Das Ehrgefühl des Praktikanten


Kolumne über einen Betrüger und Plagiator, der in angemessener Scham versank über seine Tat. Und Karl-Theodor zu Guttenberg.

Es war vor langer Zeit im alten ME, da arbeitete beim flurbenachbarten Metalmagazin ein junger Praktikant, nennen wir ihn Hagen, der ganz erstaunlich war. Einmal im Monat hingen wir alle in den Seilen, drohte der Verlust von Privatleben, Nachtschlaf und Sozialkontakten: Heftschlussproduktion! Und da war Hagen. Der stand zwar auch unter Strom, aber er schien ja auch circa vier Leben gleichzeitig zu führen: Er war gut eingebunden in die Arbeit beim Metal Hammer, klar. Gleichzeitig kam er irgendwie immer gerade zurück von oder war auf dem Sprung zu einer der diversen Sportarten, die er betrieb, oder zur Probe seiner Band, mit der offenbar einiges ging. Irgendwann erfuhren wir nebenbei, dass Hagen auch noch ein Fanzine machte, mit einem Kumpel. Wir bestaunten und beneideten dieses Wunder an Zeitmanagement, Tausendsassaness und jugendlicher Energie, und Plattenmeister Koch hatte fast ein schlechtes Gewissen, als er mit Hagen übereinkam, dass dieser ab und zu Metalplatten für den ME besprechen würde. Konnte man dem noch mehr aufhalsen? Aber der agile Hagen sagte zu, lieferte seine Rezensionen, alles war wunderbar.

Bis uns eines Tages eine Zuschrift erreichte, in der ein Leser eine spitze Bemerkung machte über einen Text im Plattenteil der neuesten Ausgabe, à la :“Druckt ihr jetzt die alten Hammer-Kritiken noch mal?“ Der Plattenmeister stutzte, wühlte sich dann anhand der mitgelieferten Angaben durchs Archiv. Und fand in einer alten Ausgabe des Metal Hammer eine Plattenkritik, die sein Autor einfach wörtlich übernommen und nur mit neuen Musikernamen und Songtiteln „aktualisiert“ hatte. Kochs Autor war Hagen. Als der am nächsten Tag einlief und Koch ihn zur Rede stellte, tat er etwas, das mir rückblickend immer als sehr nachvollziehbar erschienen ist: Er lief rot an, drehte quasi auf dem Absatz um, flüchtete aus dem Büro. Und kam nie wieder zurück. Auch die Hammer-Kollegen sahen ihn NIE wieder. Die Peinlichkeit und seine Scham waren zu groß, als dass er uns je wieder hätte unter die Augen treten können.

Nun kann man so viel Schamgefühl und – wenn auch verdrucksten – Anstand nicht von jedem erwarten. Aber dass ich diese Kolumne schreibe eine geschlagene Woche, nachdem ans Licht gekommen ist, dass der Bundesminister (!) Karl-Theodor zu Guttenberg weite Teile seiner Dissertation aus ungenannten Quellen zusammengeklaubt hat, wobei er behauptet, dieser Abgriff geistigen Eigentums im vorliegenden Umfang sei nicht bewusst geschehen, was jeder, der einmal einen längeren Text – journalistisch oder wissenschaftlich – verfasst hat, für eine Frechheit halten mag, und immer noch ist kein Rücktritt in Sicht, dass der Plagiator sich stattdessen mit flapsigen Bemerkungen über „Blödsinn“, den er „da geschrieben“ habe, bei seinen Fans anbiedern und im Bundestag verkünden darf, sein Umgang mit den Vorwürfen (Prinzip: stänkern und mauern, bis alles raus ist, dann sich scheibchenweise „entschuldigen“; einem Angeklagten vor Gericht würde ein solcher „Umgang“ schlimmstenfalls als strafverschärfend ausgelegt) könne nun „beispielgebend“ wirken für Menschen „in einer ähnlichen Situation“, und dass wohl zu befürchten ist, dass dieser Mensch bei Erscheinen dieses Heftes weiterhin im Amt sein wird, weil ihn eine Woge der Beliebtheit bei scheint’s unter Hypnose stehenden zwei Dritteln der Bürger trägt – all das erfüllt mich mit mehr Abscheu sowie Sorge um die geistige Gesundheit, die Moral und das Rechtsempfinden dieser Gesellschaft, als ich mich meiner Lebtag entsinnen kann. Eine Regierungspartei, ein mediales Meinungskartell und eine „bürgerliche Mehrheit“, die sich auf Gedeih und Verderb einem überführten Hochstapler zu Füßen werfen: Das ist nichts anderes mehr als blinder Personenkult. Und der gehört in den Rock ’n‘ Roll. In der Politik macht er mir Angst.