist Eric Erlandson einige Tage später am Telefon ins Schwelgen. Er erinnert sich gerne an die erstaunliche Entwicklung der Band in den Jahren 1991 bis 1994 und schwärmt von den fünf Tagen, die sie für ihr erstes Album benötigten: „Unter heutigen Gesichtspunkten ist das gar nichts“, sagt er und deutet damit an, wie langwierig sich die Aufnahmen zum dritten Hole-Epos gestalten. Erlandson, der früher in der Marketing-Abteilung des Plattenmultis „Capitol Records“ arbeitete, ist nicht nur Courtneys stiller Sidekick, sondern auch der große Musikfreak im Hause Hole. An der Retrospektive hat er fast zwei Jahre gebastelt, Tausende von Bändern abgehört und die besten Versionen zusammengetragen. „Ich habe mich darauf beschränkt, das Ganze unter einem historischen Blickwinkel zu komplettieren, der unsere Entwicklung von einer Punk- zu einer Pop-Band dokumentiert. Wir sind zwar nicht Hanson, kommen dem mittlerweile aber doch sehr nahe.“

Und weil der Entwicklungsschritt vom ungestümen Debüt „Pretty On The Inside“ zum ’94er Meilenstein „Live Through This“ riesig gewesen ist, wollen Hole diese Tradition auch mit ihrem nächsten Epos fortsetzen. Jedenfalls zeugen Courtneys Worte nicht nur von grenzenlosem Selbstvertrauen, sondern auch von einem ganz neuen Ansatz:“lch habe mich in letzter Zeit intensiv mit Brian Wilson und Fleetwood Mac, den Beatles, Jane’s Addiction und den frühen Soundgarden beschäftigt. Bisher konnte ich zwar großartige Texte verfassen, nicht aber die entsprechenden Melodien dazu.’Drown Soda´ist mein absoluter Lieblingssong bei Konzerten. Schon immer gewesen. Es ist wie ein Stück von Mazzy Star nur viel besser. Aber wenn ich einige davon mit meinem jetzigen Wissen noch einmal neu schreiben dürfte, ich würde es sofort tun. Wie zum Beispiel ’20 Years In The Dakota‘. Das würde mit meinen heutigen Fähigkeiten einfach viel besser klingen – vor allem, was den Gesang betrifft. Aber so ist es einfach nur rauh. Kein Wunder, schließlich habe ich es ja in einer einzigen Nacht geschrieben.“ Und obwohl sie eigentlich nicht über „Celebrity Skin“ sprechen wollte, kommt sie doch nicht umhin, atemberaubende Vergleiche und Spekulationen über den Sound des dritten Hole-Albums anzustellen. „Die Songs sind straff strukturiert. Jede einzelne Note ist sorgfältig in ihren Kontext eingebunden und das Potential bis ins Letzte ausgereirt. Es sind die Kompositionen eines echten Songwriters, perfekt ausgearbeitet und regelrechter Zucker für die Ohren. Schließlich habe ich drei Jahre für dieses Album gebraucht. Ich wollte richtige Stücke schreiben, mich an den Grundregeln populärer amerikanischer Musik orientieren und eben auch als guter Komponist anerkannt werden. Aber das kannst du natürlich nicht nachvollziehen, ehe du das nächste Album zu hören bekommst.“ Wenn Courtney erst einmal in Fahrt kommt, ist sie nicht mehr zu stoppen. Die „Wachhunde“ verfolgen die Unterhaltung zwar mit gesteigertem Interesse, wagen es aber nicht, die Ausführungen von Frau Love-Cobain zu unterbrechen. Und die plappert munter weiter. Zum Beispiel über ihre Filmkarriere,die bereits in den ‚8oern mit zweitklassigen Streifen wie „Sid & Nancy“ oder „Straight To Hell“ begann und dann, nach zehnjähriger Pause, eine überraschende Fortsetzung erlebte – mit gefeierten Nebenrollen in „Basquiat“, „Feeling Minnesota“ und dem Kassenschlager „The People Vs. Larry Flynt“.

Den Balance-Akt zwischen Punk und Hollywood meistert Courtney Love offensichtlich ohne Schwierigkeiten: „Ich liebe es, in diese Filmwelt einzutreten und doch immer nur ich selbst zu sein. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als die In-Crowd zu zerquetschen. Die Schauspielerei beansprucht eine Menge Zeit, aber die Band hat damit absolut kein Problem. Meine Bassistin (Melissa Auf Der Maur – Anm. d. Red,) dreht gerade ihren ersten Film, der mit einem Budget von vier Millionen Dollar hergestellt wird. Insofern ist das schon eine größere Produktion. Ich sage immer:’Wenn wir erst einmal 40 Jahre alt sind, werden wir nicht mehr in Bands spielen, sondern nur noch Filmstars sein.'“

Trotzdem war Courtney enttäuscht über den verweigerten Oscar für ihre Parade-Rolle in „The People Vs. Larry Flynt.“ Das mag ein Grund dafür sein, daß sie das Musikerdasein jetzt wieder als weitaus erfüllender empfindet als eine Filmkarriere. „Naja, jedenfalls so lange, bis sich meine Einstellung grundlegend verändert hat. Wenn du als weiblicher Rockstar sehr erfolgreich schauspielerst, dann gibt es dafür einfach keinen Kontext. Das hat noch niemand vor mir gemacht. Aber ich bin mir sicher, daß es angesichts der vielen Frauen im musikalischen Mainstream nur eine Frage der Zeit ist, bis die sich alle im Filmgeschäft versuchen. Scheiße, heute hat doch jeder einen Agenten! Von daher wirst du bald noch mehr Performances sehen, nach dem Motto:’Was die kann, das können wir schon lange.‘ Egal, ich mag es, andere Mädchen zu inspirieren.“ Und siehe da, für wenige Augenblicke ist sie wieder das Riot Grrrl der frühen 90er die lebenslustige Schlampe, die lautstark rebelliert, Provokation lebt und sich für die Emanzipation des vermeintlich schwachen Geschlechts in der Männer-Domäne Rock ’n‘ Roll einsetzt. „Das ist meine Message. Absolut. Ich habe erst kürzlich zusammen mit ‚Fender‘ eine spezielle Gitarre für Mädchen entwickelt. Davon habe ich 20 Stück den Jugendheimen gestiftet, in denen ich als Teenager gelebt habe. Außerdem habe ich erst gestern Gitarren an Demi Moore und Sharon Stone geschickt. So nach dem Motto:’Weil du halt ein echter Rockstar bist.‘ Damit will ich den Frauen zeigen, wie elegant es ist, chaotisch zu sein. Und das ist doch eine positive Sache.“ Wie geht die Band mit der Wortgewalt ihrer Frontfrau um? Mit stoischer Gelassenheit. Die Möglichkeit, Courtney könnte ihre Popularität für eine Solo-Laufbahn verwenden, weist Eric Erlandson weit von sich: „Daran denke ich erst gar nicht. Sollte es irgendwann doch dazu kommen, wird Courtney wahrscheinlich Folksongs zur akustischen Gitarre singen…“ Derzeit allerdings werkeln die Vier mit Star-Produzent Michael Beinhorn (Material, Soundgarden, Soul Asylum) noch am Grundgerüst der neuen Stücke. Und während Eric anmerkt, sie würden lediglich „versuchen, etwas aufzunehmen“, kennt Courtneys Optimismus keine Grenzen: „Das Album erscheint definitiv im Januar!“ Und schon meldet sich der Abgesandte des Managements zu Wort:“Sorry, aber die Zeit ist um.“ Courtney blickt auf. „Tja, ich muß jetzt meine Tochter abholen. War nett, mit dir zu reden.“ Ein kurzer Händedruck, und schon wird sie zur schwarzen Limo geleitet, die mit quietschenden Reifen abfährt. Der Kellner wundert sich über den eiligen Gast.derdie Flasche Mineralwasser nicht mal angerührt hat. „Das muß ja eine ziemliche Berühmtheit sein – Courtney wer? Muß ich die kennen?“