Darff ich bitte mitspielen?


Auch wenn sein Frust Großes zu schaffen vermag: Conrad Keely muss jeden Tag einen neuen Grund erfinden, um mit... And You Will Know Us By The Trail Of Dead weiterhin am Popkulturbetrieb teilzunehmen. Sein Leben als Musiker hat er sich jedenfalls anders vorgestellt.

Conrad Keely hat Probleme. Wie viele junge Männer in seinem Alter – er ist 28 Jahre alt – fühlt er sich einsam in der Masse. Isoliert, ausgeschlossen, unverstanden. Irgendwann mutierte Conrad deshalb zum Jekyll-und-Hyde-Typen mit einem Spritzer Baron von Münchhausen. Stichwort: Eskapismus. In einer Szene der charmant-intellektuelle Geschichtenerzähler, verwandelt er sich in der nächsten Einstellung in einen cholerischen Berserker. Ein Aufmerksamkeitserreger. Hier steh‘ ich, Conrad Keely, und ich kann nicht anders. Wenn es so bloß funktionieren würde …

Denn nahezu nichts hat sich geändert, seit Keely und seine Leiderisgenossen von … And You Will Know Us By The Trail Of Dead das letzte Mal ein Ho telzimmer in fachgerechter Rock’n’Roll-Manier zerlegt haben. Nichts ist besser geworden seither. Das hat irgendwann auch Keely erkannt, was bislang nicht bedeutete, dass er seine Attitüde geändert hat. Dennoch scheint es nun für ihn Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen. Zeit, sich zu besinnen. „Was ist bloß los mit mir? Wer bin ich? Und warum stehen die anderen nicht so drauf, wie ich bin?“ Zeit also für ein neues Album. Es heißt bezeichnenderweise SO DIV1DED und steht in der Bestenliste der Platten von … Trail Of Dead bald schon auf Platz eins. Was nach worlds APART gar nicht so ganz einfach ist.

Woran liegt es, dass dieser Conrad Keely trotz seines aufreizenden Gestus, seiner schieren Großartigkeit und seines relativen Wahnsinns noch nicht den Status hat, der Bowie, Cobain, ja Marilyn Manson in die Schlagzeilen der Boulevardpresse und somit ins Bewusstsein vieler Menschen der westlichen Welt brachte? Eine Frage, die sich auch Keely schon gestellt hat. Wobei die Fragestellung bei ihm eine indirekte und schließlich umgekehrte war: „Es war auf unserer letzten Tour, als mir plötzlich heftige Zweifel ob unseres Tuns kamen. Ich stellte fest, dass mich die meisten Dinge, die um uns herum passierten, nicht mehr erreichen. Das ging mich alles nichts mehr an. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass meine Idee von Popkultur nicht mit der Vorstellung der Menschen um uns herum übereinstimmte.“

So enden regelmäßig Bandkarrieren… „Aber diese Gedanken kamen glücklicherweise erst gegen Ende der Tour auf. Danach wollte ich zuerst einfach gar nichts mehr mit dieser Welt zu tun haben. Die Gemeinsamkeiten, die es durchaus gegeben hatte, als wir als Jugendliche mit Punkrock in Kontakt gekommen waren, waren verschwunden. Damals war die Musik einheitlicher, und vor allem gab es so etwas wie Solidarität. Dieses Wort hat heute keine Bedeutung mehr im Musikbiz. Die gesamte Popkultur wurde durch die mediale Vielfalt stark fragmentiert. Es wird nie wieder zu einer kulturellen Revolution kommen, weil alle unterschiedlicher Meinung sind und nur noch ihre persönlichen Ziele verfolgen.“

An diesem Punkt angelangt, wirft der Trainer zumeist ein Handtuch in den Ring. Doch Keely hat keinen Trainer. Und er benutzt auch kein Handtuch. Zumindest nicht als Zeichen der Aufgabe. Er steht lieber weiter angeschlagen in der Ringecke und gibt es sich selbst. „Vor40 oder 50 Jahren, als alle nur ein Fernsehprogramm geschaut haben, da gab es eine große Popkulturszene, in der Ideen von vielen geteilt wurden. Doch genau dieses Verständnis, das ich von der Popkultur hatte, als ich anfing, Musiker zu werden, existiert so nicht mehr.“

Punk, Grunge. Hip-Hop, Technoszene – waren das keine popkulturellen Bewegungen? Vereinen oder begründen nichtsogar Plattformen wie myspace oder youtube heute viele neue Szenen? Nein, für Keelv ist es „einfach nicht mehr dasselbe Kollektiv. Es ist schwer zu beschreiben, denn es gibt so viele Gründe. „Zum einen ist da die stetig steigende Anzahl der Menschen auf diesem Planeten, dazu kommen die Medien und die Konzerne, die aus den Menschen Marionetten machen. Es gibt keinen freien Geist mehr. Alle kaufen dasselbe Produkt; weil es alle kaufen. Sag den Menschen im Fernsehen, was für sie gut ist, und sie nicken es ab. Sie bekommen keine andere Meinung mehr zu hören.“

Von der Meinungsdiktatur zur Marktführerschaft-das funktioniert auf fast allen Feldern: „Daran ist auch unsere Regierung schuld, die ja im Grunde auch nur durch ihre Mediengewalt an die Macht kam. Und dieser Virus hat sich auch auf die Popkultur übertragen. Vermarktet werden nur noch die Künstler, die uns im Grunde nichts zu sagen haben. Kohle! Das ist, was diese Affen und die Konzerne interessiert „Die Kultur geht denen am Arsch vorbei. Esgibt keinen Widerstand. Spätestens als sich Mitte der Neunziger Jahre Punkkapellen als Modepüppchen haben vermarkten lassen, wurde dem Widerstand das Rückgrat gebrochen.“

Das Wegbrechen von Solidarität und Gemeinschaft – das Individuum im immer härteren Wettbewerb mit all den anderen Ich-AGs-, das ist ein in den letzten Jahren so offensichtlich gewordener Umstand, das man mit dem Kopf davonrennt, wenn man nicht aufpasst. Und der Intellektuelle Keely will das erst jetzt bemerkt haben? „Ei stimmt, das ärgert wich schon seit Längerem. Aber dieser Ärger hatte es bislang nicht vermocht, eine Krise bei mir auszulösen. Bis vor rund einem Jahr… Ich halte immer eine bestimmte Vorstellung vorn Leben als Musiker. Ich dachte, ich komme in eine Art Kommune, treffe viele Gleichgesinnte, und wir tauschen Ideen und Visioncn aus, verwirklichen sie.“

Doch inzwischen muss sich Conrad Keely eingestehen: „Nichts davon ist eingetreten. Die Bands, die hier in Texas mit uns groß geworden sind, befruchten sich nicht gegenseitig. So haben wir zum Beispiel noch nie etwas gemeinsam mit Explosions In The Sky (Instrumental -Postrockkapelle aus Austin – Aura. d. Red.) gemacht. Und auch nicht mit anderen Band“. Ich hin so neidisch auf die Grunge-Bewegung der 90er-Jahre: So habe ich mir das Leben als Musiker vorgestellt: Du spielst in einer Band, triffst dich mit anderen,gründest Projekte… Wir sind noch niegefragt worden, und es hat uns auch noch niemand gebeten. bei uns im Studio dabei sein zu dürfen. Ich weiß nicht, woran es liegt. Und so erfinde ich jeden Tag einen neuen Grund, um zu rechtfertigen, was ich hier mache.“

Der Mann hat keine Freunde. Keely mag das verwundern; nicht wenige Leute, die ihn bislang kennengelernt haben, verwundert das nicht. Wer Hotelzimmer von Kollegen auseinandernimmt, darf kaum mit Solidarität rechnen, wer das Publikum mit Gegenständen bewirft, nicht mit euphorischen Sympathiekundgebungen. Solche Typen lädt man nicht zum Kaffeetrinken ein, und erst recht nicht in ein Studio mit teurem Equipment. „Ich glaube, solche Eskalationen entstehen, wenn der Frust zu groß wird“, versucht Keely zu erklären. „Gerade bei Festivals sind wir isoliert, während sich die anderen Bands untereinander austauschen und Spaß miteinander haben. Aber ich hoffe, dass sich das bald ändert. Zuletzt waren wir auch auf Festivals immer ganz brav.“

AUS Frust ist schon des Öfteren Grolies entstanden. Das neue Album so divided ist etwas wahrhaft Grolses. Doch in einem Punkt enttäuscht es: Conrad Keely schreit auf dieser Platte seinen Frust nicht in die Welt hinaus. Vielmehr ist so Di vtded eher eine private Abrechnung mit seinen Gefühlen denn offene Kritik (und die poppigste Trail-Platte bislang sowieso). Und wenn wir schon beim Klischee sind … „Ich glaube, dass jeder Song, den ich bis dato geschrieben habe, eine Art Therapiefür mich war. Ich nutze jeden Song, den ich schreibe, als Versuch, meineeigenen Gedanken zu verstehen. Es ist so, als würde ich in mein Tagebuch schreiben. AufwoRLDS a part ging es ausschließlich umändere Menschen, letzt wollte, nein, inusste ich genau das Gegenteil tun. Ich wollte meine innersten Gefühle zum Ausdruck bringen. Undso ist das persönlichste Album, das ich je geschrieben habe, entstanden.“

Aber was heißt das schon? … Trail Of Dead haben schon so viele Märchen erzählt. Bis heute existiert kaum eine Riografie über die Band, der man Glauben schenken kann. Nun hat der Chef also Texte für ein persönliches Album geschrieben, an dem ihm sehr viel liegt, sagt er. Doch wie kann er erwarten, dass wir ihm glauben? „Hm Entertainer hat nicht die Pflicht, aufrichtig zu sein. Aufrichtigkeit zählt nur beim Songwriting. Was zählt, ist, dass das Publikum spüren muss. dass das, was du vorträgst, eine Bedeutung hat.“ Den Journalisten hingegen schulde er keine Wahrhaftigkeit: „Wir haben ihnen in der Vergangenheit oft Stones erzählt.“

Aber auf die Idee gebracht hätten sie erst die Journalisten selbst, die die Wahrheit, mit der sich .. .Trail Of Dead anfangs noch beschieden hatten, ausschmückten. .Weil die Wahrheit eben total banal ist“, sagt Keely. „Es interessiert doch keine Sau, wo wir tatsächlich aufgewachsen sind – in Tasco oder Pasco … Niemand kennt diese Städte, und das zu Recht. Um unsere Musik zu mögen, muss man nicht wissen, woher wir kommen. Man muss nicht einmal Missen, wer wir sind. Deshalb war es lustig, alle diese Geschichten zu erfinden, auch um zu beweisen, dass wir Recht damit hatten.“

Da sitzt Conrad Keely nun also, den Hinternaul einem einsamen Thron, hat nicht nur einmal Recht behalten, großartige Platten mit seiner Band gemacht – und steckt doch voller Selbstzweifel. Wohl auch nicht von ungefähr ist auf so Divided oft vom „Verschwenden“ die Rede. Würde er manche Dinge gerne ungeschehen machen? „Früher, als jugendlichcr. hatte ich das Gefühl, Zeit zu verschwenden, häufiger. Heute nicht mehr. Ich bereue, dass ich nie ernsthaft versucht habe, auf eine bessere Schule zu gehen. Meine Bildung ist miscmM. Aber man kann nicht ständig mit der Idee leben, alles hätte besser sein können. Mau muss lernen, seine Entscheidungen zu akzeptieren.“

Wenn er in seinen Texten von „verschwendeter Zeit“ singt, beziehe sich das vor allem aufsein Leben als Rockmusiker: „Für viele Kollegen ist ihr ungleichsam ihr Sein“, hat Keely festgestellt… Das gilt auch für viele Fans. Für die ist unsere Musik oft wirbliger, als sie für uns seihst ist. Aber wenn ich Lieder schreibe,sind mir die Erwartungen der Menschen egal. Um ganz einlieh zu sein: Sie sind mir auch egal, wenn ich keine Lieder schreibe. Kreativ zu sein, ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Ich habe niemals Songs unter der Prämisse geschrieben, dass sie anderen gefallen sollen, sie sollen auch keinen Nutzen für andere darstellen. Auch die Erwartungen unserer Plattenfirma sind mir egal.“

Es ist auch schwer vorstellbar, dass sich einer wie Conrad Keely reinreden lässt. Unwillkürlich drängt sich einem das Bild vom Abgesandten der Plaitenfirma auf. der fluchtartig das Studio verlässt, während ein Laptop hinter ihm herfliegt. Auch das macht Keely „so divided“ vom Rest der Welt. Dabei wäre er so gern ein Teil von ihr: „Auf dem College war ich fasziniert von dieser Idee des kollektiven Bewusstseins. Ich versuchte herauszufinden, warum Typen wie Elvis Presley oder Marilin Monroe nahezu alle Menschen auf der Welt faszinieren konnten. Wie konnte ihnen das gelingen? Ich muss zugeben, dass ich daran) keine Antwort gefunden habe.“